Hofbräukeller:Veggie-Burger im Wiesn-Zelt

Lesezeit: 5 min

Sie ist auf der Wiesn aufgewachsen, die Gastronomie ist ihr Leben: Silja Schrank-Steinberg. (Foto: Stephan Rumpf)

Silja Schrank-Steinberg, Chefin im Hofbräukeller, nutzte die Corona-Zeit für neue Ideen. Und entdeckte: Schmeckt gar nicht schlecht, so ein vegetarisches Fleischpflanzerl. In einer bayerischen Wirtschaft war das noch vor Kurzem undenkbar.

Von Thomas Becker

Sieht aus wie echt, riecht fast so, schmeckt zwar anders, aber auch richtig gut. Fehlt nichts. Was also spricht gegen einen veganen Burger mit Mango-Senfsauce, Wedges und Avocado-Rucolasalat für 16,50 Euro? Außer dem Preis eigentlich nichts. Und doch: In einer traditionell bayerischen Küche wie der des Hofbräukellers reißt es einen dann doch, wenn man das fleischlose Fleischgericht auf der Speisekarte entdeckt.

Entsagen jetzt auch noch die Biergärten und Traditionsgaststätten dem Fleischkonsum? Nicht doch, sagt Silja Schrank-Steinberg: "Wir sind eine bayerische Wirtschaft und werden immer eine bayerische Wirtschaft bleiben. Für mich gibt es nichts Besseres als einen Schweinsbraten. Aber wenn die Herren in den Hofbräukeller wollen, dann sagt die Frau: 'Nee, da gibt's ja nichts für mich.'" Es gilt eben alle abzuholen, wie das so schön heißt. Schrank-Steinberg sagt: "Ich werde nie vom Fleisch wegkommen - zum Beispiel so ein schönes, saftiges Steak -, aber man kann trotzdem mit dem Trend gehen. Es gibt natürlich qualitative Unterschiede: Ich hab' schon viel aus dem Supermarkt probiert, das war nichts für mich." So ist sie, die Wiesn-Wirtin und Chefin des Hofbräukellers: geradeheraus, unverstellt.

Seit 1. Juli führt sie den Biergarten allein und irgendwann auch wieder das Wiesnzelt, unterstützt von den Eltern Margot, 72, und Günter Steinberg, 81. Bruder Friedrich will künftig seinen Fokus auf die Tank- und Rastanlage Fürholzen West und das Jagdschlössl in Harlaching legen und mit Frau Sandra, ebenfalls Gastronomin, neue Projekte entwickeln. Günter Steinberg sagt: "Wir freuen uns, dass unsere Tochter Silja mit innovativen Ideen und Teamgeist die Tradition in unserem Sinne weiterführen wird."

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Für sie ändere sich nicht viel, sagt die neue Allein-Chefin, schließlich arbeitet sie schon ihr halbes Leben im Hofbräukeller, den die Steinbergs Mitte der Neunzigerjahre gepachtet haben. Am Anfang hat Silja Schrank-Steinberg sogar hier gewohnt, mit ihrem Ex-Mann, aber das war nicht gut: Es war nie Feierabend. Jetzt wohnt sie ein paar Straßen weiter, sieben Minuten Fußweg. Das reicht, um die Arbeit hinter sich zu lassen. Wenigstens mal kurz.

Denn die Spätvierzigerin ist ein Treibauf. Blonde Mähne, bunte Bluse zur Jeans - Botschaft: Man kann auch ohne Dirndl authentisch sein. Sechs Wochen nach der Geburt ihres Sohnes war sie damals wieder im Job. Und als sie sich zuletzt nach Weihnachten in ihrer Ferienwohnung am Gerlos ein paar Skitage gönnte, wurde sie schon nach zwei Wochen unruhig und fuhr in den Hofbräukeller - auch wenn wegen des Lockdowns nicht viel zu tun war: "Ohne Arbeit ist mir viel zu langweilig. Mein Job ist mein Leben. Ich bin halt so."

Sie glaubt, dass es an den Genen liegt: "Ich hab' wohl viel von meinem Opa, sagen alle. Den ganzen Tag vorm Computer sitzen? Da würde ich draufgehen. Ich bin ein Menschenfreund. Und das brauchst du, um in der Gastronomie überhaupt existieren zu können." Ihr Großvater, der Wienerwald-Gründer Friedrich Jahn, starb im Dezember 1998 an Leukämie, war bis zuletzt aber noch auf der Wiesn. Silja Schrank-Steinberg erinnert sie sich: "Er ist immer durch die Boxen gegangen und hat Grüß Gott gesagt. Das hat der geliebt! Ein großes Vorbild. Ausstrahlung kannst du dir halt nicht erarbeiten", sagt sie.

Anderes dafür schon. Als Tochter eines Wiesn-Wirtes stieg sie brav unten in der Hierarchie ein. "Meine Philosophie war immer: Ich komme nicht irgendwo hin und bin Chef. Mein Vater sagte: 'Du kannst niemandem sagen, wie man Betten machen muss, wenn du selber noch keins gemacht hast'." Also machte sie Betten, ließ sich mit 18 zur Hotelkauffrau ausbilden, im Sheraton. Ihr Einstieg ins Berufsleben entsprach nicht ganz der Norm: "Ich habe am 1. September angefangen und schon im Bewerbungsgespräch gesagt: 'Ich bräuchte dann in zwei Wochen gleich mal zwei Wochen frei.'" Schon mit acht ist sie im Wiesnzelt dabei, lernt im Lauf der Jahre jede Abteilung kennen: Krugstand, Würstl-Inventur in der Küche, Hendl zum Mitnehmen in die Tüte packen, das ganze Programm. Dazu: Praktikum bei McDonald's, Gründung einer Catering-Firma, eines Supermarkt-Heimservices, Geschäftsführung eines Wienerwald-Betriebs, 1997 der Einstieg im Hofbräukeller und Hofbräu-Festzelt, zunächst als Büroleiterin, drei Jahre später als Mitgeschäftsführerin. Doch dann kam Corona.

Der erste Lockdown sei das emotional Schlimmste gewesen, was sie je erlebt habe: "Da bekomme ich jetzt noch Gänsehaut." Mitte März ruft sie im großen Saal, wo sonst große Gesellschaften feiern, alle 75 Mitarbeiter zusammen, um die Unterschriften für das Kurzarbeitergeld einzusammeln. "Ich kam hektisch in den Saal gerannt, alle saßen schon da - und ich hab' so zu heulen angefangen, konnte mich nicht beruhigen. Es war furchtbar. Jeder hatte Angst: Was passiert jetzt? Ich weiß, wer welche Probleme hat. Für mich ist das Familie, nicht Nummer 1 bis 75." Es wird ein Abschied auf unbestimmte Zeit.

Die Chefin richtet eine WhatsApp-Gruppe ein, um ihre Leute informieren zu können, wenn sich etwas tut. Es tat sich etwas, doch die Euphorie war schnell wieder weg. "Zwei Jahre ohne Wiesn: Für mich ist das die Hölle", sagt sie und meint gar nicht das Finanzielle: "Das ist ja auch so eine Familie. Jeder ist 16 Tage aus seinem Alltag raus, viele aus dem Hofbräu sind dabei, und doch ist es anders. Bei der Versammlung vor dem ersten Tag fragt mein Vater immer: 'Wer ist dieses Jahr neu?' Wir haben 272 Bedienungen - und maximal fünf, sechs Neue. Man ratscht, die eine bringt Schnaps aus der Heimat mit, die nächste erzählt vom Sohn, der Abi gemacht hat: Das ist etwas, was mir extrem fehlt."

Dann fällt mit dem zweiten Lockdown auch noch das Weihnachtsgeschäft weg. Kurzerhand öffnet sie die Türen zum Wienerplatz und verkauft Glühwein, Glühbier und heißen Aperol Spritz - bis auch kein Alkohol mehr verkauft werden darf. "Gefühlt habe ich meinen Laden in den letzten zwei Jahren fünf Mal neu eröffnet. Im Zwei-Wochen-Rhythmus gab es neue Auflagen", klagt sie, "aber jetzt kommen hoffentlich nur noch Lockerungen." Sie habe gelernt, Dinge wert zu schätzen, die früher normal waren: eine Speisekarte in die Hand gedrückt zu bekommen. "Corona war natürlich Mist, hat aber auch Positives gebracht, einen anderen Fokus. Man rennt nicht mehr nur seinem Jahresplan hinterher, sondern denkt mal über einige Dinge nach." Zum Beispiel über Culinary Ladies, eine Plattform von Stephanie Bräuer, um all die Wirtinnen, Köchinnen, Winzerinnen und andere Frauen in der Gastronomie sichtbar zu machen. Oder über das Frauen-Netzwerk Foodservice. Sie sagt: "Ich bin keine Feministin, ich stehe total auf Männer. Ohne sie kann das Land nicht leben." Aber man kann ja trotzdem mit dem Trend gehen.

Ach ja, der Trend. Drei vegane Gerichte stehen im Hofbräukeller auf der Karte: Salat mit eingelegtem Gemüse, Steinpilz-Schlutzkrapfen mit Shisokresse und Tomaten-Basilikumpesto, vegane Pflanzerl, bald noch eine vegane Currywurst und eben der Burger. Den soll es auch auf der nächsten Wiesn geben oder Fleischpflanzerl, alles produziert von Greenforce, Gewinner des "Vegan Food Awards". "Derzeit kommt das in Form von Erbsenpulver", erklärt sie, "aber bald auch gefroren. Dann muss man's nur auf den Grill legen." Im Biergarten bietet sie auch gemischte Schälchen für 3,50 Euro an: Quinoa- oder Bulgur-Salat zu Obazda, Wurstsalat und Tomate mit Mozzarella. Wenn so etwas in Haidhausen nicht ankommt, wo dann?

"Wir müssen weg von den Massenprodukten", sagt Schrank-Steinberg. Auf den Vegan-Trichter kam sie vor zwei Jahren, bei einer Wiesnwirte-Sitzung beim Käfer: "Der Michi Käfer reichte die kleinen Dinger und sagte nur: 'Mein neuestes Baby.' Wir alle so: 'Is' ja nett, schmeckt super.' Sagt er: 'Alles komplett vegan.' Das hat man weder gesehen noch geschmeckt." Derweil arbeitet Greenforce an veganen Schnitzeln, Schweinswürsteln oder Fisch.

Selber kochen ist bei der Wirtin höchstens mal im Winter drin: "Im Sommer bin ich ja immer im Hofbräu. Ich wohne aber mit meinen Kindern zusammen, und mit der Schwiegertochter in spe bekochen die mich ab und zu." Tochter Lilly ist 16 und scheint ihrer Mutter zufolge das Wirte-Gen zu haben, bei Sohn Niclas glaubt sie, "dass das was für ihn ist, jetzt aber noch nicht". Er wird demnächst 20: "Mein Wiesn-Baby. Das war die einzige Wiesn, bei der ich nicht beteiligt war." Stimmt nicht ganz: Am Feiertag war sie dann doch im Zelt, mit dem zehn Tage alten Baby. Wenigstens ein Hendl musste sein.

© SZ vom 17.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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