München:Letzte Worte

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Der Schauspieler Tom Ditz proklamiert das Gedicht "Lady Lazarus" von Sylvia Plath wie eine Zirkusnummer und leitet damit das Spielgeschehen ein. (Foto: Florian Peljak)

Das Theaterkollektiv "Tod und Teufel" bringt Sylvia Plath auf die Bühne

Von Stefanie Schwetz

Esther ist viele. Sie ist die junge Frau im gelben Kleid mit weißem Kragen, die den Bühnenraum durchstreift. Sie ist der Mann mit Pferdeschwanz und der Herr in Jeans und weißem Hemd. Und sie ist das Mädchen im Blumenkleid, das auf einem Gerüst balanciert. So vielgestaltig erscheint die Protagonistin Esther in der Inszenierung des Bühnenwerks "Lady Lazarus", mit dem das Münchner Theaterkollektiv "Tod und Teufel" an diesem Freitag, 22. September, im Pepper Theater Premiere feiert. Als Hörspiel wurde "Lady Lazarus" bereits bei Radio München gesendet.

Das Stück basiert auf dem autobiografischen Roman "Die Glasglocke" von Sylvia Plath, angereichert mit deren Gedicht "Lady Lazarus". "Sterben ist eine Kunst wie alles andere", heißt es in dem Poem. Insofern ist auch die Bühnen-Esther immer ein wenig Sylvia Plath, die vier Wochen nach Erscheinen ihres Romans im Februar 1963 Selbstmord beging. Da war sie 30.

Eine Bühne. Vier Personen. Vier altertümliche Schreibmaschinen. Das hämmernde Geräusch der Tasten. Das klingelnde Rasseln des Rücklaufs. Die rhythmisierte Arbeitswut einer angehenden Schriftstellerin. "Es war ein verrückter, schwüler Sommer, dieser Sommer, in dem die Rosenbergs auf den elektrischen Stuhl kamen, und ich nicht wusste, was ich in New York eigentlich wollte." Collagenhaft breiten die vier Schauspieler die Geschichte dieses Sommers in nahtlos ineinandergreifenden Szenen auf der Bühne aus: Esther, wie sie bei einem New Yorker Magazin ein Praktikum absolviert. Esther in ihrer Beziehung zu dem Medizinstudenten Buddy. Esther mit ihrer Vision, als Schriftstellerin erfolgreich zu sein. Esther, die sich schwer tut mit der möglichen Rolle als Ehefrau und Mutter. Eine junge Frau, wird hier skizziert, die sich dem Leben zunehmend verweigert, ohne wirklich davon zu lassen, und die nach einem Suizidversuch schließlich in der Psychiatrie landet.

Die beiden Theatermacherinnen Alisha Frei, Jahrgang 1990, und Marie Pooth, geboren 1989, die sich vom Studium der Theaterwissenschaft an der LMU kennen, hatten die Bühnenfassung des Romans einst gemeinsam erarbeitet, samt eigener Übersetzung des Lady-Lazarus-Gedichts. Mit einem frei zusammengestellten Ensemble wurde das Werk vor drei Jahren uraufgeführt. Nun haben sich Frei und Pooth erneut auf ihr Stück besonnen und wagen gemeinsam mit dem Regisseur und Kulturkritiker Makanian Zerefay, geboren 1990, eine Neuinszenierung.

Ein Akt der Transformation ist diese Arbeit, ein Loslassen von bekannten Bildern, ein Ausloten unterschiedlicher Vorstellungen, eine szenische Neubelebung und möglicherweise auch ein Verschmelzen weiblicher und männlicher Perspektiven auf das Werk von Sylvia Plath. Während Alisha Frei "Die Glasglocke" für einen "weiblichen Text" hält, diagnostiziert Makanian Zerefay dem Roman eine "Anziehungskraft", die sich aus den Zukunfts-, Verzweiflungs- und Todesfantasien der Protagonistin speist. Dieser Streberin, die sich angesichts ihrer vielfältigen Lebensentwürfe einer höchst diffusen Vorstellung von sich selbst hingibt und unter ihrer Glasglocke den Bezug zum eigenen Ich und zur Welt verliert. "Die Sache ist die, dass ich gar nichts im Griff habe, nicht einmal mich selbst."

Es ist die Kraft des Textes, die das Regie-Team zusammenschweißt. Er hat für die gemeinsame Arbeit "das entscheidende Gewicht", damals wie heute. Ob sie mit der Neuinszenierung auch etwas verliere? Marie Pooth ist dieser Gedanke fremd. Eher scheint die wiederholte Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit ein Gewinn für sie zu sein. Denn zweifellos begegnen Pooth und Frei ihrem Stück nun auf eine andere Art - vertraut und distanziert zugleich. Während es bei dem Bühnenwerk vor drei Jahren darum ging, Esthers Geschichte über die reine Lektüre hinaus erlebbar zu machen, werden die beiden Frauen in der Zusammenarbeit mit Zerefay nun mit den Erfahrungen von damals konfrontiert.

Ähnlich kann man sich vielleicht Sylvia Plaths Blick auf ihre persönliche Vergangenheit vorstellen, als sie zehn Jahre nach ihrem eigenen New Yorker Sommer "Die Glasglocke" schrieb. Denn in der Rückschau gewinnen die Dinge eine andere Qualität. Erlebnisse, die im Zustand der Unmittelbarkeit von schicksalhafter Tragweite waren, sind nun nicht mehr der Rede wert. Ereignisse, die kaum spürbar vorbeirauschten, sind plötzlich von Bedeutung. Den drei Regisseuren ist durchaus bewusst, dass sie die Autorin bei ihrer Arbeit immer mitdenken müssen. Umso wichtiger sei es für die Inszenierung, auch Widersprüche stehen zu lassen und alles Theatralische zu vermeiden.

Das Bühnenbild besteht aus einem Tisch, einem Stuhl und einem Gerüst im Hintergrund. Ein schlichtes Metallbett hängt an Stahlketten von der Decke herab, ein Ort der Selbstreflexion und mangelnder Bodenhaftung. Den Bettbezug ziert das Motiv der amerikanischen Flagge. Daneben in luftiger Höhe eine spinnennetzartige Schaukelkonstruktion aus transparenten Klebestreifen, die über eine Leiter erreichbar ist und als Gebärstuhl dient.

Dialoghaft, monologisierend und in wechselnden Rollen entwerfen die Schauspieler vor dieser Kulisse ein episodisches Schicksalstableau, das in seiner Schnörkellosigkeit mit dem nüchternen Stil von Sylvia Plaths Roman korrespondiert. "Meine Heldin werde ich selbst sein", proklamiert Esther ihr Vorhaben, einen Roman zu schreiben und mutiert auf der Bühne mit all ihren Zweifeln zur Heldin des eigenen Zusammenbruchs. "Ich brauche Erfahrung! Wie kann ich über das Leben schreiben, wenn ich nie eine Liebschaft gehabt, nie ein Kind bekommen, nie jemanden sterben sehen habe?" Und während sich die Schreibblockade zur Lebensblockade und die Lebensblockade zur Schreibblockade auswächst, gerät der Alltag unmerklich zur existenziellen Bedrohung. "Es hatte nichts mit mir zu tun, und trotzdem ließ mich die Frage nicht los, wie es wäre, die Nerven entlang bei lebendigem Leib zu verbrennen."

"Lady Lazarus", Premiere am Freitag, 22. September, um 20 Uhr im Pepper Theater, Thomas-Dehler-Straße 12, und am Samstag, 23. September, um 20 Uhr, sowie als Hörspiel zum Download unter www.radiomuenchen.net

© SZ vom 22.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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