Wählen ab 16:"Ich will mitbestimmen, wer mich regiert"

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Die Mutter erklärt ihrer Tochter, wie das mit dem Wählen funktioniert. Die U18-Wahl soll Kinder und Jugendliche neugierig machen auf Politik. (Foto: Catherina Hess)

Grün sähe der Landtag aus, wenn Münchner Kinder und Jugendliche wählen dürften. Das legt zumindest das Ergebnis der U18-Wahl nahe. Ein Besuch bei den jungen Wählerinnen und Wählern.

Von Kathrin Aldenhoff

Die Münchner Kinder und Jugendlichen haben schon gewählt: Und wenn es nach ihnen ginge, dann sähe der bayerische Landtag ziemlich grün aus. Die meisten Zweitstimmen und vier Münchner Stimmkreise für die Grünen, einer für die SPD und einer für die CSU - für drei der insgesamt neun Münchner Stimmkreise gibt es keine Ergebnisse bei dieser U18-Wahl.

Und auch wenn man dieses Ergebnis vielleicht nicht allzu ernst nehmen sollte: Es ist auch nicht so, dass es keine Bedeutung hat, wenn ein 15-Jähriger sein Kreuz bei der FDP macht, weil er der Meinung ist, die tun was für die Wirtschaft, und erzählt, dass sein Kumpel keine Ausbildungsstelle bekommen hat. Wenn ein Siebenjähriger erzählt, er habe für mehr Bäume abgestimmt. Und eine 14-Jährige sagt, dass sie es unfair findet, dass für arme Kinder nur zwei Milliarden Euro da sind, Reiche aber Subventionen bekommen, wenn sie eine Solaranlage auf ihr Dach bauen.

An einem sonnigen Septembernachmittag in Neuhausen zeigt sich, dass Kinder und Jugendliche durchaus wissen, was sie wollen. Und was nicht.

Vor dem Jugendtreff und Abenteuerspielplatz "Oase" sind ein paar Biertische aufgestellt, es hängen bunte Wimpel in den Bäumen und Kinder flitzen über die Kreuzung; die ist an diesem Tag noch einmal zur Spielstraße geworden, das letzte Mal in diesem Jahr. Es sind Spiele aufgebaut, ein Tisch zum Malen, und Mitarbeiterinnen der Oase haben eine Wahlurne aufgestellt. Die Stimmzettel liegen bereit, Erst- und Zweitstimme, so wie bei der echten Wahl - nur etwas kompakter, leichter zu falten.

Eine Mutter steht mit ihrer Tochter, fünfeinhalb, vor der Wahlkabine. Die Kleine geht hier um die Ecke in den Kindergarten und bei der Gelegenheit könne man das mit der Politik ja gleich mal üben, meint die Mutter. "Mir ist es wichtig, dass meine Tochter einen klaren Blick auf die Dinge bekommt. Sie soll ein Interesse entwickeln für ihr Land und für das, was hier passiert."

Neben ihr steht die 14-jährige Laura. Sie hat schon vor ein paar Tagen gewählt, die Grünen. Sie sagt, sie habe nicht das Gefühl, dass die Politikerinnen und Politiker sich für die Jugend interessieren. "Sie reden viel, aber wenn's drauf ankommt, dann machen sie doch nichts."

Es ist U18-Wahl, organisiert vom Bayerischen Jugendring (BJR); acht Tage lang dürfen alle Kinder und Jugendlichen wählen und ihre politische Meinung kundtun. Mehr als 2700 Münchner Kinder und Jugendliche werden am Ende in 33 Wahllokalen ihre Stimme abgegeben haben: meist in Jugendtreffs, in Stadtbibliotheken und in einigen Schulen. Die Stimmzettel werden ausgezählt wie bei einer echten Wahl - nur dass sich danach kein Parlament, keine Regierung nach dem Willen der Wählerinnen und Wähler bildet.

Wirklich abstimmen, mit ihrer Stimme die Politik beeinflussen, das dürfen Jugendliche zwar in Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Brandenburg bei den Landtagswahlen, in Bayern aber nicht. Grüne, FDP und SPD sind dafür, dass 16-Jährige wählen dürfen, die CSU ist dagegen.

Bei der U18-Wahl dürfen alle zumindest mal ausprobieren, wie es sich anfühlt, sich für eine Partei zu entscheiden, seine Meinung zu äußern. Die Parteien haben Fragen des BJR zu einzelnen Politikfeldern beantwortet, diese Broschüren liegen in den Wahllokalen aus, in Neuhausen haben die Mitarbeiterinnen auch noch Fotos der Direktkandidaten aufgehängt. Die Idee hinter alldem: Interesse wecken, junge Menschen an Politik heranführen.

Nicole Endrich macht das jeden Tag, auch wenn gerade keine Wahl ansteht. "Wir üben hier täglich im Kleinen, wie Demokratie funktioniert", sagt die Sozialpädagogin. Sie leitet die Oase in Neuhausen, hat auch diesen Wahltag in der Spielstraße mit organisiert. Seit Jahren haben sie in der Oase ein Kinder- und Jugendparlament, erzählt sie. Sie diskutieren, wann das nächste Mal Waffeln gebacken werden, ob in einer Hütte ein Holzbrett wieder entfernt wird oder ob es Tiere auf dem Spielplatz geben soll. Wenn ein Kind etwas will, dann geht es zu einem der Mitglieder des Kinderparlaments und gibt ihm einen Zettel mit seinem Wunsch.

In den letzten Tagen stand die U18-Wahl-Urne im Freizeittreff. Eine Gruppe Jungs, zwischen 15 und 18 Jahren, hatte keine Lust, ihre Stimme abzugeben. "Bringt doch eh nichts", sagten sie. Da hat Nicole Endrich ihnen erklärt, dass man auch gegen etwas stimmen kann. Dass man sich einsetzen muss, wenn man etwas erreichen will. Dann haben sie gewählt.

Er hat sich überzeugen lassen, das mit dem Wählen mal auszuprobieren: ein 15-jähriger bei der U18-Wahl. Insgesamt geben mehr als 2700 Münchner Kinder und Jugendliche ihre Stimme ab. (Foto: Catherina Hess)
Eine Besucherin hat bei der Oase in Neuhausen einen von 50 Zetteln gezogen mit Gründen, weshalb man zur Wahl gehen sollte. (Foto: Catherina Hess)

Einer von ihnen, ein junger Mann, 16 Jahre alt, mit Bart und Basecap, sagt, er würde gerne wirklich wählen. "Politik ist wichtig. Die machen die Regeln, an die man sich halten muss. Ich will mitbestimmen, wer mich regiert."

Sein Kumpel, der 16-jährige Nihad, meint auf die Frage, was er sich politisch wünscht: dass Menschen, die arbeiten, mehr Geld haben sollten als diejenigen, die nicht arbeiten. Und dass Alleinerziehenden mehr geholfen werden sollte. "Ich weiß aber nicht, ob das politisch ist", sagt er und zuckt mit den Schultern.

An dem Septembernachmittag in Neuhausen liegt neben der Wahlurne ein Klemmbrett mit der Petition "Wählen ab 16." Die beiden jungen Männer dürfen sie allerdings nicht unterzeichnen - erst ab 18.

Franz Märtl, Pressesprecher des Bündnisses Vote 16, ist selbst bei der FDP und sagt: "Ganz viele junge Menschen übernehmen Verantwortung und zahlen zum Beispiel Steuern. Deshalb sollten sie politisch auch ein Mitspracherecht haben." Die U18-Wahl findet er super. Die Ergebnisse zeigten immer wieder, dass auch Jüngere reif seien, solche Entscheidungen zu treffen.

Bayernweit übrigens sehen die Ergebnisse bei der U18-Wahl anders aus als in der Landeshauptstadt. Da liegt die CSU vorne bei den Zweitstimmen, mit 26,12 Prozent. An zweiter Stelle: die AfD, 14,91 Prozent.

Am Zaun zum Sportplatz haben Mitarbeiterinnen der Oase Bilder der Kandidaten und die Positionen der Parteien zu den großen Themen aufgehängt. (Foto: Catherina Hess)

Deutlich unter 16 Jahren sind die drei Kinder, die nun neben Nicole Endrich stehen und gerne wählen möchten. Nur wen sie wählen sollen, das wissen sie noch nicht. Sie wollen es davon abhängig machen, was die Parteien für den Klimaschutz tun. Die Sozialpädagogin geht mit ihnen zum Zaun, an dem sie die Broschüre ausgehängt haben, und liest vor: "In der nächsten Legislaturperiode möchten wir zehn Milliarden Euro in die Hand nehmen und die Energiewende zu einem Gemeinschaftsprojekt machen, von dem alle Menschen profitieren." Oder: "Unser Kurs ist: Heimatenergien nutzen, Versorgungssicherheit stärken, Planungssicherheit geben."

Die Kinder machen große Augen, Nicole Endrich schüttelt den Kopf, versucht es mit eigenen Worten, am Ende gehen die drei rüber zur Wahlkabine und machen ihre Kreuzchen. Am Ende dieses Tages haben 110 Kinder und Jugendliche vor der Oase ihre Stimme abgegeben. Und Nicole Endrich hat ein neues Vorhaben: Nämlich bei der nächsten Wahl Antworten von den Parteien zu bekommen, die Kinder auch verstehen. Damit die jungen Menschen gute Entscheidungen treffen können.

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