Glück, Hoffnung, Wachstum:Lady in Green

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Annette Glaser. (Foto: Catherina Hess)

Annette Glaser wollte schon immer "ihr eigener Farbtupfer" sein. Heute ist sie glockenbachweit bekannt. Ein Treffen im Grünen, also in ihrer Wohnung.

Von Stefanie Witterauf

Annette Glaser nimmt ihre Lieblingsfarbe sehr ernst. Von Kopf bis Fuß ist sie grün gekleidet. Sie hat ein grünes Brillengestell auf der Nase und eine grüne Miniaturbrille als Brosche an ihr grünes Kleid gepinnt. Ihre Füße stecken in grünen Schuhen und selbst ihre Fußnägel sind grün lackiert. Das ist die Farbe ihres Lebens, seitdem sie "grün" sagen kann.

Als Glaser 1990 für ihr Wirtschaftsprüfer-Examen lernte und gestresst war, hat ein Bekannter ihr zur Entspannung geraten. Sie solle doch mal ins Grüne schauen. "Da habe ich meinen Kleiderschrank aufgemacht", sagt Glaser, lacht und zieht mehr als dreißig Jahre später die Schranktür in ihrem grün gestrichenen Schlafzimmer auf. Darin zu sehen sind grüne Kleider und Jacken, ordentlich nebeneinander gehängt, aber auch bunte, gemusterte und gestreifte Blusen und Oberteile. "Achtzig Prozent meiner Kleidung ist grün", sagt Annette Glaser. "Sechzig Prozent meiner Einrichtung."

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Die zeigt Glaser bei einem Besuch in ihrer Wohnung im Gärtnerplatzviertel. "Zwei Zimmer sind komplett grün", sagt die 62-Jährige. Die Gästetoilette mit grünbemalten Fliesen und knalligen Handtüchern. Nur Zimmerpflanzen hat Glaser keine. In ihrem Arbeitszimmer hat sie grüne Schränke, ein grünes Ampelmännchen, einen grünen Bürostuhl, der auf einer grünen Plastikmatte steht. Dort arbeitet sie im Homeoffice. Schon seit drei Jahrzehnten ist sie bei der gleichen Firma angestellt. Erst war sie Steuerberaterin, danach Personalchefin und heute kümmert sie sich darum, dass bei ihren Kolleginnen und Kollegen alles im grünen Bereich ist und bleibt. Sie ist Wellbeing-Managerin und demnächst in passiver Altersteilzeit. "Pure Freude für mich: die Farbe Grün", steht auf einem Zettel, selbstverständlich grün, den sie an ein Regal im Arbeitszimmer geklebt hat. Darunter sind Linien gezogen und Wörter geschrieben: Glück, Hoffnung, Wachstum. Das alles verbindet Glaser mit der Farbe. "Und die Liebe", sagt sie. Dass die aber eher mit der Komplementärfarbe assoziiert werde, wischt sie mit einer Handbewegung und den Worten weg: "Bei mir nicht, da ist die Liebe grün, ich schicke auch nur grüne Herzen."

Seit 33 Jahren lebt Annette Glaser im Gärtnerplatzviertel. (Foto: Catherina Hess)

Es ist eben kein roter, sondern grüner Faden, der sich durch Glasers Leben zieht. Gesponnen hat den schon ihre Mutter in Glasers Kindheit. "Meine liebsten Kleider waren grün", sagt sie und zeigt auf dem iPad ein Foto, auf dem sie etwa fünf Jahre alt ist und vor einem Karussell auf einem Dorffest im grünen Kleid mit Reißverschluss posiert. Das Kleid ähnlich dem, das sie an diesem Sommernachmittag Ende Juli trägt. Ein anderes Foto zeigt sie am Ostbahnhof in München in einem Cordanzug - doch sie muss erst erklären, dass er grün war, denn das Foto ist schwarz-weiß. Darauf ist sie etwa 16 und war mit ihrer Familie auf der Durchreise von Norddeutschland mit dem Autozug nach Südtirol.

Aufgewachsen ist Glaser als "Mittelkind", wie sie es nennt, mit einem älteren Bruder, einer jüngeren Schwester und als Tochter des einzigen Dorfzahnarztes von einem Ort mit 1800 Einwohnerinnen und Einwohnern im Speckgürtel Hamburgs. Das ehemalige Praxisschild steht noch in ihrem Wohnzimmer. Aber ihr Vater war ganz und gar nicht grün, sondern bei der örtlichen CDU und durch seinen Beruf und politisches Engagement so bekannt, dass auch Glasers Schritte von der Dorfgemeinschaft beobachtet wurden, erzählt sie. Außerdem waren ihre Eltern Fremde, denn beide waren aus der ehemaligen DDR geflohen. Aufgefallen ist sie damals also nicht wegen ihrer Kleider - und nicht für die Person, die sie selbst war. "Ich wollte aber schon damals mein eigener Farbtupfer sein", sagt Glaser.

Wegen des Jobs ihres ehemaligen Ehemanns, den sie während ihres Studiums kennengelernt und sich in ihn beim Steuerrecht-Pauken verliebt hatte, zog Glaser 1989 vom Norden des Landes in die Mitte von München. Gerade im Gärtnerplatzviertel angekommen, wachte die damals 30-Jährige mit einem Schmerz am Schlüsselbein auf, ging zum Arzt. Diagnose: Krebs. "Ich hatte Glück", sagt sie über die Zeit der Chemotherapie, als sie bestrahlt wurde, ihre Haare ausfielen, ihr Mann häufig auf Dienstreise war und sie allein in der Wohnung zurückließ. "Ich überlebte", sagt Glaser. Als die Haare wieder wuchsen, kaufte sie eine Brille mit grünem Rahmen.

Schon seit ihrer Kindheit trägt Glaser grün. (Foto: Catherina Hess)
Von Kopf bis Fuß. (Foto: Catherina Hess)

Die Ehe hielt nicht, aber ihre Liebe zur Farbe Grün. Nach der Trennung blieb sie in München, in der gleichen Wohnung, die immer grüner wurde. Nur vor ein paar Jahren hat Glaser einmal überlegt, sie zu verlassen und in einen Vorort von Hamburg zu ziehen, in die Nähe ihrer Mutter, die mit 93 allein im Haus wohnt, in dem sie aufgewachsen ist. Doch mittlerweile ist Glaser viel zu sehr in der Stadt verwurzelt und eigentlich will sie im Gärtnerplatzviertel bleiben. Nur, wie das Leben wohl wird, im Alter, in diesem Viertel, wegen der Gentrifizierung, da macht sie sich Sorgen. "Ich sehe niemanden in diesem Stadtteil mit Rollator", sagt sie und blickt aus dem Küchenfenster auf die Straße. Das hat sie sogar schon dem Oberbürgermeister geschrieben. "Bald habe ich mehr Zeit, da will ich mich für die Gesellschaft einsetzen." Sie weiß nur noch nicht wie.

Glaser füllt Sprudelwasser in ein Glas mit grünem Boden und Kaffee in eine grüne Tassen mit aufgedruckten Fotos. Darauf ist die Konfirmation ihres Neffen, es war ein Geschenk für seine Tante. Wer mit Annette Glaser befreundet ist, der hat es leicht, denn er weiß ja, was er ihr schenken kann. Über grüne Sachen freut sie sich immer. Gerade hatte sie Geburtstag: Ihre Mutter hat ihr ein Gedichtheft über die Farbe Grün geschenkt, ihre Schwester Schubladen in ihrer Lieblingsfarbe für das Arbeitszimmer. Sich selbst hat Glaser eine Reise nach Venedig geschenkt und dort vier grüne Kleider gekauft. Auch ihre Freundinnen aus dem Gospel-Chor erzählen ihr bei den Proben immer, dass sie an sie gedacht haben, wenn sie etwas Grünes gesehen haben.

Etwa 80 Prozent Glasers Kleidung sind grün. (Foto: Catherina Hess)

Sie weiß, dass es ein wenig schräg ist, diese grüne Neigung, aber sie sei eben auch praktisch. "Wenn alles grün ist, dann passt alles zusammen, so ist das auch in der Natur", sagt Glaser, die nicht so wirkt, als würde es sie stören, dass man in knallgrün auffällt. Im Laufe ihres Lebens hat sich der Ton, zu dem sie am häufigsten greift, von einem gedeckten Lindgrün in ein kräftiges Signalgrün verändert. "Es spart Zeit", sagt sie, denn im Laden schaut sie nur die grünen Kleider an. Vielleicht hat Glaser mit ihren Argumenten sogar ihre Schwester überzeugt, denn die kleidet sich auch nur in einer Farbe, aber nicht in grün. "Sie ist orange", sagt Glaser.

Glück, Hoffnung, Wachstum. Das alles verbindet Glaser mit der Farbe. (Foto: Catherina Hess)
Der Arbeitsplatz. (Foto: Catherina Hess)

Einfarbige Menschen gibt es weltweit. Etwa 6500 Kilometer Luftlinie vom Gärtnerplatzviertel entfernt führt Elizabeth Sweetheart, Jahrgang 1941, im New Yorker Stadtteil Brooklyn ebenfalls ein grünes Leben. Seit fast dreißig Jahren kleidet sich "The Green Lady of Brookyn" in grün, vor allem in einem Limonengrün. Sie hat die Stufen vor ihrem Haus gestrichen und die Tür, auch drinnen ist die Wohnung komplett in in einer Farbe eingerichtet. Teekannen, Messergriffe, sogar das Spielzeug für ihren Hund. Alles ist grün. Nur ihr Ehemann nicht. Aber selbst die Haare hat die Achtzigjährige, die vor zehn Jahren im Internet berühmt wurde, grün gefärbt.

Ganz so extrem ist Annette Glaser nicht. Sie hat zwar grüne Tassen, grüne Müslischalen, grüne Blackrolls, grüne Ledertaschen, grüne Regenschirme und grüne Crocs. Manches hat sie bewusst in einer anderen Farbe gelassen: die Wand ihrer Küche (orange), das Polster ihrer Coach (schwarz), der Lidstrich über ihren Augen (blau). Auch ihr Auto ist grün und ihr Klappfahrrad, ihr Helm, selbst die Meditationsecke, die sie sich hinterm Sofa eingerichtet hat, ist grün. Aber ihre Haare? Die würde sie sich nie grün färben.

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