Israel-Palästina-Konflikt:Juden und Muslime in München nähern sich einander an

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Gedenkminute für die Opfer des Israel-Palästina-Konflikts: Im Rathaus bekunden unter anderen jüdische und muslimische Religionsvertreter ihre gegenseitige Solidarität. (Foto: Catherina Hess)

Glaubensvertreter der beiden Religionen unterschreiben eine Charta, die "jede Form von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit" ablehnt. Es ist der erste Kontakt nach Monaten der Sprachlosigkeit.

Von Andrea Schlaier

Es ist nach einem halben Jahr ein erster Schritt aufeinander zu, wenn auch zunächst nur auf dem Papier: Am Mittwochabend haben im Rathaus Vertreter von jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften in München ein Bekenntnis füreinander unterschrieben. Darin lehnen sie jede Form von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit ab. Der Israel-Palästina-Konflikt hat unter den Glaubensgemeinschaften in der Stadt mitunter tiefe Wunden geschlagen und teilweise zu einem kompletten Abbruch jahrelang gepflegter Beziehungen geführt.

Mitte September vergangenen Jahres haben Juden und Muslime schon einmal als eine von 22 Gruppierungen diese Münchner Charta der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unterschrieben, darunter auch Vertreter der christlichen Kirchen. Sie bekannten sich darin zu gemeinsamen Werten und dem deutschen Grundgesetz. Die Versicherung zu gegenseitiger Solidarität hat sich infolge des Kriegs im Nahen Osten als nicht tragfähig erwiesen.

Wochenlang wurde um Formulierungen gerungen

Man müsse auf den 7. Oktober und die Zerwürfnisse in der Stadt gerade auch aus jüdischer und muslimischer Sicht reagieren, sagte am Mittwoch SPD-Stadtrat Marian Offman, der als städtischer Beauftragter für interreligiösen Dialog die Charta auf den Weg gebracht hat. In Anwesenheit der Mitglieder von zwölf Glaubensgemeinschaften warb er für eine Aktualisierung des Schriftsstücks. "Wir lehnen insbesondere jede Form von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit ab", steht hier nun unter dem Punkt "Menschenwürde".

Darunter findet sich seit Mittwoch auch die Unterschrift von Rabbiner Shmuel Aharon Brodman für die Israelitische Kultusgemeinde, Gabriela Schneider für die liberale jüdische Gemeinde Beth Shalom und Imam Benjamin Idriz für das Münchner Forum für Islam. Eine echte Nachricht, denn seit Monaten haben Vertreter dieser Gruppen kein Wort miteinander gewechselt.

Wochenlang war hinter den Kulissen über die Zusatz-Formulierung gerungen worden. Bis Mittwoch war nicht klar, ob alle sie mittragen werden. Unter anderem war es darum gegangen, wie explizit an der Stelle Antisemitismus definiert wird und ob die Anerkennung des Existenzrechts Israels Eingang findet. Unter Vermittlung von Offman, selbst Jude, machte schließlich eine salomonische Variante ohne explizite Nennung Israels das Rennen: Man lehnt sich mit der Ergänzung an die vergleichsweise allgemeine "Gemeinsame Erklärung für Demokratie gegen Rechtsextremismus" aus dem Rathaus an, die innerhalb der Kampagne "Sei ein Mensch!" im März formuliert worden ist. Mit dem Unterschied, dass in der Religions-Charta auch die Islamfeindlichkeit explizit genannt wird.

"Diese Worte müssen jetzt in Einklang gebracht werden mit dem, was außerhalb des Saals passiert", sagte Matthias von Sarnowski, städtischer Fachreferent für religiös-weltanschauliche Vielfalt, bei der Versammlung am Mittwoch, zu der auch Vertreter des Stadtrats gekommen waren. Thomas Lechner (Linke) forderte die Glaubensgemeinschaften zur Wiederaufnahme des Dialogs auf und über "das Unaussprechbare" zu reden. "Das ist der demokratische und religiöse Wert, der uns verbindet."

Ein Arbeitskreis soll jetzt bis zur Sommerpause ein Konzept erstellen, wie auf Basis der Charta das Miteinander der Stadtgesellschaft gestaltet werden kann. "Wir können in diesen schwierigen Zeiten die Welt nicht bewegen", sagte Offman, "aber sie in München friedlicher machen".

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