"Er heißt Schmusipopel", beschließt Anouk, während sie mit Jonas und Elias zusammen den hellen Salzteig auf dem Baumstamm verteilt. An diesem Dienstag steht als erstes Kunst auf dem Stundenplan. Die Försterin und Waldpädagogin Marion Schmid hat die nötigen Utensilien bereits auf dem Boden ausgebreitet. "Baumgesichter gestalten", lautet die Aufgabe. Bis auf den bereits zurecht gerührten Salzteig lässt sich alles, was es für Schmusipopels Gesicht braucht, im Wald finden: Haare aus Blättern, Augen aus Blumen und der Mund aus Steinen. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, gekleckert werden darf auch mal. Schließlich findet der Unterricht diesmal im Freien statt.
Genauer gesagt im Fürstenrieder Wald bei einem der zahlreichen "Grünen Klassenzimmer", welche die Städtische Forstverwaltung anbietet. Den Unterricht ins Grüne verlagern - Lernen mit allen Sinnen, lautet das Motto des Programms, welches mit Ausprobieren und Anfassen statt mit Tafel und Kreide punktet. Begleitet von Kommunalreferentin Kristina Frank (CSU) führt Marion Schmid durch diesen simulierten Unterrichtstag mitten in den Pfingstferien. Es geht bei dem Projekt auch darum, Familien und Kindern zu helfen, welche laut Frank während der Pandemie oft "zu kurz kommen". Die Ansteckungsgefahr sei unter freiem Himmel weitaus geringer als im Klassenzimmer.
In der zweiten Stunde ist Deutsch an der Reihe. "Das ist leicht", sagt der sechsjährige Jonas und sucht gezielt das "J" aus dem Alphabet heraus, das auf der Decke ausgebreitet ist. "Ältere Schüler könnten jetzt beispielsweise Diskussionsrunden veranstalten", ergänzt Schmid. In enger Absprache mit den Lehrkräften erarbeitet sie das Programm der jeweiligen Unterrichtseinheit und passt es dem Alter der Schüler sowie den Themengebieten an, die im Lehrplan stehen. "Wir nennen das Lehrer-Förster-Tandem." Das Konzept kommt gut an. Bei den Kleinen wie den Großen. "Was man sonst im Klassenzimmer nur hört oder sieht, kann man hier spüren und erleben", erklärt Schmid den Vorteil des Outdoor-Unterrichts. Deswegen soll bei guter Resonanz auf das "Grüne Klassenzimmer" eventuell auch das "Grüne Kinderzimmer" für Kindergartenkinder folgen, sagt Frank.
Schmidt hat beobachtet, dass Kindern, die in der Stadt aufwachsen, oft der Bezug zur Natur fehlt. "Man merkt an der Motorik, dass die Kinder generell wenig draußen sind. Da fehlt das Draußen-Sein und draußen Kreativ-Sein." Der Unterricht im Wald inspiriert die Kinder und weckt Neugier. Vor allem im Fach Biologie oder, im Fall der jüngeren Besucher, im Heimat- und Sachkunde-Unterricht wird das besonders deutlich. Wieder sind Sitzbänke, Tafel und Lehrerpult ersetzt durch Utensilien, die auf dem Waldboden ausgebreitet sind: Bücher, Vergrößerungsgläser und sogar ein echtes Vogelnest. An einem Baumstamm ist das ausgestopfte Exemplar eines Waldkauzes befestigt und inspiriert zu zahlreichen Fragen. "Warum ist die Eule schon gestorben?", will Anouk von ihrer Mutter wissen. Dann: "Wie lang schon?" Und: "Was bedeutet ,ausgestopft'?"
Für die Bio-Stunde liegt eine Zeitung neben einer Glasflasche und einem Stück Alufolie auf dem Boden. Die Kinder sollen lernen, was wie lange braucht, bis es verrottet. Während die Zeitung zwei Jahre benötigt, sind es bei der Alufolie 200.
In der nächsten Stunde dann könnten ältere Schüler im "Matheunterricht" nicht nur den Strahlensatz beim Errechnen der Baumlängen verinnerlichen, sondern auch ihren eigenen CO₂-Fußabdruck durch eine Gleichung bestimmen. Beim Projekt "Grünes Klassenzimmer" gehe es auch darum, ein gewisses Bewusstsein für die Natur und ihren Wert zu entwickeln, erläutert Marion Schmid. Ein weiteres Ziel sei es, den Wald kennen und lieben zu lernen. "Wenn man eine emotionale Bindung aufbauen konnte, positive Erfahrungen gemacht und etwas Wissen gewonnen hat, ist eine ganz andere Motivation dabei, wenn man sagt: ,Ich will das schützen.'"