Flohmärkte:Endlich wieder Leben in den Hinterhöfen

Lesezeit: 3 min

Nach einem Jahr Pause laden gleich in mehreren Stadtvierteln Hausbewohner wieder zum Flohmarkt ein. Und die Lust auf Shopping ohne Internet und echte Kontakte ist groß.

Von Catherine Hoffmann

Samstagmorgen, Sonnenschein, sommerliche Temperaturen. Auf den Hofflohmärkten in München herrscht Hochbetrieb. Dichtes Gedränge in den Hinterhöfen, wo Nachbarn Trödel, Plunder und Kuriositäten auf Tapeziertischen ausgebreitet haben. Menschen schlendern von Stand zu Stand und stöbern durch gebrauchte Sachen. Monika fühlt sich wohl hier. "Ich bin glücklich, dass es endlich wieder Flohmärkte gibt, wir haben so lange darauf verzichten müssen", sagt sie. "Heute mag ich nur schauen und alles in mich aufnehmen."

Monika geht, seit sie 30 ist, auf Flohmärkte. Ihr liebster Platz war früher der große Markt beim Olympiastadion. "Da war ich jedes Wochenende", erzählt sie. "Man vergisst dort Zeit und Raum. Und man führt so viele erfüllende Gespräche."Inzwischen besucht sie lieber die kleinen Flohmärkte im Westend und in Haidhausen, wo man leicht mit Menschen ins Gespräch kommt und es nicht in erster Linie ums Geschäftemachen geht.

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Ein Jahr haben die Hofflohmärkte pausieren müssen, wegen Corona. In diesem Sommer öffnen sie wieder. Am Wochenende machten Anwohner aus halb München mit, von Gern bis zur Au, von Thalkirchen bis zum Lehel. Um größere Menschenansammlungen zu vermeiden, gilt eine behördliche Hof-Obergrenze pro Viertel. Außerdem gibt es mehrere Termine für jedes Viertel und zeitgleich Hofflohmärkte in unterschiedlichen Stadtteilen. Wer an diesem Wochenende die Trödelmärkte also verpasst hat, findet weitere Termine im Internet unter hofflohmaerkte.de. Es gelten die üblichen Regeln zur Eindämmung der Pandemie, Mindestabstand und Maskenpflicht. Die Besucherströme sollen mit Kreide-Markierungen auf dem Boden gelenkt werden. Bei Überfüllung darf niemand mehr in den Hof.

"Ich finde es sehr schön, dass jetzt das Leben wieder losgeht", sagt Johannes Böckler, der eine Hofeinfahrt im Westend bewacht. "Man muss natürlich aufpassen, Vorsicht ist wichtig, das ist ja klar." Freundlich bittet er zwei Neugierige, sich die Hände zu desinfizieren, bevor sie in den Innenhof gehen, wo es zwischen schönen Stoffballen und billigem Tand allerhand alte, abgelebte Gegenstände zu entdecken gibt. Mit Hilfe von zwei Schüsseln und einer Handvoll Knöpfen zählt Johannes Böckler die Besucher in seinem Hof. Er selbst will zwei Paar alte Skier und Korbstühle verkaufen. "Bei mir hat sich so viel angesammelt über die Jahre, es war höchste Zeit zu entrümpeln", sagt Böckler. "Jetzt habe ich's endlich geschafft."

Seine Nachbarin möchte Kinderbücher und zu klein gewordene Fahrradhelme loswerden. "Meine Nachbarn sind passionierte Flohmarktgänger, ich selber nicht", gesteht sie. "Aber ich genieße es, mal wieder draußen zu sein und Kontakt zu Menschen zu haben." Nebenan verkauft Andrea Palm Stoffe mit grünen Äpfeln, blau-weißem Karo oder weißen Punkten auf grünem Grund. "Ich habe früher Schlummerschlangen für kleine Kinder genäht, damit die es im Bett kuschelig haben, und bei Etsy und Dawanda verkauft", sagt Palm. Jetzt hat sie jede Menge Stoffe übrig und will sie vor dem anstehenden Umzug in eine andere Stadt unter die Leute bringen.

Zum Kerngeschäft der Hofflohmärkte gehört der Kauf und Verkauf von Schuhen und Kleidern. Der Name der Märkte leitet sich angeblich davon ab: Dass sich nämlich in der abgelegten Garderobe reicher Pariser, die einst von Lumpenhändlern verhökert wurde, jede Menge Flöhe versteckten, weshalb sie die Märkte Marché aux Puces nannten - Flohmarkt.

Eine Frage, die sich hier im bunten Treiben aufdrängt: Worin besteht der Reiz eines Flohmarktes in digitalen Zeiten, in denen man alles, was man begehrt, im Internet begutachten und erstehen kann? Eine Antwort heißt: Im Internet fehlt die soziale Dimension, die so wichtig ist. "Ich wohne seit Ende 2019 hier und habe jetzt endlich die Chance, alle Nachbarn kennenzulernen", sagt Selina. "Wir haben uns zusammengesetzt und beschlossen, den Flohmarkt gemeinsam zu organisieren." Vorher haben sie ihren Hinterhof noch aufgehübscht. Mit ihrer Nachbarin Verena teilt Selina sich eine Kleiderstange mit Shirts und Pullis, die im Schrank keinen Platz mehr haben.

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Viele Flohmarkt-Flaneure interessieren sich aber nicht nur für den Reiz gebrauchter Gegenstände und gute Gespräche. "Das Schöne an den Hofflohmärkten ist, dass man die Chance hat, viele Innenhöfe zu sehen, die sonst verschlossen sind", sagt Verena. Tatsächlich hat so mancher Besucher an diesem Samstag keinen Blick für die oft auf dem Boden ausgebreiteten Gegenstände, sondern legt den Kopf in den Nacken, um die Häuser anzusehen.

Auf der Straße trifft man Jürgen, der gerade einen Swingstick erworben hat. Er kennt die Dinger aus dem Sportstudio und will damit jetzt zu Hause trainieren - "oder er landet im Schrank, das ist noch nicht entschieden", sagt er. Er schätzt den Vorteil des Flohmarkt-Erwerbs vor dem Internetkauf: Man kann die Gegenstände physisch untersuchen. Bevor er die acht Euro für den elastischen Stick ausgegeben hat, befragte er aber doch das Internet, was so ein Teil bei Amazon kostet. "Das mache ich immer", erzählt er, "damit man nicht übers Ohr gehauen wird."

© SZ vom 28.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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