Unterstützung für Geflüchtete:In seinem Keller liegt nun eine kugelsichere Weste

Lesezeit: 5 Min.

Was Marcel Demeler am meisten ärgert: Wenn andere seine Arbeit für die Hilfsorganisation kritisieren, während sie selbst nichts tun. (Foto: Tobias Clemens Koehler)

Marcel Demeler wollte sich um seine Schauspielkarriere kümmern. Doch seitdem er die Hilfsorganisation "Firstep" gegründet hat, um Menschen in der Ukraine zu helfen, steht sein Leben Kopf. Auch Freundschaften zerbrachen daran.

Von Lisa Miethke

Unten im Keller, direkt neben seiner Wäsche, liegt nun eine kugelsichere Weste. Auch einen Schutzhelm hat sich Marcel Demeler schon zugelegt. Beides soll ihn schützen. Vor Angriffen, vor Explosionen und Schüssen, letztlich aber vor einem schnellen Tod. In weniger als zwei Wochen wird der 22-Jährige in die Ukraine einreisen. Erste Station Kiew, danach weiter nach Charkiw, vielleicht auch in den Donbass. Warum ein junger Mensch wie Marcel freiwillig in ein Land aufbricht, das derzeit von einem schweren Krieg betroffen ist? Weil er Hilfe leisten will. Und das, so sagt er zumindest, um jeden Preis.

Dazu gründete Marcel zusammen mit Freunden vor drei Monaten die Hilfsorganisation "Firstep" - ursprünglich nur mit der Absicht, Fahrten für geflüchtete Ukrainer von der Grenze nach Deutschland zu organisieren. Inzwischen setzt Marcel auch auf Hilfe direkt vor Ort. Für seine anstehende Reise in die Ukraine plant er, mit der Unterstützung anderer Freiwilliger Kinder aus Kinderheimen und Tiere aus Tierheimen zu holen. Das Ganze möchte er dokumentarisch begleiten. "Mein Ziel ist es, eine Doku zu drehen, die zeigen soll: Die Situation ist noch immer wirklich schlimm", sagt Marcel.

Ein Treffen an einem verregneten Dienstvormittag in Neuhausen. Marcel trägt eine blassgelbe Mütze unter der Kapuze seines schwarzen Pullis, schwarz-weiße Sneaker, silberne Ringe an den Händen. Er wirkt müde, man könnte fast sagen abgekämpft. Auf Nachfrage wird er sagen, er habe die letzten Wochen selten mehr als drei bis vier Stunden pro Nacht geschlafen. Dennoch rührt er den Cappuccino, der vor ihm steht, bis zum Ende des Gespräches kaum an. Er redet lieber. Viel, meist ohne Pause. Über sein Projekt, die hohe Belastung, welche Promis ihn mittlerweile medial bei "Firstep" unterstützen - und warum er deshalb schon Freunde verloren hat.

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Dass er nun eine Doku drehen möchte, ist in mehrerlei Hinsicht eine Ausnahmesituation. Denn normalerweise steht er nicht hinter, sondern vor der Kamera: Als Schauspieler spielte Marcel bereits in ZDF-Produktionen wie "Aktenzeichen XY" und "Die Bergretter" mit. Seine erste Rolle bekam er mit 13 Jahren in der Kika-Serie "Fluch des Falken". Erst Ende Mai konnte er den vermutlichen Höhepunkt seiner bisherigen Karriere feiern: Weil ein Kurzfilm, in dem er vergangenes Jahr mitspielte, mit einem Preis ausgezeichnet wurde, erhielt Marcel kurz vor knapp eine Einladung zu den Internationalen Filmfestspielen von Cannes. Mit 22 ein ziemlich großes Erfolgserlebnis. "Das war das einzige Mal, dass ich in den letzten Monaten was für mich getan habe, für meinen eigentlichen Job", sagt Marcel.

Was er damit meint: Erfolg hin oder her, sein Beruf als Schauspieler liegt momentan auf Eis. Möglicherweise nicht nur temporär, sondern dauerhaft. Der Grund dafür ist simpel. Solange der Krieg in der Ukraine nicht vorbei ist, hat seine Arbeit bei seiner Hilfsorganisation "Firstep" nun mal Priorität, sagt Marcel. Selbst wenn das kräftezehrend und zeitraubend ist. Doch um was geht es da eigentlich genau bei "Firstep"?

Angefangen habe das alles, als der Ukraine-Krieg Ende Februar ausbrach, sagt er. Dennoch: "Ich hätte damals nie gedacht, dass ich eine Hilfsorganisation gründe", sagt Marcel. Er und seine Freunde brachten mit insgesamt sieben Autos Hilfsgüter an die polnische und die slowakische Grenze, sammelten dort Menschen für die Rückfahrt ein. Da beobachtete Marcel ein Problem: "Die Aufnahmestation war wie eine Art Kiosk, da stand ein Typ mit einem Mikro und hat gefragt: 'Wer bringt wie viele Leute wohin?' Sie haben uns nicht kontrolliert, die Leute konntest du einfach mitnehmen." Wie viele Menschen wohl verloren gehen, wenn sich niemand dafür interessiert, was mit ihnen passiert? Das gab Marcel zu denken. Und als wenig später Bomben in der Kinderklinik in Mariupol einschlugen, machte ihn das wütend.

"Ich konnte schon immer gut organisieren."

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Er gründete eine Whatsapp-Gruppe, bot darin an, andere Menschen zu koordinieren, die ebenfalls an die Grenze fahren wollen. Denn: "Ich konnte schon immer gut organisieren", sagt Marcel. Anschließend lud er eine Instagram-Story hoch, markierte darin "zahlreiche" Prominente, wie er sagt, und versuchte so auf seine Whatsapp-Gruppe aufmerksam zu machen. Zunächst lief das, gelinde gesagt, eher erfolglos. Nach 20 Stunden waren der Gruppe gerade einmal drei Teilnehmer beigetreten. Das änderte sich dann unversehens, als Joko Winterscheidt einen Tag später die Story repostete. 100 Teilnehmer seien plötzlich in der Gruppe gewesen, so erzählt es Marcel heute. Auch andere deutsche Stars wie Lena Gercke, Florian David Fitz und Mats Hummels taten es ihm gleich. Marcel sagt: "Nachdem mich die Promis erwähnt haben, sind alle auf mich zugekommen. Mir haben Ärzte geschrieben, Fitnesstrainer, Hundetrainer, Hotels, sogar ein Schönheitssalon, wenn jemand neue Wimpern braucht. Ich konnte das gar nicht alles selbst bearbeiten", sagt er.

Er gründete offiziell die Hilfsorganisation "Firstep", es folgte der Launch der Website, über die man sich weiterhin für Fahrten melden, Geld spenden sowie geflüchteten Ukrainern Wohnungen und Jobs anbieten kann. Fünf bis sechs Mitarbeiter beschäftigt Marcel inzwischen. Bald solle sich das Projekt auch um Ukrainer kümmern, die sich allein fühlen, die Schwierigkeiten haben, Anschluss zu finden.

"Ich versuche mir gerade einen Namen aufzubauen, damit ich helfen kann."

Hört man ihm eine Weile zu, merkt man schnell: Ist der Krieg in der Ukraine vorbei, bedeutet das nicht automatisch das Ende von "Firstep". Ihm geht es um mehr. Spricht man mit Marcel über seine Visionen, was er mit "Firstep" bewirken möchte, jagt ein Schlagwort schnell das nächste. Darunter, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Soziale Ungerechtigkeit in Deutschland, Bildungsstandard, Krebsforschung, Kinderlähmung - die großen Themen eben. Wie vielen davon er sich in Zukunft tatsächlich annehmen wird und kann, lässt sich nicht sagen. Feststeht nur: Von sich selbst sagt Marcel, er sei schon immer ein Mensch gewesen, der auch anderen Menschen helfen wollte, war früher Schülersprecher und Tutor bei einer Stiftung für Kinderlernförderung. Heute möchte er noch mehr Verantwortung übernehmen.

"Ich versuche mir gerade einen Namen aufzubauen, damit ich helfen kann", sagt Marcel. Über sein Projekt "Firstep" funktioniert das gut. Vor allem dann, wenn namentliche Prominente seine Instagram-Storys auf ihren eigenen Kanälen teilen, ihnen sogar zu dem einen oder anderen privaten Gesprächen einladen.

"Natürlich, jeden Kontakt zur Öffentlichkeit, auch wegen meines Berufs als Schauspielers, nehme ich gerne an", sagt Marcel. Dass aber gerade deshalb in seinem Bekanntenkreis böse Worte über ihn fallen, nervt ihn. Also Sätze wie: Er sei jetzt der neue Fynn Kliemann - einer, der sich über die gute Sache profiliert, der "Weltverbesserer" spielt und dabei doch eher Opportunist bleibt. "Entweder man mag mich sehr oder man mag mich gar nicht. Das war schon immer so, unabhängig von ,Firstep'. Weil ich eine Person bin, die polarisiert", sagt Marcel. Gestört habe ihn das nie, so wirkt es zumindest. Was ihn stört: Wenn andere seine Arbeit für die Hilfsorganisation kritisieren, während sie selbst nichts tun.

Übrigens: Geld für das, was er leistet, verlangt er nicht. Im Gegenteil, seine finanzielle Situation sei belastend für ihn, das meiste habe er bisher aus eigener Tasche gezahlt, sagt Marcel. Nun sei der nächste Schritt erst einmal die Reise in die Ukraine. Und danach? "Die Schauspielerei und 'Firstep' unter einen Hut zu bekommen ist mein Lebenstraum", sagt Marcel. "Menschen helfen und gleichzeitig vor der Kamera stehen. Aber müsste ich eines aufgeben, würde ich nur noch Firstep machen."

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