Vor Gericht in München:Keine staatliche Entschädigung wegen Corona-Maßnahmen

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Zwei Geschäftsleute müssen aufgrund der Pandemie ihre Betriebe schließen. Dafür verlangen sie eine Wiedergutmachung - aber scheitern vor Gericht.

Von Stephan Handel, München

Für Einkommensverluste von Unternehmern wegen der staatlich angeordneten Corona-Maßnahmen gibt es keine über die Soforthilfen hinausgehenden Entschädigungen. Das entschied das Landgericht München I in zwei am Mittwoch verkündeten, praktisch gleichlautenden Urteilen. Geklagt hatten der Betreiber einer Cart-Bahn und ein Musik- und Filmproduzent auf Entschädigungen in Höhe von 11 000 beziehungsweise 6000 Euro.

Die beiden Geschäftsleute wählten einen anderen Weg als einige ihrer Kollegen, die sich gegen Allgemeinverfügungen und Infektionsschutzverordnungen zu wehren versucht hatten: Sie sehen den Staat als Verursacher konkreter Schäden, die durch die Betriebsschließungen entstanden seien. Weil diese Schäden ihr Vermögen betrafen, kämen sie sozusagen einer Enteignung gleich - und dafür wollten sie Wiedergutmachung. Bei Enteignungen, seien sie rechtmäßig oder -widrig, kann es durchaus Entschädigungen geben. Diese sind jedoch nicht gesetzlich geregelt, sondern wurden im sogenannten Richterrecht entwickelt - also durch die Rechtsprechung im Lauf der Zeit.

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Bei staatlichen Maßnahmen wie den jetzigen, die im Extremfall zu einer Vielzahl von Klagen und dann zu unvorhersehbar hohen Forderungen an den Staat führen könnten, könne aber das Richterrecht nicht angewendet werden, entschied die 15. Zivilkammer, ein Urteil des Landgerichts Hannover zitierend: Denn dadurch würde dem Haushaltsgesetzgeber, also dem Parlament, "die freie Entscheidungskompetenz aus der Hand genommen, wie, wofür und in welchem Umfang er die begrenzten staatlichen Mittel einsetzt". Die Richter würden also ein parlamentarisch zustande gekommenes Gesetz aus eigener Macht und unter Umgehung des Gesetzgebers um eine Entschädigungsklausel erweitern. "Eine solche Befugnis steht aber dem an Recht und Gesetz gebundenen Richter nicht zu."

Mag sein, dass die Kläger das Pech hatten, ihre Fälle gerade vor der 15. Zivilkammer verhandelt zu sehen - deren Vorsitzender Richter Frank Tholl hat erst kürzlich ein Buch mit dem Titel "Staatshaftung und Corona" veröffentlicht, in dem er sich wissenschaftlich-juristisch mit dem Thema auseinandersetzt. Dass Tholl einigermaßen tief in das Thema eingestiegen ist, zeigt sich in jenen Abschnitten des Urteils, in denen es um eventuelle Ansprüche nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) geht.

Das Gericht sieht keine Regelungslücke - und keinen Entschädigungsanspruch

Das Gesetz sieht durchaus Ausgleichszahlungen vor - allerdings gerade nicht für Umsatzverluste durch Betriebsschließungen. In der mündlichen Verhandlung Ende März war darüber eine lebhafte Diskussion entstanden: Hat der Gesetzgeber das so gewollt? Oder hat er die Unternehmer einfach nur vergessen? Für diesen Fall - die Juristen sprechen von einer "planwidrigen Regelungslücke" - dürfte das Gericht die entsprechenden Regelungen auch für diese Fälle analog anwenden. Und wenn nicht, wenn der Staat die Unternehmer tatsächlich draußen lassen wollte? Da diskutierten sie, ob dann nicht der gesamte Vorgang verfassungswidrig sein könnte, denn Enteignung ohne Entschädigung ist nicht rechtens.

So weit kam es aber gar nicht, und das Gericht ersparte es sich auch, die Frage dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Das Urteil greift dazu tief in die Geschichte des Gesetzes, bis zum Bundesseuchengesetz aus dem Jahr 1961. Danach wird jede Änderung des Gesetzes hinsichtlich aufgenommener oder abgeschaffter Entschädigungsmöglichkeiten akribisch aufgezählt, mit dem Ergebnis: Der Gesetzgeber wusste sehr wohl, was er tut, die Unternehmer wurden nicht vergessen, sondern stehen mit voller Absicht nicht im Gesetz. Deshalb keine Regelungslücke, deshalb keine Entschädigung. Und weil es für die Entscheidung des Gerichts unerheblich ist, ob die entsprechenden Paragrafen des IfSG verfassungsgemäß sind oder nicht, muss diese Frage auch nicht dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden.

Beim Landgericht München I ist ein gutes Dutzend ähnlicher Klagen anhängig. Dem bayerischen Finanzministerium waren zuletzt Klagen mit Gesamtforderungen von mehr als 300 000 Euro bekannt. In anderen Bundesländern, so in Hamburg, Brandenburg, Berlin, Niedersachsen und Baden-Württemberg, entschieden Gerichte ebenfalls gegen die Unternehmer. (AZ: 15 O 10858/20)

© SZ vom 29.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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