Prozess am Landgericht:Mann schaltet Nachbarschaft den Strom ab

Lesezeit: 2 min

Zur Verhandlung kommt Holger B. zu spät (Archivbild). (Foto: IMAGO/biky)

Der Angeklagte demolierte einen öffentlichen Verteilerkasten und verursachte einen Stromausfall in den umliegenden Straßenzügen. Auffällig war er nicht zum ersten Mal.

Von Susi Wimmer

Holger B. kann nicht an sich halten. Egal, ob der Vorsitzende Richter Gilbert Wolf spricht, ein Zeuge oder sein eigener Verteidiger, er fällt allen ins Wort, empört, aggressiv, genervt. Der 48-Jährige steht wegen eines nicht gerade alltäglichen Delikts vor Gericht: Störung öffentlicher Betriebe ist der juristische Begriff für das, was Holger B. getan hat. Er hat einen öffentlichen Stromverteilerkasten demoliert, sodass in den umliegenden Straßenzügen im Stadtteil Zamdorf für eine Stunde der Strom ausfiel.

Der Beginn der Verhandlung vor dem Landgericht München I verschiebt sich, Holger B. kommt zu spät. Der korpulente Mann nimmt auf der Anklagebank Platz, nennt auffallend laut seinen Namen, bezeichnet sich als Lichttechniker, und als Wolf nach seiner Staatsangehörigkeit fragt, antwortet er "alemannisch". Ob er sich jetzt zu allen Vorwürfen äußern soll, pampt er den Richter an.

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Ja, räumt er schließlich ein, er habe im August 2020 an der Nettelbeckstraße, Ecke Ida-Pfeiffer-Straße, den Stromverteilerkasten geöffnet "und die Sicherungen gezogen, aber die Wasserversorgung war in keinster Weise betroffen". Dann erklärt er weiter, dass ihm einige Geräte durchgeschmort seien, ein Halogenfluter sei explodiert, "weil die Spannung zu hoch war". Damit habe er auf "die Überspannung" im Stromnetz hinweisen wollen. Er habe auch schon mal als "nicht-berufsmäßiger Elektriker gearbeitet". Anschließend habe er den Kasten wieder verschlossen und den Kindern auf der Straße dort gesagt, sie sollten besser nach Hause gehen. Außerdem habe er an dem Nachmittag fast eine ganze Flasche Whisky getrunken, "mindere Qualität, miserabel, zum Desinfizieren, weil es mir nicht gut ging".

Ein Nachbar erzählt da eine ganz andere Geschichte: Dass B. den Verteilerkasten aufgebrochen und die Nachbarskinder angeschnauzt habe, das gehe sie gar nichts an. Dann sei er verschwunden. Die Kinder seien vor dem offenen Kasten gestanden, aus dem die Drähte herausragten. "Eine Nachbarin hat das gesehen, die Polizei verständigt und die Kinder weggeholt."

Überhaupt falle Holger B. seit geraumer Zeit durch Pöbeleien, Aggressivität und Beleidigungen auf. "Einmal hat er eine Eisenplatte in Richtung eines Nachbarn geworfen, einmal ist er mit einem Verkehrsschild herumgelaufen und hat damit an Türen gehämmert." Und einmal sei auch der Satz "I kill you" - ich bringe dich um - gefallen. "Ich muss austreten, ich hab eine schwache Blase", plappert der Angeklagte dazwischen. "Sie warten noch", sagt ihm der Richter.

Holger B. hat vor vier Jahren mit 1,88 Promille einen Unfall verursacht, "die haben im toten Winkel gewartet, bis ich rüberzog", sagt er dazu. Außerdem versichert er, dass er "nie gesoffen" habe. Dabei war er 2018 im Isar-Amper-Klinikum wegen "akutem Rausch und Verhaltensstörungen". Ob und wie B. verurteilt wird, ob er überhaupt schuldfähig ist, entscheidet die 8. Strafkammer am Dienstag.

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