Null Acht Neun:Bumsvoll in München

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"Take a minute", sagt Johnny Depp, "and chill!" Man zögert kurz, hat er vielleicht recht? (Foto: IMAGO/Lehtikuva)

Der Super-Kultur-Juli treibt die Münchner an ihre Grenzen. Es gilt jetzt: trainieren und durchhalten - denn Fomo ist groß. Besonders an diesem Wochenende.

Kolumne von Christiane Lutz

Samstag, 16. Juli 2022 in München: Früh aufgewacht, weil unter dem Fenster schon seit den Morgenstunden die Flohmarkt-Händler bei der Arbeit sind und Menschen sehr laut um ausrangierte Waffeleisen und Kinderskihosen feilschen, die sonst auch nie jemand haben wollte. Dann, beim Bäcker, kommt man kaum bis zur Theke vor, denn dort stehen noch sämtliche Mitglieder der Rolling Stones und Guns N' Roses und die Frisur von Gitarrist Slash herum, die nach ihren Konzerten neulich noch ein paar Tage in der Stadt geblieben sind, es sei so viel geboten, sagen sie. Aber schnell weiter, die Zeit drängt, denn um zwölf beginnt ja schon der CSD in der Innenstadt, das heißt: Paraden, Getümmel, Getöse, Kapellen und sehr viele Menschen.

Juli 2022 heißt: bumsvoll in München. Alle, wirklich alle Veranstaltungen, die wegen Corona vertagt wurden und solche, die neu angesetzt oder noch irgendwo hinten links gefunden wurden, finden genau jetzt in München statt. Gleichzeitig. Für die Münchner bedeutet das viel Disziplin und ein großes Organisationstalent, weil Fomo ist groß, also die "Fear of missing out" - die Angst, etwas zu verpassen. Und das geht in diesem kurzen Sommer natürlich gar nicht.

Literaturhausfeste, Lesungen, Großkonzerte in Stadionumfang von sogenannten Altrockern, Klassik hier, Klassik da, die Theater holen zur letzten großen Runde vor der Sommerpause aus, Clubbing des nachts, ach und Tollwood ist ja auch noch. München platzt kulturell aus wirklich allen Nähten. Also schnell ein bisschen beim CSD Tequila gekippt für die Kondition, ein bisschen getanzt, die Schönheit aller Körper und Gender gefeiert, und weiter geht's schon Richtung Olympiapark, wo der Münchner Sommernachtstraum mit Konzerten und Entertainment lockt.

Aber huch, auf dem Weg dorthin bemerkt: Es ist ja auch noch Oper für alle am Samstag. Leoš Janáčeks "Das schlaue Füchslein" wird aus dem Haus heraus auf den Platz vor der Oper übertragen, das kann man natürlich nicht auslassen. Also eine schnelle Bratwurst geholt und los, ganz Theatermünchen ist am Start, servus hier, grüß Gott da, ist das da vorn Schauspielerin Verena Altenberger auf der Durchreise zum "Jedermann" nach Salzburg?

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Leider keine Zeit, das en détail herauszufinden, weiter geht's. An einem kurzen Zwischenstopp bei Sting auf dem Tollwood kann natürlich kein Weg vorbeiführen, schließlich wurde sein Konzert in München bereits zweimal verschoben, wer weiß, wann der nächste Lockdown kommt. Also hin da und Roooooxaaaannne! gegrölt, check.

Beim Verlassen der Musik-Arena, gewisse Erschöpfungserscheinungen machen sich schon breit, grüßt ein Mann mit Sonnenbrille mit einem sehr großen Glas Wein prostend. Es ist Johnny Depp, der nach seinem Auftritt auf dem Tollwood den Absprung noch nicht recht geschafft hat. "Take a minute", sagt er, "and chill!" Man zögert kurz, hat er vielleicht recht? Ist das vielleicht alles too much? Aber nix da, Johnny, drüben im Olympiapark beginnt gleich das Feuerwerk.

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