Kulturzentrum Köşk:Abriss-Festspiele im Westend

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Julia Ströder (links) und Andrea Huber leiteten neun Jahre lang das "Köşk" im Westend. (Foto: Robert Haas)

Das "Köşk" hat München ein bisschen schräger und verrückter gemacht. Nun schließt das Kulturzentrum. Es gibt eine große Abschiedsfeier - aber auch Pläne, wie es danach weitergeht.

Von Franziska Gerlach

Einmal bemängelte eine Frau aus der Nachbarschaft, das sei ja gar kein richtiges "Köşk", so ganz ohne Gold und Marmor, man solle sich gefälligst mal die noblen Häuser am Bosporus anschauen. Köşk ist türkisch und lässt sich mit Palast oder Villa übersetzen. Andrea Huber muss lachen, als sie diese Anekdote über das Kunst- und Kulturzentrums des Kreisjugendrings München-Stadt (KJR) an der Schrenkstraße 8 in den Julimorgen wirft. Fast neun Jahre hat sie mit ihrer Kollegin Julia Ströder in der ehemaligen Stadtteilbibliothek kostenfreie Ausstellungen, Theaterperformances und Konzerte auf die Beine gestellt, ein bisschen schräg, ein bisschen verrückt, und immer eine Spur unkonventioneller, als man es von München gewohnt war.

Doch zumindest im Westend ist damit nun Schluss, das Köşk war von Anfang an als Zwischennutzung geplant: Im August beginnen Huber und Ströder mit dem Packen, das flache Gebäude mit den bodentiefen Fenstern ist der Abrissbirne geweiht. An der Ecke Schrenkstraße/Westendstraße wird die Stadt als Bauherr voraussichtlich von Anfang 2024 an einen Neubau mit vier Obergeschossen und zwei Untergeschossen realisieren, der neben der neuen KJR-Geschäftsstelle auch mehrere soziale Einrichtungen des KJR München-Stadt beherbergen wird: einen Hort und eine mobile Tagespflege zum Beispiel, eine Beratungsstelle für Azubis sowie das Multikulturelle Jugendzentrum (MKJZ). Weil dessen bisherige Räumlichkeiten ebenfalls abgerissen werden, soll es vorübergehend in Containern am Georg-Freundorfer-Platz unterkommen.

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Das Köşk dagegen feiert mit den "Abriss-Festspielen" ( www.koesk-muenchen.de) an der Schrenkstraße noch bis Sonntag einen Abschied, der eigentlich gar keiner ist: Denn Ströder und Huber - die eine Projektleiterin, die andere künstlerische Leiterin - haben eine neue Bleibe gefunden an der Schillerstraße 38, idealerweise im Herbst soll es dort weitergehen. Huber und Ströder wollen es dann so machen, wie damals im Westend: Erstmal die Menschen im Viertel kennenlernen, ihre Wünsche und Vorstellungen.

Nicht nur ein Zentrum für Kultur, sondern ein Treffpunkt

Im Westend wird das Köşk fehlen. In diesen Tagen würden immer wieder Leute vorbeikommen, die es nicht fassen können, dass es abgerissen wird, erzählen die Frauen. Es gebe einen Nachbarn, der immer montags, wenn das "Community Orchester" probt, die Fenster aufreiße, weil er die Musik so liebe. "Für das Viertel ist das Köşk ganz klar ein Ding, wo man mal vorbeigeht und schaut, was los ist", sagt Ströder. Nicht nur ein Zentrum für Kunst und Kultur. Sondern ein Treffpunkt.

Als Ströder und Huber vor neun Jahren die Schlüssel zur ehemaligen Stadtteilbibliothek entgegennahmen, suchten sie für das Zwischennutzungsprojekt nach einem Namen, der auch Menschen aus fremden Ländern anspricht - und einigten sich auf Köşk. Niemand sollte denken, man würde dem Stadtteil die Gentrifizierung bringen, nicht noch so einen hippen Laden mit einem englischen Titel, teuren Drinks und Yogastunden.

Die Wände vom Köşk sind bemalt, bald wird es abgerissen. (Foto: Robert Haas)

Die Angebote des Köşk waren immer kostenfrei und sollen es auch bleiben, und vermutlich gerade weil hinter dem Projekt eine grundsolide Einrichtung wie der KJR steht, konnte man es sich erlauben, Kommerz als gefallsüchtigen Gegenspieler der Kreativität zu betrachten. Löcher in die Wand schlagen, mit Farbe experimentieren - an der Schrenkstraße durften die Künstler sich ausprobieren. Eine derart unkompliziert zugängliche Fläche für den Wildwuchs tut einer Stadt wie München, wo jeder Zentimeter umkämpft ist, natürlich gut: divers, ungezwungen, spontan. Mit diesem Ansatz gelang es den Macherinnen regelmäßig, die Münchner zu überraschen. Im Frühjahr zeigte etwa eine Ausstellung die Bilder von Valentin Seiler (1997 - 2021), der an einer schweren Muskelerkrankung litt und der in den nur zwei Jahrzehnten seines Lebens ein beeindruckendes Werk an Straßenplänen von fiktiven Städten geschaffen hatte. Auch an das Musikbingo "Oll Inklusiv", eine gemeinnützige Initiative aus Hamburg, erinnern sich Huber und Ströder gern. Und nicht zu vergessen Klub7, ein in Berlin und Halle ansässiges Kollektiv, dessen Künstler dem Köşk gleich noch ein Logo entwarfen, als sie 2015 an der Schrenkstraße ausstellten.

Natürlich gab es auch Stimmen, die der Ansicht waren, die Ausstellungsfläche solle vornehmlich lokalen Künstlern vorbehalten sein. "Aber das ist ja langweilig. Da schwimmt man nur in seiner eigenen Suppe", sagt Huber. Im Köşk ist jeder willkommen: der Obdachlose mit den Plastiktüten, die 80-Jährige mit der Gehhilfe, der Teenager mit dem Traum von der Kunst, den man selbstredend bereitwillig bei der Bewerbungsmappe für die Akademie unterstützte. Besonders stolz waren die Leiterinnen auf das "Köşkival", das inklusive Festival mit dem Motto "Behinderung ist Rebellion".

Ein Wochenende lang gibt es nun noch einmal Konzerte zu erleben. Die Besucherinnen und Besucher dürfen die Wände bemalen, Farbe und Malerkittel liegen bereit. So richtig schön köşkig eben.

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