Adolf Loos war um 1900 nicht nur ein Wegbereiter moderner Architektur. Der Mann aus Wien war überdies ein begnadeter und kluger Spötter. Meist zielte er auf die Eitelkeiten der eigenen Profession. Beispielsweise mit der Erzählung "von einem armen reichen Manne". Während man - jetzt sind wir wieder in der Gegenwart - mit dem Chef des Gasteigs, Max Wagner, an einem dieser spätsommerlich magischen Tage auf das Dach von Deutschlands größtem Kulturzentrum in München klettert, erinnert man sich an die alte Wiener Schmähschrift. Denn sie berichtet auch heute noch von den Voraussetzungen und Fallstricken der Baukultur.
Vom Gasteig-Dach aus, mit einem spektakulären Blick auf Innenstadt, frisch gebügelten Himmel und Stadtrat, der an diesem Mittwoch das weitere Schicksal der sanierungsbedürftigen Kulturbastion zu entscheiden hat, guckt man den freundlichen Wagner an und fragt sich, ob er die Loos-Schrift kennt. Wäre man boshaft, würde man sie ihm schenken.
In Loos' Erzählung geht es um einen Bauherrn, dem ein Architekt ein neues Heim entwirft. Ein Zuhause, bei dem nichts dem Zufall oder gar dem Geschmack und den Wünschen des Bauherrn überlassen wird. Auch die Kissen und der Zigarrenabstreifer stammen vom Architekten. Die Raumkunst ist eine der Vollendung - und der arme reiche Mann ist vollendet glücklich. Doch eines Tages kommt der Architekt zu Besuch. Der Hausherr öffnet die Tür, der Architekt erbleicht. "Was", will er wissen, "haben Sie denn da für Hausschuhe an?" - "Herr Architekt", antwortet der Hausherr, "die Schuhe haben Sie ja selbst gezeichnet!" - "Gewiss", donnert der Architekt, "aber für das Schlafzimmer." Nicht jedoch für den Eingang. Zerknirscht zieht der Bauherr seine Pantoffel aus und schämt sich seiner Ignoranz.
Und jetzt zurück auf das gewaltige Dach in Haidhausen und zu Wagner, der zwar kein Bau-Ignorant ist als Geschäftsführer der Gasteig München GmbH - aber an einen armen reichen Mann erinnert er dieser Tage schon. Reich ist er in dem Sinn, dass der anstehende Umbau des Kulturzentrums in den nächsten Jahren mehr als 400 und womöglich sogar an die 500 Millionen Euro kosten darf. Zum Vergleich: Im Jahr 2018 wurden bislang Einzelgenehmigungen für deutsche Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien im Wert von 416 Millionen Euro erteilt. Das inzwischen verblüffend üblich gewordene deutsche Verfahren einer an fortgeschrittener Dyskalkulie leidenden Nation, wonach das öffentliche Bauen grundsätzlich länger dauert und prinzipiell teurer wird als geplant, ist da noch nicht mal eingepreist.
Arm ist Wagner aber auch im Sinne Loos'. Denn mittlerweile hat er es mit den früheren, selbstverständlich respektablen Architekten und ihren zunächst berechtigten Urheberinteressen zu tun, die den Gasteig vor mehr als 30 Jahren entworfen haben. Dazu zählt vor allem Eike Rollenhagen, der im Lauf der Jahre zu einer Art Sprecher der damals aus vier Architekten bestehenden Planerrunde wurde (zusammen mit Carl F. Raue, Gerd Lindemann und Günter Grossmann).
Das Urheberrecht liegt bei den ursprünglichen Architekten
Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung sagt der 81-Jährige, der heute westlich von München und unweit des Ammersees lebt: "Ich lege Wert darauf, dass aus der Sanierung kein Umbau wird. Ich bin gegen eine Neuerfindung des Gasteigs und würde dagegen vielleicht auch urheberrechtlich vorgehen. Das Kulturzentrum darf nur ertüchtigt, aber nicht grundlegend verändert werden." Derzeit prüft er juristische Schritte gegen den Umbau.
Das ist erstens das gute Recht des Architekten. Wenn man auch sagen muss: Von Anfang an hatte ihn Wagner auf allen erdenklichen Ebenen in das Umbauvorhaben miteinbezogen. Zweitens aber sind juristische Schritte sicher fatal für den Zeitplan der Sanierung, die Rollenhagen zufolge kein Umbau sein darf - der Gasteig GmbH und der Öffentlichkeit zufolge aber ein Umbau sein muss. Drittens würde eine gerichtliche Auseinandersetzung höhere Kosten verursachen, denn gerade am Bau ist Zeit Geld. Und viertens: Wie erklärt man den Steuerzahlern, dass ein mittlerweile mit Patina und Vertrautheit, aber auch mit entwurflichen Fragwürdigkeiten und heute unzeitgemäßen Raumzuschnitten behafteter Bau im Herzen Münchens zwar für eine aberwitzige Summe umgebaut und jahrelang zur Baustelle wird - dass man dann aber von dieser Kraftanstrengung nichts merken soll? Abgesehen von verbesserter Energetik und hübscheren Ziegelsteinen.
Dazu kommt, um die Posse in Schilda, Ortsteil München, komplett zu machen, dass nun auch die aktuellen Architekten des Umbauwettbewerbs das Vergabeverfahren prüfen lassen. Denn Rollenhagen hat sich angesichts dreier gleichwertig erster Preise, die eine unentschlossene Jury für die Umbauentwürfe vergeben hatte - und zwar an das Büro Auer Weber Assoziierte sowie an Gunter Henn beziehungsweise Tobias Wulf -, halböffentlich für den von Henn Architekten ("wenn überhaupt") ausgesprochen. Nun sehen die anderen Planer das Wettbewerbsverfahren beschädigt. Der Gedanke liegt nahe, dass sich unter den drei zum Entscheid anstehenden Entwürfen, die per Jury-Votum gleichrangig zur Überarbeitung empfohlen wurden, nun ein juristisch vermeintlich (!) unproblematischer Beitrag durchsetzt. Das wäre (!) den eher dunklen Andeutungen von Rollenhagen zufolge der von Gunter Henn.
Um das dadaistische Verfahren an der Isar, das sich Uli Hoeneß auf einer Pressekonferenz hätte ausdenken können, abermals zu karikieren: Würde man sich jetzt, weil man etwa das Urheberrecht und den öffentlich gewordenen Nonsense ignoriert, beispielsweise gegen Henn entscheiden, dann könnte auch er gegen das Wettbewerbsverfahren vorgehen. Man möchte gerade kein Stadtrat sein in München.
Andererseits: Nur wenn endlich die Entscheidung fällt, um die sich die Jury gedrückt hat, kann der Rechtsweg beschritten werden. So man das will. Der Stadtrat muss in jedem Fall Gestaltungswillen beweisen. Und Eike Rollenhagen, den man im Gespräch als klugen und besonnenen Architekten kennenlernt, könnte seine Rolle überdenken. Wobei man ihm glaubt: Um Pantoffeln geht es ihm nicht, seine Bedenken sind erst mal seriös.
Im Wesentlichen, dokumentiert in einer auf denkbar unglückliche (oder auch sabotagehafte) Weise öffentlich gewordenen Denkschrift, verfasst in erster Linie von Rollenhagen, geht es den Alt-Architekten um ein halbes Dutzend "urheberrechtlicher Belange" - vom großen Glastreppenhaus innen bis zu den handgeschlagenen Backsteinen außen. Vor allem aber geht es um zwei ernsthaft problematische Aspekte. Erstens um die Saaldecke der Philharmonie. Die muss man schon aus akustischen Gründen zwingend verändern. Zweitens geht es um die "Bastion". Gemeint ist die auf einem dominanten Sockelgeschoss aufragende, sich von der Stadt burgartig abwendende Kubatur, deren Zuwegung von starken Mauern eingehegt wird. Diese Situierung gehört zum konzeptionellen Narrativ des Gasteigs. Vor allem das Wehrhafte des Kulturzentrums, das Dasein als "Bastion", ist den Urhebern wichtig.
Genau das muss man grundlegend infrage stellen. Als der Gasteig erbaut wurde, war das Kulturzentrum umtost vom Autoverkehr. Heute kommen die meisten Menschen per S-Bahn (deren Lage damals noch gar nicht absehbar war), also letztlich durch den Hintereingang in den Gasteig. Daher: Nein! Ein Kulturzentrum muss sich architektonisch dem Stadtraum öffnen und die Kultur des Einladendseins pflegen. Es muss sich als öffentlicher, einsehbarer, niedrigschwelliger Raum präsentieren - und darf eben keine Burg oder Bastion sein. Ein Umbau für Abermillionen, der diesen Missstand nicht behebt, der überdies mit lieblosen Foyers und rein funktional angeordneten Erschließungen statt mit kommunikativ wirksamen Zonen einhergeht, würde sich schon wegen neuer Nutzerwünsche und erweiterter Raumprogramme lächerlich machen.
Das Architektenurheberrecht ist ein vergleichsweises junges Recht. Es entstand als Analogie, um neben den Werken der Kunst, der Literatur oder der Musik auch die der Baukultur als schützenswertes Gut auszuzeichnen. Doch gibt es einen Unterschied zwischen Kunst und Bau. Architektur ist nicht nur Raumschöpfung, sondern auch zweckdienlich. Und veränderlich. Deshalb sind die Gerichte dazu übergegangen, das überbordend in Anspruch genommene Architektenurheberrecht per Einzelfallentscheidung wieder einzufangen.
In Berlin wurde Peter Zumthor das Recht auf die Vollendung seines Bauwerks (für die Stiftung "Topographie des Terrors") verwehrt. In Stuttgart wurde dem Erben von Paul Bonatz' Hauptbahnhof-Urheberrecht beschieden, dass die Interessen der Allgemeinheit und der Gebäude-Eigentümerin, der Bahn, schwerer wiegen als das Denkmalinteresse des Architekten. Andererseits: In München wurde der Umbau des Olympiastadions zu Recht verworfen. Doch als beim Reichstag Norman Foster das von ihm entworfene Mobiliar rechtlich gegen einige Abgeordnete durchsetzen wollte, hat sich vor allem der Architekt in seiner bizarren Eitelkeit unsterblich blamiert. Das Urheberrecht der Architekten ist ein scharfes Schwert. Es dient der Baukultur, kann ihr aber auch schaden.
Max Wagner ist ein umgänglicher und vernünftiger Mensch, Eike Rollenhagen ist ein umgänglicher und vernünftiger Mensch, und die Architekten des aktuellen Wettbewerbs kennt man allesamt auch nur als umgängliche und vernünftige Menschen. Den Stadtrat von München kennt man immerhin als Ort einer gelegentlichen Suche nach Vernunft. Baukultur ist nicht das, was die Gerichte sagen, sondern das, was Architekten und Bauherren gemeinsam zum Wohl einer Stadt leisten. Seit mehr als dreißig Jahren ist der Gasteig trotz mancher Mängel ein Ort, der geliebt wird. Daraus darf man keinen Fall für die Paartherapie machen.