München:Lebendes Arten-Archiv

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Auf dem Gelände der Zoologischen Staatssammlung lässt ein Münchner Radiologe und Naturschützer ein ungewöhnliches Biotop entstehen

Von Kirsten Wolf

Richtig schön sollte alles aussehen für den Fototermin. Schließlich ist Hochsommer, August, da ist alles reif, üppig - und jetzt? Es raschelt unter den Schritten, wenn man Ernst Habersbrunner über "sein" Gelände an der Münchhausenstraße folgt. Er hält einen Wasserschlauch auf staubtrockene Erdwälle und kleine, müde Topfgewächse. Die Hitzewelle der vergangenen Wochen hat auch hier einen viel zu frühen Herbsteffekt erzeugt. Der 55-Jährige ist Facharzt für diagnostische Radiologie in einer großen Gemeinschaftspraxis in München. Seine Leidenschaft für die Biologie lebt der Niederbayer seit Jahrzehnten im aktiven Naturschutz aus. Beim Bund Naturschutz in Bayern leitet er die Ortsgruppe München West. 2014 ergab sich über Kontakte zur Zoologischen Staatssammlung München (ZSM) der Auftrag, das mehrere tausend Quadratmeter große Gelände der ZSM zu "revitalisieren und die Artenvielfalt deutlich anzuheben", erklärt Direktor Gerhard Haszprunar. Damit könne man auch verschiedene umweltsensible Wildbienenarten wieder sesshaft machen. In dem halb unterirdischen Gebäudekomplex der Forschungseinrichtung werden etwa 30 Millionen "Inventareinheiten" aufbewahrt, dokumentiert in einer weltweit einzigartigen Datenbank.

Lange war auf diesem Geländeteil einfach nur Wiese, mit lockerem Baumbestand. Ein Paradies für mäusejagende Katzen und - nicht erlaubtes - "Leinen los"-Revier für Hunde. Doch seit gut vier Jahren tut sich gezielt etwas, anfangs von den Nachbarn kaum bemerkt, dann mit wachsender Neugier beäugt. "Ja, ich werde wohl mal eine Führung organisieren", seufzt der Gärtner etwas schuldbewusst, aber die Zeit, die Zeit... Noch in diesem Herbst will er das anbieten. Dann werden interessierte Obermenzinger erfahren können, was in den vier Jahren seit Projektstart entstanden ist und wer hier (wieder) Lebensraum gefunden hat. Ernst Habersbrunner zählt auf: Sternküchenschelle, rauer Alant, Felsennelke, dornige Hauhechel und vieles mehr. An Sträuchern sind es Regensburger Geissklee, Felsenkreuzdorn, Sanddorn, Berberitze, diverse Wildrosen; bei den Tieren nennt er Spechtarten, Rotkehlchen und Zaunkönig, Blindschleiche, Zauneidechse, Erdkröte, Grasfrosch und Bergmolch, immer mehr Schmetterlinge und, natürlich, Wildbienen. Außerdem gebe es einen bemerkenswerten Bestand an Glühwürmchen. "Und die Golddistel", schickt er hinterher, als sein Blick auf einen Bestand Trockenblumen fällt, "was meinen Sie, wie da die Distelfinken einfallen werden!"

Hilfe zur Selbsthilfe für die Natur: Ernst Habersbrunner mit Hund Charly unterwegs im Biotop.

Viele Pflanzen-, Vogel- und Insektenarten haben es sich seit dem Projektstart auf dem Gelände an der Münchhausenstraße heimisch gemacht.

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(Foto: Sebastian Gabriel)

Ein ausgedienter Kleiderschrank dient...

...als Wohnangebot für Wildbienen und andere Insekten.

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(Foto: Sebastian Gabriel)

Nahrung finden die Insekten im Gelände genug - hier im Bild eine Distel.

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(Foto: Sebastian Gabriel)

Ein neu angelegtes Biotop.

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(Foto: Sebastian Gabriel)

Labrador Charly stillt seinen Durst.

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(Foto: Sebastian Gabriel)

Weiter geht die Tour, duchs Dickicht,...

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(Foto: Sebastian Gabriel)

... vorbei an Weißdorn...

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(Foto: Sebastian Gabriel)

Holzskulpturen von Justus Müller,...

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(Foto: Sebastian Gabriel)

...und einem ehemaligen Bühnenbildner an den Münchner Kammerspielen, der sich dort eine kleine Freiluft-Werkstatt eingerichtet hat.

Weiter geht es, vorbei an Aushubflächen, Erdhügeln mit Totem in der Mitte, Erdwällen mit alten Obst- und Gemüsesorten, Staudentöpfen, Mini-Teichen, einer Schlehenbaum-Gruppe und jeder Menge Totholz. "Wir schaffen so wenig wie möglich weg, man kann alles irgendwie nutzen", sagt Habersbrunner. "Vorsicht! Da hab' ich was ausgesät..." Er zeigt auf eine kleine runde Kiesfläche, die sich als Tritthilfe durch das Gras anbietet. Außer Stein und Erde ist eigentlich nichts zu sehen. Oder meint er etwa dieses winzige Grün da?! "Ja, das wird ein gekielter Lauch."

Seit er und seine Mitarbeiter vom BN hier rar gewordene Pflanzen, Kräuter und Sträucher ansäen, die für die Münchner Schotterebene typisch sind, und seit sie für Wildbienen nutz- und bewohnbare Strukturen schaffen, "summt und brummt es dort deutlich mehr als noch vor ein paar Jahren", sagt ZSM-Direktor Haszprunar. Damit es nicht bei dem optischen Eindruck bleibt, stellen wissenschaftliche Mitarbeiter immer wieder mal Malais-Fallen auf, um die Bestände kleinerer Fluginsekten zu überprüfen. Tatsächlich nehmen immer mehr Wildbienenarten die Angebote wahr. Die meisten von ihnen leben nicht wie die Honigbiene in Völkern, sondern sorgen als "Solitäre" für ihren Nachwuchs. Je nach Art bauen sie ihre Brutgänge in von Käfern durchlöcherten Baumresten, in das Mark abgestorbener Äste, in Sandhügel und in die "Steilwände" von Erdgruben, einfach in den Boden oder in Insektennisthilfen, die für sie gebaut und aufgestellt wurden. In einem alten, ausgedienten Kleiderschrank stecken jede Menge Hölzer mit unterschiedlich großen Bohrlöchern. "Die Löcher müssen sehr fein gebohrt und abgeschliffen werden, damit die Wildbienen sie annehmen, das ist eine Menge Arbeit." Denn an zu scharfen oder rissigen Kanten könnten sie sich verletzen, "Wildbienen haben sehr zarte Flügel."

Viele freie Stunden verbringt der Radiologe auf dem Gelände an der Münchhausenstraße, oft mit Hund, einem schwarz glänzenden Labrador. Charly wälzt sich im Gras und bleibt mit einem knochentrocknen Berberitzenast in der Schnauze am Bein der Besucherin hängen - was trotz Jeans ziemlich pikst. Sein Vorgänger Nick, ein Mischling, hatte sogar gärtnerische Ambitionen, erzählt der Niederbayer, "als ich auf einem anderen Gelände Stauden gesetzt habe, blieb er immer drei Pflanzen hinter mir und grub sie wieder aus. Er war stolz, das er mittun konnte".

Helfer braucht der naturverliebte Mediziner allerdings, wenn auch sensiblere. Und auch welche, die richtig mit anpacken können, wie Justus Müller, ehemaliger Bühnenbildner bei den Münchner Kammerspielen. Eine kleine Freiluft-Werkstatt hat der sich auf dem Gelände eingerichtet, für die vielen Holzarbeiten, manchmal ist auch Zeit für eigene Kunstwerke. "Er denkt sehr klar und strukturiert", sagt Habersbrunner, "und treibt mir manchmal Flausen aus dem Kopf, wenn ich zu viele Ideen auf einmal umsetzen möchte."

Der Radiologe war gerade auf Madeira, Urlaub mit der Frau und den drei Kindern. "Herrlich war's" sagt er, meint damit allerdings mehr das familiäre Zusammensein, nicht so sehr die arrangierte Blumenpracht - "das ist ja eher das Gegenteil von unserer Arbeit hier." Viel Zeit für Privates bleibt Wildgärtner Habersbrunner aber nicht, er ist auch noch auf anderen Flächen für den Bund Naturschutz im Einsatz. Dass er in München immer damit rechnen muss, das eine oder andere Grün an Bauprojekte zu verlieren, nimmt er mittlerweile hin - "sonst würde ich ja gar nicht mehr froh werden." Doch hier, in diesem Projekt, stecke schon am meisten Herzblut. Demnächst wird die Zoologische Staatssammlung unterirdisch erweitert, doch "sein" Gelände bleibe davon weitgehend unberührt, keine Sorge. Im Gegenteil, sagt Ernst Habersbrunner, es kämen dann ja noch ein paar Dachflächen hinzu, die er in Gedanken bereits einbeziehe in seine Zukunftspläne: "Die kann uns dann niemand mehr wegnehmen, weil sich da nichts mehr draufbauen lässt."

© SZ vom 24.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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