Szenario:Wieder in München

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Kent Nagano, hier bei einem Abend im Münchner Literaturhaus. (Foto: Florian Peljak)

Kent Nagano erzählt im Literaturhaus von prägenden Begegnungen seines Lebens.

Von Jutta Czeguhn, München

Dass einem ausgerechnet Kent Nagano, Münchens ehemaliger Generalmusikdirektor, dazu verführen würde, in der S-Bahn nach Björk zu googeln: Man muss es einfach tun, am Dienstagabend auf dem Nachhauseweg vom Literaturhaus, wo der Maestro sein neues Buch "10 Lessons of my Life - was wirklich zählt" vorgestellt hat. Schon am Stachus knarzt und quäkt sie im Ohr, die isländische Post-Punk-Vokalakrobatin sprechsingt Arnold Schönbergs revolutionäres "Pierrot Lunaire". Nur 1,16 Minuten lang, ein mieser illegaler Mitschnitt, aber immerhin, denn offizielle Aufnahmen existieren nicht von diesem denkwürdigen Nagano-Konzert beim Verbier Festival anno 1996.

Kent Nagano ist endlich wieder in München, an diesem Donnerstag und Freitag dirigiert er in der Isarphilharmonie die "Turangalîla-Sinfonie" seines großen Mentors Olivier Messiaen. Gewiss einer der Lebensmenschen Naganos, der aber in seinem Buch überraschenderweise nicht vorkommt. Im Gespräch mit Ko-Autorin Inge Kloepfer plaudert der Kalifornier über Begegnungen, die Spuren in seinem Leben hinterlassen haben. Leute wie Björk, die ihm erstmals in einem MTV-Video-Clip auf einem Langstreckenflug untergekommen ist: Auf dem Mini-Monitor im Vordersitz erkannte er in ihr die Inkarnation von Schönbergs Pierrot. Naganos Lebenslektion: den Zufall ernst nehmen.

Es ist kein Zufall, dass Nagano gerade jetzt Rückschau hält.

Zart hat Nagano schon immer ausgesehen, jetzt wirkt er beinahe zerbrechlich. In knapp einem Monat wird er siebzig, eigentlich kein Alter für Dirigenten, gewiss aber kein Zufall, dass er gerade jetzt Rückschau hält: "Wie viel Glück dazugehört, dass wir auf Menschen just in jenen Lebensmomenten treffen, in denen wir für ihre Botschaften bewusst oder unbewusst empfänglich sind." Und wer als einer der gefragtesten Dirigenten der Welt zwischen den Kontinenten unterwegs ist, der hat viele getroffen, Frank Zappa, Pierre Boulez oder Leonard Bernstein zum Beispiel. Zitternde Knie bei der ersten Begegnung in "Lennys" New Yorker Apartment, der Meister erscheint im Morgenmantel, bittet seinen verstörten Schüler, stumm zu dirigieren, er werde schon erraten, was. Bernstein hatte am Ende natürlich keinen blassen Schimmer. Eine slapstickhafte Szene, die Nagano in seinem charmanten Deutsch nachspielt. Das Publikum gluckst im Literaturhaus-Saal.

Der Mann hat Talent zur Komik, feinsinnig und handfest, das ist die Überraschung des Abends. In seinen Jahren als Chefdirigent der Staatsoper hatte sich der Mensch Kent Nagano den Münchnern nie ganz erschlossen, auch wenn sie die Kunst des scheuen Klanganalytikers hoch verehrten. Da war nichts von der Jovialität seines Vorgängers Zubin Mehta, der auf die notorische Kultur-Society der Stadt beherzt zuging. Dass man Nagano in der Ära Bachler nicht den feinsten Abschied von München bereitet hat, ist bekannt. Dabei hat er auch hier eine seiner wertvollsten Lebenslektionen erhalten, vom legendären, 2017 verstorbenen Korrepetitor Richard Trimborn, der ihm lehrte, "dass Integrität harte Arbeit ist". Wer das Glück hatte, einmal dabei zu sein, wie der Hochbetagte einem blutjungen Bariton aus dem Opern-Studio Leporellos Registerarie näherbrachte, möchte Nagano für seine Hommage an Trimborn im Buch umarmen. Schade nur, dass er beim Abend im Literaturhaus ganz unerwähnt blieb.

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