Literatur:Die Sehnsucht des Wartenden

Lesezeit: 2 min

Der Garderobier "Herr Harald" aus Dagmar Leupolds Roman hütet die Mäntel in der Oper oder der Philharmonie - vielleicht auch im Münchner Prinzregententheater. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Dagmar Leupold erzählt in "Dagegen die Elefanten!" vom Innenleben eines Theatergarderobiers. Sie stellt ihren Roman nun im Literaturhaus München vor.

Von Antje Weber, München

Er sitzt, er wartet. Und wartet. Bis am Ende alles ganz schnell gehen muss: Herr Harald ist der Mann an der Garderobe, der die Mäntel verwaltet. Mal ist er in der Oper eingesetzt, mal in der Philharmonie im Untergeschoss, mal im "Schönsten Theater der Stadt". Damit könnte, wenn man den neuen Roman von Dagmar Leupold in München ansiedeln möchte, das Prinzregententheater gemeint sein. Die Münchner Schriftstellerin lässt das offen in ihrem Roman "Dagegen die Elefanten!" (Jung und Jung), und es ist auch letztlich unwichtig - es macht allerdings Spaß, sich beim Lesen die Garderobenbereiche unterschiedlicher Münchner Theater samt Opernhaus vorzustellen.

Viel Vorstellungskraft ist auch "Herrn Harald" zu eigen, dem Mann ohne Nachnamen, aber mit vielen Eigenschaften. Ihm kommt Dagmar Leupold in diesem Roman ganz nahe. Ihm und den "schlanken Gedanken", die sich Herr Harald während der langen Zeit des Wartens macht. Er hat da so seine Tricks, um sich die Zeit zu vertreiben, ein Lehrbuch des Italienischen ist zur Hand, außerdem ein Notizbuch. Darin trägt er mit gespitztem Bleistift besonders schöne Sätze ein, die ihm einfallen. Denn auch wenn es für Herrn Harald befriedigend ist, der Wächter über die Mäntel zu sein, eine gewisse Beschäftigung beim Warten ist doch unabdinglich. Denn das Warten, so heißt es einmal im Roman, "ist bisweilen ein abschüssiger Zustand".

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Da klingen die Erfahrungen der Pandemie-Jahre an, in denen dieser Roman von Dagmar Leupold entstand. Nach ihrem letzten Roman "Lavinia" mit einer weiblichen Ich-Erzählerin stellt sie nun eine männliche Figur in den Mittelpunkt - und leuchtet deren Einsamkeit aus. Denn Herr Harald führt ein zurückgezogenes Leben allein, das im Verlauf der Seiten und Zeiten immerhin durch eine Katze gewärmt wird. Er ist ein Eigenbrötler - aber mit einem reichen Innenleben. "An der Figur hat mich interessiert, dass sie nicht repräsentativ ist, sondern ex-zentrisch, randständig", hat Dagmar Leupold kürzlich bei einer Diskussion im Münchner HP8 darüber gesagt, "er ist als Mit-Mensch konzipiert".

Bei dieser behutsamen, sprachlich feinen Annäherung oder "Anverwandlung", wie Leupold es gerne nennt, hat sie Herrn Harald ein "banales Handicap" verpasst: "Er ist stark kurzsichtig - er sieht nur aus der Nähe gut." Oder, wie es im Roman einmal heißt: "Jeder Mensch, auf den sein Blick trifft, geht ihn etwas an, so ist das." Und der Blick von Herrn Harald trifft auf viele Menschen, auf straff Gescheitelte und Abgehetzte, mit Wollfussel-Mänteln oder halsbrecherischen Absätzen. Mit besonderem Wohlgefallen aber trifft sein Blick, wenn er denn selbst einmal in der Freizeit ins Konzert geht, auf eine gewisse Umblätterin bei Klavierkonzerten. Er tauft sie Johanna oder Marie, diese Schwester im Geiste, auch sie eine Übersehene, die ihre Aufgabe pflichtbewusst erledigt und dafür keinen Applaus erwarten darf.

"An der Figur hat mich interessiert, dass sie nicht repräsentativ ist", sagt Dagmar Leupold über ihre Romanfigur Herr Harald. (Foto: Volker Derlath)

Es kommt dann doch etwas Spannung in das Leben von Herrn Harald - er findet eine Pistole in einem Mantel. Und er traut sich tatsächlich, bei einem seiner seltenen Besuche in einer Kneipe namens "Ratschkath'l", eines Tages aufzustehen und grölenden Stammtischbrüdern den titelgebenden Satz entgegenzuschleudern: "Dagegen die Elefanten!" Denn das Leben der Elefanten hat er zuvor in einem Tierfilm im Fernsehen studiert. Dabei war auch die Geburt eines Elefantenkalbs zu sehen, die Herrn Harald tief bewegt hat - in der Empfindsamkeit und Empathie-Fähigkeit scheint er diesen Tieren verwandt zu sein.

Dagmar Leupold, die ihren Roman nun im Literaturhaus präsentiert, hat dem Schlachtenlärm unserer Tage einen leisen Roman gegenübergestellt. Als Weltflucht sollte man ihn nicht verstehen, sondern vielmehr als Schule der Wahrnehmung: Wer dichter rangeht an die Dinge, an die Menschen, der sieht einfach mehr.

Dagmar Leupold: Dagegen die Elefanten!, Lesung am Do., 28. April, 20 Uhr, Literaturhaus, Bibliothek, literaturhaus-muenchen.de

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