Forschung über Nacktschnecken:Gruppenkuscheln bei den Bierschnegeln

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Ein bisschen erinnern die Bierschnegel an Essiggurken - aber sie fressen lieber frische Champignons. (Foto: Bastian Brenzinger/oh)

Der Münchner Zoologe Michael Schrödl hat eine Entdeckung gemacht: Das Verhalten der bedrohten Nacktschnecken ist recht gesellig - und sehr ungewöhnlich.

Von Thomas Anlauf

Michael Schrödl ist manchmal unfreiwillig Überbringer schlechter Botschaften. Erst kürzlich kehrte der Münchner Zoologe von einer Forschungsreise aus Kroatien zurück, wo er mit einem Team aus Spezialisten die Artenvielfalt in einem Nationalpark der Adria untersucht. Was die Forscher in den Seegraswiesen vor der Küste vorfanden, hat Michael Schrödl geschockt. Die dort heimischen Steckmuscheln (Pinna nobilis), die zu den größten Muschelarten weltweit zählen, waren alle tot. "Ein Kahlschlag", sagt der Artenforscher, der seit zwei Jahrzehnten die Weichtierabteilung der Zoologischen Staatssammlung in München leitet. Doch Schrödl hat dafür nebenbei gerade eine andere erstaunliche Entdeckung gemacht. Mit einem Kollegen untersucht er derzeit eine vom Aussterben bedrohte Nacktschneckenart mit dem gesellig klingenden Namen Bierschnegel. Und dieses seltene Geschöpf hat eine besondere Eigenart: Es kuschelt mit seinen Artgenossen.

Von anderen Schnecken oder Weichtieren sei dieses Verhalten bisher kaum bekannt, sagt der Zoologe. "Schon kleinere Jungtiere kuscheln sich gern aneinander, Heranwachsende auch und bilden größere Kuschelgruppen." Weshalb die Bierschnegel (Limacus flavus) oft stundenlang engen Kontakt mit ihren Artverwandten suchen, ist laut Schrödl noch völlig offen. Wollen sie so Feuchtigkeitsverlust vorbeugen, dient es der gemeinsamen Nahrungssuche oder suchen sie tatsächlich die Nähe zu einem potenziellen Partner? "Diese Beobachtung ist absolut neu", sagt der Schneckenkundler.

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Der Münchner stieß per Zufall auf das seltsame Verhalten der Bierschnegel, die in Deutschland jahrzehntelang von der Bildfläche der Biologen verschwunden waren. Vor drei Jahren wurden die nachtaktiven Nacktschnecken erstmals nach acht Jahrzehnten ausgerechnet in der Feiermeile Reeperbahn wiederentdeckt. Zwei Jahre zuvor fanden Forscher einige Exemplare in Berlin-Charlottenburg. 2019 meldete der Naturschutzbund Nabu auch einen Bierschnegel an einer Hauswand in Hannover. Und die Münchner Bierschnegel? Stammen aus Würzburg. Zumindest die Eier der dort entdeckten Tiere.

Nachdem Ende Juni Michael Schrödl beim Bayerischen Rundfunk als Experte in eine Sendung über Nacktschnecken eingeladen war, schrieb ihm eine Würzburgerin, dass bei ihr im Hinterhof mehrere Bierschnegel leben. Schrödl war interessiert und züchtete daraufhin mit seinem Kollegen Bastian Brenzinger jeweils zu Hause etwa vier Dutzend Bierschnegel. Unabhängig voneinander fiel den Forschern das ungewöhnliche Kuschelverhalten auf, auch schon bei den Jungtieren. "Das gesellige Verhalten der Bierschnegel steht in scharfem Gegensatz zur aggressiven Lebensweise des verwandten großen Tigerschnegels", sagt Schrödl. Der gilt als Einzelgänger und attackiert und tötet andere Nacktschnecken, um das eigene Revier zu verteidigen. Der etwa halb so große Bierschnegel, er wird etwa acht bis maximal zwölf Zentimeter lang, fühlt sich dagegen in der Gemeinschaft wohl.

Mittlerweile untersuchen Schrödl und Brenzinger auch, was die gelb gepunkteten Nacktschnecken, die im ausgewachsenen Stadium durchaus eine Ähnlichkeit mit Essiggurken haben, am liebsten fressen. Tatsächlich mögen sie auch Gurken, aber "frische Champignons mögen sie wirklich", sagt Schrödl. Das mag an ihrer bevorzugten Umgebung liegen: feuchte, modrige Keller. Früher ernährten sich Bierschnegel gerne von Lebensmittelresten in Bierkellern, daher auch ihr Name. Doch die mittlerweile gut isolierten Gebäude in Deutschland machen den Bierschnegeln, die womöglich im Mittelalter aus Südeuropa nach Deutschland eingewandert sind, offenbar das Leben zunehmend schwer.

Die Münchner Schneckenkundler wollen das Verhalten der kuschelnden Tiere auch weiterhin genau beobachten, in ihrer Freizeit zu Hause, weil die Schnecken meistens erst am späten Abend richtig aktiv werden. Bislang sind die jungen Schnegel auch noch nicht einmal paarungsbereit. Michael Schrödl schätzt, dass die Zwitter (Hermaphroditen) erst im kommenden Jahr Lust verspüren, sich zu vermehren. Danach wollen die Biologen die Tiere im Isartal ansiedeln. Dann wird es auch in München nach Jahrzehnten wieder frei kriechende Bierschnegel geben. Für die finanzielle Unterstützung des Forschungsprojekts wünscht sich Michael Schrödl einen starken Partner, am liebsten eine Münchner Bierbrauerei als Pate für den Bierschnegel.

© SZ vom 13.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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