München:Geld verdienen geht immer vor

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"Wir bedauern den Verlust": In der Ramersdorfer Haldensee-Siedlung sollen 170 Bäume der Neubebauung weichen. Bis der geplante Ersatz in der Klimabilanz ins Gewicht fällt, wird es dauern. (Foto: Schutzgemeinschaft Ramersdorf)

Die Schutzgemeinschaft Ramersdorf mahnt einen umsichtigeren Umgang mit dem wertvollen Baumbestand an - sie seien fürs Stadtklima unersetzlich

Von Hubert Grundner

Auch ohne Corona-Pandemie hätte die Gesellschaft schon mit genügend großen Aufgaben zu kämpfen. Dazu zählt zum Beispiel die Klimaerhitzung mit ihren vermutlich drastischen Folgen für die Stadtbevölkerung. Dieser Herausforderung, die momentan etwas in den Hintergrund getreten ist, möchte die Schutzgemeinschaft Ramersdorf (SGR) mit der Aktion "Trauerbaum" wieder mehr Aufmerksamkeit verschaffen. Anlass dafür ist eine Schätzung des Bundes Naturschutz, wonach in München Jahr für Jahr durchschnittlich 2500 Bäume aufgrund von Bauvorhaben gefällt werden. Ein Verlust, der durch Ausgleichspflanzungen keineswegs so einfach und schon gar nicht schnell zu kompensieren sei, wie die SGR-Mitglieder monieren.

Auch im Zuge der Neubebauung der Siedlung an der Haldenseestraße müssen 170 Bäume weichen, darunter nach Angaben der Verwaltung 70 erhaltenswerte Exemplare. "Vor allem die Großbäume sind naturgemäß nicht schnell zu ersetzen und werden nicht nur uns fehlen. Bäume sind fürs städtische Klima unersetzlich", warnt SGR-Sprecherin Bettina Rubow. Insgesamt erhöhe sich die versiegelte Fläche im Planungsgebiet gegenüber dem Bestand mit der geplanten Verdichtung um fast einen ganzen Hektar.

Die Stadt und ihre Wohnungsgesellschaft GWG argumentierten zwar mit Ersatzpflanzungen und wollten auf dem Papier möglichst viele Bäume erhalten, so Rubow. Fakt bleibe aber, dass beim Bauen Bäume grundsätzlich als hinderlich betrachtet würden. Notfalls stelle man sie als Sicherheitsrisiko hin und fälle sie. Bauvorhaben und Bauwirtschaft sind nach Einschätzung der SGR-Mitglieder in München die größten Klimasünder - dennoch werde darüber so gut wie nie geredet. Wohnungen bauen und vor allem mit Wohnungen Geld verdienen: Das gehe immer vor. Aus ihrer Verantwortung für den Klimanotstand werde die Bauwirtschaft hingegen praktisch komplett entlassen, bemängelt deshalb Rubow.

Der mittlerweile aus Sicht des Vereins unstrittige Klimanotstand mit den heißen Sommern und die weiter zunehmende Feinstaubbelastung, die sich beide in der versiegelten Stadt besonders auswirkten, verlangten nach sofortigen Maßnahmen zur Vermehrung des Grüns. Mit anderen Worten: Es müsse jetzt mit Neupflanzungen, also zusätzlichen Bäumen reagiert werden, zusätzlich zu dem noch vorhandenen Bestand. "Wem nützt Wohnraum in einer immer heißeren und durch aggressivere Luft auch zunehmend ungesünder werdenden Stadt?", fragt Rubow. Wohnraum zu schaffen, also neu zu bauen, könne nicht alle anderen Aspekte verdrängen. Der Erhalt von Grün ist für die SGR-Sprecherin deshalb keine Frage der Einstellung, sondern eine schlichte Notwendigkeit zum Erhalt der Stadt. Schon in der Planungsphase hatte sich die Schutzgemeinschaft Ramersdorf für Bürgerbeteiligung sowie eine maßvolle Neubebauung der Siedlung an der Haldenseestraße eingesetzt. Dabei forderte sie den höchstmöglichen Erhalt des Grünbestands, eine gute Durchwegung des Quartiers und eine nachhaltige Bauweise. Der Schutz des Grünbestands war eine der zentralen Forderungen auch der Bürgerbeteiligung am Ort.

Der Auslöser dafür, mit ihrem Anliegen an die Öffentlichkeit zu gehen, war nun die Absage der diesjährigen Bürgerversammlung für Ramersdorf. Die Aktion "Baumtrauer" ersetzt also gewissermaßen den Antrag, der dort hätte gestellt werden sollen.

Sie solle, so Rubow, aber darüber hinaus auch darauf hinweisen, dass angesichts der klimatischen Entwicklung viel mehr für Bäume und das städtische Grün insgesamt getan werden müsste: "Wir wollen auch dafür sensibilisieren, bei der Umsetzung jeder Bauplanung streng auf den Baumschutz zu achten und vor allem danach auf die Neupflanzung." Insgesamt 110 neue Bäume seien für die Siedlung an der Haldenseestraße versprochen worden. "Bis ihre Klimabilanz das Niveau der bestehenden Grünstruktur erreicht hat, werden Jahre bis Jahrzehnte vergehen", gibt Bettina Rubow zu bedenken. Ein Problem zudem, mit dem die Bevölkerung bei Bauprojekten im ganzen Stadtgebiet konfrontiert wird.

© SZ vom 09.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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