Universitäten in München:Künstliche Intelligenz gegen Spicken

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Während der Corona-Krise wird an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) viel online unterrichtet und geprüft. (Foto: Catherina Hess)

An den Münchner Unis neigt sich ein außergewöhnliches Studienhalbjahr dem Ende zu. Präsenzprüfungen sind selten, abgefragt wird digital. Schummeln ist dabei nicht einfach: Denn künstliche Intelligenz ersetzt den scharfen Blick der Dozenten.

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Was fehlt, sind nun noch die Klausuren. An den Münchner Hochschulen wird derzeit abgefragt, was in den vergangenen Monaten fast überwiegend online vermittelt wurde. Ein zweites außergewöhnliches Studienhalbjahr neigt sich dem Ende zu. Dozenten und Studierende haben inzwischen viel dazugelernt.

Ihr erstes Studiensemester hat nun auch Scarlett fast hinter sich. Sie studiert seit November Englisch und Deutsch für das Lehramt an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Sie wusste von vorneherein, dass vieles nicht so sein würde, wie man es vielleicht von den Eltern hören kann: keine gemeinsamen Mensa-Mittagessen, keine Rotwein-Exzesse in Arbeitsgruppen, keine Kneipentour rund um die Schellingstraße. Das alles lief dieses Jahr nicht. Die 20-Jährige beweist eine große Portion Pragmatismus, wenn sie sagt: "Ich finde es gar nicht so schlimm, dass gerade alles online läuft." Es habe ja auch seine Vorteile: weniger hin- und herfahren zum Beispiel. Für die Kommilitonen, die schon länger studierten, sei es viel schwieriger. "Die wollen wieder ihre Leute sehen." Und sie seien Präsenzprüfungen gewohnt.

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Am Wochenende hat Scarlett die Grundlagen der Mediävistik wiederholt für ihre erste große Klausur. Die junge Frau sieht der Prüfung entspannt entgegen. Sie hat in mehreren Probeklausuren schon erlebt, wie das geht, zu Hause am Schreibtisch zu sitzen und Fragen zu beantworten. Bei einer dieser Klausuren hatte sie nicht das richtige Computerprogramm angeklickt, weshalb die Testklausur bei ihrem Professor dann nicht angekommen war. So etwas Dummes passiere nur einmal, sagt Scarlett. In ihrem Dachzimmer war am Anfang des Semesters die Wlan-Verbindung nicht immer stabil. Deshalb hat sie sich einen Verstärker zugelegt. Jetzt fühlt sie sich in jeder Hinsicht gut vorbereitet auf das, was auf sie zukommt: eine E-Mail und ein Passwort, um die Fragen über die Lernplattform Moodle hochzuladen. Sie wird die Kamera ihres Smartphones auf sich richten. So wird in Stichproben überprüft, ob sie ihre Augen schweifen lässt. Diese Überwachungsmethode ist mittlerweile an den Hochschulen üblich.

Nur bei einer sogenannten Open-Book-Klausur dürfte Scarlett offen Hilfsmittel verwenden. Falls am Dienstag doch technisch etwas nicht funktioniert, dann könne sie ja noch einen der Prüfungsassistenten um Hilfe bitten, sagt die Studentin gelassen.

Nicht alle Studierenden reagieren so relaxed. Auch wenn sie noch nie in einem Hörsaal saß, so ist Scarlett doch mit ihren Kommilitonen verbunden und weiß, was andere so denken. Über Whatsapp hat sich eine Lehramtsgruppe mit gut 200 Teilnehmern gebildet. Vor Probeklausuren gingen da schon mal bis zu 500 Nachrichten hin- und her. Es gebe ein großes Bedürfnis, mit all seinen Sorgen aufgefangen zu werden, sagt die Studentin.

Diesem Bedürfnis will die LMU so gut es geht nachkommen. Das ist deutlich zu spüren. Von Vizepräsident Oliver Jahraus, verantwortlich für die Lehre an der großen Münchner Exzellenz-Universität, ist viel Empathie für die Studierenden herauszuhören. 8000 Lehrveranstaltungen unterschiedlichster Art müssten abgeprüft werden, sagt er. Wie das geschehe, sei den Dozenten der Fakultäten überlassen. Man empfehle Online-Prüfungen oder Hausarbeiten als Leistungsnachweise. Im November habe man abgefragt, wie viele Räume für Präsenzprüfungen gebraucht werden würden. 250 seien gebucht.

Nach strengen Hygieneregeln wird kommende Woche etwa bei den Sozialwissenschaftlern im sogenannten Schweinchenbau an der Leopoldstraße Wissen abgefragt. Ein detailliertes Schreiben hat die Prüflinge informiert, wie sie sich zu verhalten haben: "Bitte keine Gruppenbildung und keine Gespräche untereinander während des Aufenthalts im Universitätsgebäude." Außerdem solle man nicht zu früh kommen, den Lift nicht benützen, sich vor dem Betreten des Saals die Hände waschen und eine FFP2-Maske tragen.

Wie das mit dem Händewaschen gehen soll, fragt sich eine Studentin, die namentlich nicht genannt werden möchte. Sie befürchtet, dass sich vor den Waschbecken eben doch Grüppchen bilden werden. Außerdem finde sie, dass während der Prüfung alle Masken tragen sollten. Sie hat Angst, sich zu infizieren, und sie denkt an Kommilitonen, die mit einem gesundheitlichen Risiko im Raum sitzen. Die Wahl zwischen Online- und Präsenzprüfung aber hat sie nicht an der LMU. Dafür könnte sie die Prüfung zu einem anderen Zeitpunkt nachholen, doch dann verlöre sie Zeit.

An der TUM und auch an der Hochschule München (HM) werden explizit Alternativen angeboten. Entsprechend der bayerischen Fernprüfungserprobungsverordnung seien Prüfungen mit Online-Aufsicht freiwillig. Diejenigen die eine Präsenzprüfung ablegen möchten, erhielten eine entsprechende Möglichkeit, erklärt Klaus Kreulich, Vizepräsident der HM. Die Tendenz an der Hochschule geht klar Richtung online. In diesem Semester hätten von den 18 900 Studierenden nur 45 eine Präsenzprüfung gewünscht, so Kreulich.

Sarah, 23, weiß, dass bei Online-Prüfungen die Technik gehörig Stress aufbauen kann, weil es da einige Stolpersteine gibt. Wenn man am Ende der Prüfung rechtzeitig seine Blätter einscannen und an die Hochschule schicken muss zum Beispiel. Obwohl das eigentlich "Pseudoängste" seien, könne man "vielleicht nicht dieselbe gute Leistung" erbringen wie in einer Präsenzsituation, meint sie und findet einen Vergleich, den jeder nachvollziehen kann: "Man fühlt sich während einer Online-Prüfung so unsicher, wie wenn man in der Tram kontrolliert wird, obwohl man gestempelt hat." Sarah studiert im achten Semester, hat also schon einige normale Studienjahre hinter sich. In der digitalen Lehre werde der Stoff komprimiert, sagt sie. Das sei dann in den Klausuren spürbar, denn entsprechend knapp sei die Zeit. Für manche ist auch das wohl ein Stressfaktor.

Die TUM bietet den Studierenden grundsätzlich die Möglichkeit, sich online oder in Präsenz prüfen zu lassen. Für Letzteres stehen immer noch die weißen Zelte auf dem Innenstadtcampus und auch in Garching. Die lassen sich beheizen und bieten nach den Hygienevorschriften Raum für 100 Personen. Man kann die Prüfung auch verschieben. Empfohlen aber werde die Online-Variante, hört man aus Fachschaftskreisen. "Schafft man sie nicht auf Anhieb dann darf man sie auch wiederholen. Doch wenn man ein Jahr länger studiert, dann verdient man auch ein Jahr weniger.

© SZ vom 08.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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