Immobilienmarkt:Umstrittene Millionen für den Mieterschutz

Lesezeit: 4 min

Die SPD hat im Wahlkampf versprochen, Mieterhöhungen stärker zu begrenzen - und das bisher nicht eingelöst. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Wenn die Stadt Häuser kauft, um Bewohner vor privaten Investoren zu schützen, zahlt sie dafür einen hohen Preis - und fördert damit die Spekulation, sagen Kritiker. Sie fordern eine gesetzliche Obergrenze.

Von Bernd Kastner

Mehrere Dutzend Mieter hoffen in dieser Woche auf Weihnachtsgeschenke der besonderen Art. Die Präsente würden nach SZ-Informationen um die 23 Millionen Euro kosten, finanziert von der Stadt München. Gut 30 Mietparteien freuen sich, wenn ihre Häuser aufgekauft und ins Eigentum der Stadt übergehen. Das hieße, dass die Mieten nicht übermäßig steigen und die Bewohner sicher wären vor Spekulation und Entmietung. Am Mittwoch entscheidet der Stadtrat, ob er das Vorkaufsrecht ausübt, es geht um vier Häuser in Gebieten mit Erhaltungssatzung.

Während die einen hoffen, stellen andere Grundsatzfragen: Wie sinnvoll ist diese Art des Mieter- und des Milieuschutzes angesichts der aktuellen Immobilienpreise? Wirft das Rathaus Spekulanten viele Millionen in den Rachen? Vergangenes Jahr hat die Stadt Privatkäufern 13 Objekte für mehr als 131 Millionen weggeschnappt, in diesem Jahr bisher schon für gut 143 Millionen Euro 17 Häuser.

MeinungImmobilienmarkt
:Ein Preis, der nicht gerecht ist

Hauseigentümer profitieren beim Verkauf von der Wertsteigerung des Grundstücks, ohne dass sie dafür etwas geleistet haben. Der Gesetzgeber sollte eingreifen und den Preis beim Verkauf an Kommunen limitieren.

Kommentar von Bernd Kastner

Zweischneidige Investitionen sind das für die "Münchner Initiative für ein soziales Bodenrecht". Die Experten-Gruppe kritisiert das bisherige Modell. Nicht, weil es Mietern helfe, sondern weil die Stadt das Spekulationsgeschäft mitspiele, gezwungenermaßen. Sie steigt in Verträge ein und zahlt, was auch ein renditeorientierter Investor auf den Tisch legt. Es sei ein "Aberwitz", sagt Initiativen-Sprecher Christian Stupka, mit vielen Steuermillionen auch die Spekulation zu fördern. Die Initiative fordert beim Vorkauf eine gesetzliche Obergrenze für den Kaufpreis. Der solle deutlich unter den aktuell gezahlten Summen liegen, sich an sozialen Mieten orientieren.

Die Initiative illustriert ihre Forderung mit einem vereinfachten Beispiel. Ausgang ist eine Miete von 11,50 Euro pro Quadratmeter, die derzeit als sozialverträglich gilt. Mit einer solchen Miete als Einnahme könnte die Stadt einen Immobilienpreis von 4000 Euro pro Quadratmeter refinanzieren. Kauft die Stadt aber ein Haus für 8000 Euro pro Quadratmeter, müsste sie eine astronomisch hohe Miete verlangen. Weil das kontraproduktiv wäre für den Milieuschutz, subventioniert die Stadt die Miete runter und zahle damit pro erworbenem Quadratmeter 4000 Euro drauf.

Der Bodenwert steige, ohne dass ein Hauseigentümer etwas Besonderes tun müsse

Der Verkäufer erzielt den Verkehrswert, egal, ob das Haus an einen Investor geht oder an die Stadt. Dass dieser Wert in den letzten Jahren so gestiegen ist, liege vor allem am wachsenden Bodenpreis, betont Stupka. Und an diesem Punkt will die Initiative eingreifen: Der Bodenwert steige, ohne dass ein Hauseigentümer etwas Besonderes tun müsse für sein Haus; der Wert steige, weil München so attraktiv ist; und das sei so, weil die Stadt und damit alle Bürger zum Beispiel in Infrastruktur investieren. Das sei "leistungsloser Bodenwertzuwachs", sagt Stupka, der Mitglied der Baulandkommission des Bundesinnenministeriums war, auf deren Rat die Baugesetz-Novelle basiert.

Die Münchner Bodenrechts-Initiative wurde initiiert unter anderem von Ex-OB Christian Ude, der früheren Stadtbaurätin Christiane Thalgott und Ex-Sozialreferent Frieder Graffe; Hans-Jochen Vogel unterstützte sie bis zu seinem Tod. Das Rathaus, so fordert die Initiative, solle sich in Berlin dafür stark machen, dass für einen Quadratmeter maximal 4000 Euro zu zahlen sind, um bei dem vereinfachten Beispiel zu bleiben. Dann wären soziale Mieten möglich, und der Verkäufer bekäme immer noch einen guten Preis, sagt Stupka.

Allein, in der grün-roten Rathausregierung gibt es derzeit wenig Antrieb, den im Koalitionsvertrag angekündigten "Münchner Appell" an den Bundestag zu formulieren. Das liegt zum einen daran, dass die Stadt schon im Juli nach Berlin geschrieben hat, dass beim Vorkauf der Preis auf einen "tragbaren, nachhaltig zu erwirtschaftenden Ertragswert" zu limitieren sei. Dazu stehe man nach wie vor, heißt es von Grün-Rot. Man wisse aber auch, dass dies im Rahmen der anstehenden Novellierung des Baugesetzbuches utopisch ist.

Claudia Tausend, als SPD-Bundestagsabgeordnete in Sachen Wohnungspolitik eine Art Botschafterin des grün-roten Rathauses, sagt, sie sei schon froh über das im Baulandmobilisierungsgesetz Erreichte. Sollte das Gesetz verabschiedet werden, könnte eine Kommune das Vorkaufsrecht aufs ganze Stadtgebiet ausweiten. Bisher gilt es in der Regel nur in Gebieten mit Erhaltungssatzung, derzeit sind das 28 Areale; jeder fünfte Münchner wohnt in solch einem Gebiet. Mehr sei derzeit mit CDU/CSU im Bundestag nicht zu machen.

Am Mittwoch entscheidet der Stadtrat über den Kauf von vier Mietshäusern

Zwar könnte das Rathaus künftig womöglich viel öfter bei einem Hausverkauf zugreifen, doch das Geld wird nicht mehr, sondern wegen Corona weniger. Während sich aus der CSU-Fraktion dazu niemand äußern will, sagt SPD-Stadtrat Nikolaus Gradl, dass er eine Preislimitierung natürlich begrüßen würde. Aber dass die Stadt derzeit Mondpreise für den Milieuschutz zahle, das sehe er nicht. Er bezieht in sein Rechenmodell nicht nur die Häuser mit ein, die die Stadt tatsächlich erwirbt. Er schaut auch auf jene Objekte, für die der Käufer eine sogenannte Abwendungserklärung unterzeichnet hat. Damit wendet er den Kauf der Stadt ab und verpflichtet sich, soziale Kriterien einzuhalten. Mehr als 5000 Wohnungen habe die Stadt in den letzten zehn Jahren so geschützt, ohne einen Cent auszugeben. Das funktioniere aber eben nur über das Druckmittel des Vorkaufs, sagt Gradl: Wenn du, lieber Käufer, dich nicht zu Sozialstandards verpflichtest, kaufen wir dir das Objekt weg.

Genau das ist auch die Rechnung des Kommunalreferats: In den vergangenen drei Jahren hat die Stadt gut 110 000 Quadratmeter Wohnraum geschützt und für alle Wohnungen zusammen im Schnitt gut 4000 Euro pro Quadratmeter bezahlt. Rechnet man die via Abwendungserklärung "kostenlos" geschützten Flächen heraus, kommt man aber auf rund 8000 Euro pro Quadratmeter. Soviel hat die Stadt bezahlt, wenn sie ihr Vorkaufsrecht ausgeübt hat.

Man darf nun gespannt sein, wie sich der Stadtrat an diesem Mittwoch bei einem Haus in Haidhausen entscheiden wird. Da läge der Preis nach SZ-Informationen einige Prozent über dem Verkehrswert, es wären um die 10 000 Euro pro Quadratmeter, Gewerbeflächen inklusive. Das Kommunalreferat soll ein Nein zum Vorkauf empfohlen haben, entscheiden aber werden die Stadträte.

Stadtentwicklung
:Diese Projekte sollen München im kommenden Jahr verändern

Tausende Wohnungen, neue Hochhäuser - und trotzdem mehr Raum für Kinder und Natur: Das Planungsreferat stellt Projekte vor, die die Stadt nachhaltig verbessern sollen.

Von Sebastian Krass

Bundesweit läuft derzeit eine Petition für ein "faires Vorkaufsrecht", was im Sinne der aus Berlin stammenden Initiatoren eine Preislimitierung fordert. Gut 36 000 Personen haben in den letzten Tagen unterschrieben. Für Christian Stupka ist das ein Indiz dafür, dass sich immer mehr Bürger in immer mehr Großstädten mit dem Thema beschäftigen, obwohl es so sperrig sei. Die Bewohner von Immobilien, die auf einen neuen Besitzer warten, tun das ohnehin. "Wir möchten die Stadt bitten, das Vorkaufsrecht wahrzunehmen", schreibt die Hausgemeinschaft einer Immobilie im Westend, die auf der Tagesordnung steht, an alle Stadträte.

Das Kommunalreferat empfiehlt den Vorkauf, so ist zu hören. In den meisten Fällen gehen diese vorgekauften Häuser an eine der städtischen Gesellschaften, GWG oder Gewofag. Möglich ist aber auch, dass die Stadt das Haus eine Weile behält und dann reprivatisiert an einen sozial agierenden Vermieter, an Genossenschaften zum Beispiel. Letzteres wäre Wunsch der Mieter aus dem Westend: "Wir haben Sorge, zum Spielball von Spekulanten zu werden."

© SZ vom 14.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMünchen
:Wenn die Zwischenmieterin nicht geht

Franziska und Simon Berger vermieten ihre Wohnung für vier Monate unter, während sie reisen. Als sie wieder zurück sind, weigert sich die Zwischenmieterin auszuziehen - auf Rat des Wohnungsamts.

Von Bernd Kastner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: