Urteile gegen Klimaaktivisten:Kleben ist "kein adäquates Mittel des Meinungskampfes"

Urteile gegen Klimaaktivisten: Klimaaktivisten kleben sich auf der Fahrbahn am Stachus fest und blockieren so den Verkehr.

Klimaaktivisten kleben sich auf der Fahrbahn am Stachus fest und blockieren so den Verkehr.

(Foto: Leonhard Simon)

Das Münchner Amtsgericht verurteilt drei Klimaaktivisten der "Letzten Generation" wegen Nötigung zu Geldstrafen: Sie hatten am Stachus den Verkehr blockiert. Die Richterin findet die Art des Protests "verwerflich" - und vor Gericht fließen die Tränen.

Von Susi Wimmer

Drei Mitglieder der Umweltschutzbewegung "Letzte Generation" sind wegen Nötigung in zwei Fällen vom Münchner Amtsgericht zu Geldstrafen von je 450 Euro verurteilt worden. Die zwei Frauen und ein Mann waren Teil einer Gruppe, die sich im November am Stachus auf beiden Fahrtrichtungen der Sonnenstraße aneinander oder auf den Asphalt geklebt hatten. Richterin Melanie Martinez Esturo sah in der Aktion "kein adäquates Mittel des Meinungskampfes".

Judith B. ist 42 Jahre alt, studierte Grafik-Designerin, Mutter von zwei Töchtern im Alter von neun und zwölf Jahren. Vor zwei Jahren, so erzählt sie, sei ihre Welt noch in Ordnung gewesen: Schrebergarten in Berlin, Fleischkonsum und Flugzeugreisen reduziert. Das Bewusstsein für den Klimawandel sei da gewesen, "aber ich dachte immer: Es wird ja was getan". Bis sie bei einer Recherche auf den CO₂-Ausstoß aufmerksam wurde und den Energieverbrauch in verschiedenen Ländern - sie dachte: "Wir rasen mit Vollgas in die Klimakatastrophe." Sie habe ein Gefühl von Ohnmacht empfunden, sagt sie und weint. Nun wolle sie friedlich Druck auf die Regierung ausüben. Dafür nahmen sie und ihre Mitstreiter auch eine Präventivhaft in Stadelheim von 23 Tagen in Kauf.

"Wir wollten die größtmögliche Störung erreichen", räumt auch Jakob B. ein. Der 29-Jährige erklärt, die Blockade sei keine Respektlosigkeit der Demokratie gegenüber. Im Gegenteil, "Regeln sind wichtig". Aber: "Wir rasen auf eine absolute Katastrophe zu und unsere Bundesregierung tut nichts." Wenn man in Deutschland denke, man werde schon irgendwie davonkommen, "dann hat uns das Ahrtal eines Besseren belehrt". Die Sitzblockade sei so angelegt gewesen, dass man in der Mitte eine Rettungsgasse hätte bilden können. Man habe sich München als Aktionsort ausgesucht, sagt der Leipziger, weil hier kurz zuvor demonstrierende Wissenschaftler weggesperrt worden seien. "Das können wir nicht tolerieren."

Mirian M. weint, als sie erzählt, sie sei Buddhistin und eigentlich konfliktscheu. Sich auf die Straße zu kleben, koste sie erhebliche Überwindung. "Warum müssen wir so etwas machen", sagt sie unter Tränen. Eigentlich müsse es für die Regierung selbstverständlich sein, Leben zu schützen.

"Wo kämen wir hin, wenn jeder so handeln würde?"

Mehr als ein Dutzend Aktivisten hatten sich am 3. November festgeklebt. Zuerst am Vormittag, nach Feststellung ihrer Personalien durch die Polizei dann erneut am Abend. Polizisten sagen aus, dass ein Rettungswagen am Sendlinger Tor habe wenden müssen aufgrund des Staus. Ein eiliger Bluttransport habe über die Tramschienen geleitet werden müssen.

"Die Ziele sind lobenswert", sagt auch der Staatsanwalt zu den Aktivisten. Aber der Rahmen des gesetzlich Erlaubten werde überschritten. "Wo kämen wir hin, wenn jeder so handeln würde?" Verteidiger Jochen Ringler will einen Freispruch erwirken, weil ein "rechtfertigender Notstand" vorliege. Es bestehe eine gegenwärtige Gefahr. "Wenn man keine Hilfe von Behörden erwarten kann, bleibt nichts anderes übrig, als selbst tätig zu werden", sagt er.

Die Richterin empfiehlt den Aktivisten, "anderweitig" auf die Politik einzuwirken. Diese Art und Weise der Demonstration sei als "verwerflich" anzusehen. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

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