Ein Kunstprojekt zieht um:Wenn das Prinzip Zwischennutzung zum Problem wird

Lesezeit: 3 Min.

Fotografin Anne Obermeier nutzt das Fotolabor in der "Gabi". Das Kunstprojekt unterstützt junge Künstlerinnen und Künstler mit Ateliers- und Ausstellungsräumen. (Foto: Robert Haas)

Die jungen Künstler aus der "Gabi" sind schon mehrmals in neue Atelierräume gezogen, haben Fotolabor, Schneidetische und ihr E-Piano ab- und aufgebaut. In einigen Wochen wird es wieder so weit sein, sie müssen raus - nur wohin sie ziehen, das ist noch völlig unklar.

Von Ellen Draxel

Die Heißklebepistole in Maja Höcks Hand tropft. Gekonnt setzt die 19-Jährige das Werkzeug an dem roten Perückenkopf an und entlockt dem Gerät glitzernde Fäden. Auf diese Weise entsteht eine Art Kristallkrone - eine extravagante Form der Kopfbedeckung. Maja Höck studiert Modedesign. Gemeinsam mit ihrer Kommilitonin Mine Richardsen kreiert sie fantasievolle Kleider aus verschiedenen Mustern und Materialien, in jeder freien Minute treffen sich die beiden im ersten Stock der Ridlerstraße 13-15. Hier, in den Räumen des Kreativ- und Bildungsprojekts "Gabriele Space", haben sie eine eigene Atelierecke. "Die 'Gabi' ist unser Zufluchtsort", sagt Maja. "Ein Ort, an dem wir als Künstler wachsen und uns ausdrücken können."

Ein kommerzfreier Bildungsort - der sich nun, zum wiederholten Male, ein neues Zuhause suchen muss. Denn am 31. März endet der Mietvertrag für das Zwischennutzungsprojekt im Westend. Danach, so hat es der Stadtrat vor wenigen Tagen beschlossen, sollen die ehemaligen Bürogebäude zur neuen Bleibe für Geflüchtete werden. 80 Zimmer mit Platz für rund 260 Menschen sollen entstehen, sie werden dringend benötigt. Geschätzte Umbauzeit: neun bis zwölf Monate.

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Beim Träger Kontrapunkt, der mit der Projektplattform International Munich Art Lab (Imal) den Gabriele-Kunstraum vor vier Jahren geschaffen hat, hofft man nun, wenigstens so lange bleiben zu können, bis die Häuser wirklich umgebaut werden. "Der Zeitpunkt ist ja noch offen", sagt Kristin Weber. "Wir sind deswegen auch im Gespräch mit dem Bezirksausschuss Schwanthalerhöhe."

Die Lokalpolitiker, die die Nutzung des Anwesens als Geflüchteten-Unterkunft im Sinne einer gerechten Verteilung der Unterkünfte innerhalb Münchens ausdrücklich begrüßen, haben die Kommune gebeten, die ebenfalls "sehr begrüßenswerte Einrichtung" Gabriele möglichst lange am jetzigen Standort zu belassen und "nach einem geeigneten Alternativstandort für die Einrichtung zu suchen". Kristin Weber persönlich fände eine Zusammenarbeit mit den Geflüchteten "cool" - zumal der im Kreativquartier in Neuhausen beheimatete Träger bereits 2015 Erfahrungen in diesem Bereich gesammelt hat.

Sich immer wieder neue Räume suchen zu müssen, ist für das "Gabi"-Team nichts Neues. Das Jugendhilfe-Projekt, das es sich auf die Fahnen geschrieben hat, junge Künstler und Künstlerinnen im Alter zwischen 18 und 27 Jahren zu fördern, indem ihnen kostenfrei Werkstätten, Ateliers, Diskurs- und Ausstellungsräume zur Verfügung gestellt werden, war zunächst im ehemaligen Ausbildungszentrum der Spengler-, Sanitär- und Heizungs-Innung an der Gabrielenstraße 3 in Neuhausen untergebracht - daher auch der Name "Gabriele". Nach dem Abriss des Komplexes wechselte das Projekt in zwei Gebäude an der Waldfriedhofstraße 92 und 94. Die rund 1200 Quadratmeter an der Ridlerstraße nutzen die jungen Künstler seit Oktober 2022.

Luis Strobl zum Beispiel. Der 23-jährige Kunststudent malt mit Acrylfarbe und Kohle, in der "Gabi" hat er dank eines Arbeitsstipendiums erstmals eine Installation ausprobiert. Drei Wochen lang konnte er einen 50 Quadratmeter großen Raum nach seinem Geschmack gestalten, samt vogelartiger Skulptur in der Mitte. Und das Ganze anschließend vor Publikum präsentieren. Oder Paula Stinshoff, genannt Motte, die Masken anfertigt und einen Platz braucht, "um sich mit anderen auszutauschen und das umzusetzen, was ich im Kopf habe".

Die Modedesignerinnen Mine Richardsen und Maja Höck verbringen jede freie Minute in der "Gabi" - um an neuen Werken zu arbeiten. (Foto: Robert Haas)
Die Räume sollen jungen Künstlerinnen und Künstlern Möglichkeiten bieten, sich auszuprobieren. (Foto: Robert Haas)

60 junge Leute sind regelmäßig in der "Gabi". Maler, Grafiker, IT-Künstler, Kreativwirtschaftler. Sie vernetzen und unterstützen sich, erhalten vom Team Ausbildungstipps und Hilfe bei Bewerbungen. Hier haben sie Freiräume, die ihnen anderswo fehlen, dazu Drucker, Scanner, Schneidetische, Nähmaschinen, ein E-Piano, ein analoges Fotolabor. Eben "Möglichkeitsräume", wie Projektleiterin Nina Aeberhard es nennt, um sich in geschützter Atmosphäre frei entfalten zu können. "Man muss bei uns nichts, das Projekt ist kooperativ aufgebaut, wodurch die Leute auch ein Selbstbewusstsein entwickeln. Das ist das Besondere an diesem Ort."

Die dauernden Umzüge infolge der Zwischennutzungen aber, sagt Kristin Weber vom Träger Kontrapunkt, die seien schon "irre anstrengend". Abgesehen vom Abbauen, Ausmisten und wieder Aufbauen gestalteten sich mangels fester Termine auch Ausstellungen schwieriger. Und für die jungen Leute, die oft in prekären Verhältnissen leben, bedeute solch ein Cut häufig, dass sie in ihren Mini-WG-Zimmern auch noch all ihre Sachen unterbringen müssten.

Langfristig würde der "Gabriele Space" deshalb am liebsten dauerhaft im Kreativquartier an der Dachauer Straße unterkommen. Doch bis dahin braucht es eine weitere, bezahlbare Interimslösung: zentral gelegene, gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbare Räumlichkeiten, zwischen 500 und 1500 Quadratmeter groß und mit Toiletten, Küche, Strom und Heizung ausgestattet.

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