Dokumentarfilmfest München:Schwarzer kritisiert Selenskij: Hört nicht auf zu provozieren

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Auch mit 79 noch voller Elan: Alice Schwarzer. In München wurde am Samstag eine Dokumentation über die Feministin vorgestellt. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Die Feministin wünscht sich "nuanciertere Töne auch aus der Ukraine" - und verteidigt ihre Initiative zum offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz.

Von René Hofmann

Alice Schwarzer wäre nicht Alice Schwarzer, wenn sie die Premiere eines Films über Alice Schwarzer nicht nutzen würde, um ein Alice-Schwarzer-Thema zu transportieren. Ende April veröffentlichte das von der 79-Jährigen gegründete Magazin Emma einen offenen Brief, in dem Schwarzer und 27 weitere Intellektuelle Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine warnten. Inzwischen haben sich 250 000 Menschen dem angeschlossen.

In der Filmbiografie "Alice Schwarzer", die die österreichische Regisseurin und Produzentin Sabine Derflinger am Samstag beim Dokumentarfilmfestival in München im Beisein der Protagonistin vorstellte, spielt das keine Rolle. Die sehenswerten 135 Minuten drehen sich um Schwarzers Kampf um die Frauenrechte und wie sie diesen prägte. In der Nachbesprechung mit dem Publikum aber stellte die Publizistin klar: "Überall, wo in den letzten Jahrzehnten diese Kriege waren, manchmal auch im Namen der Menschenrechte oder gar der Frauenrechte, ist ja nur verbrannte Erde zurückgeblieben, sodass es für mich selbstverständlich und zwingend war, den Anstoß für diese Initiative zu geben."

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Auslöser für diese sei gewesen, dass sie eine "gewaltige Kluft zwischen der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung" wahrgenommen habe, die 50 Prozent der Deutschen, die sich gegen Lieferungen von schweren Waffen in die Ukraine aussprächen, seien in den Medien nicht vorgekommen. "Das war für uns das Motiv, jetzt mal eine andere Stimme zu erheben."

Mit dem Widerhall ist sie durchaus zufrieden. "Für mich ist jetzt schon wahnsinnig viel erreicht", so Schwarzer mit Blick auf die vielen Beiträge zu dem Thema: "Diese so wichtige Debatte über Leben und Tod, die läuft jetzt in Deutschland. Bravo!"

Auf der Kinobühne schloss sie versöhnlich: "Ich finde es eine ertragbare Kontroverse, weil ich davon ausgehe, dass alle Beteiligten letztendlich das Richtige wollen, nur andere Schlüsse ziehen - und darüber müssen wir reden." Doch Alice Schwarzer wäre nicht Alice Schwarzer, wenn sie eine so gute Gelegenheit, die Debatte weiter voranzutreiben, hätte verstreichen lassen.

Der Deutschen Presseagentur diktierte sie dann noch ein paar Sätze, von denen sie sicher sein konnte, dass sie über München hinaus Gehör finden würden. Vom ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij wünsche sie sich gemäßigtere Töne. "Ich bedauere, dass Selenskij nicht aufhört zu provozieren." Würde Olaf Scholz der Einladung Selenskijs folgen und am 9. Mai nach Kiew reisen, wäre das eine "Provokation ohne Gleichen". An dem Tag feiert Russland den Sieg über das nationalsozialistische Deutschland. "Ich würde mir doch ein bisschen nuanciertere Töne auch aus der Ukraine wünschen", sagte Schwarzer, betonte aber: Wenn man die Politik des Präsidenten "zum Teil fragwürdig" finde, bedeute das nicht, dass man nicht mit dem Land fühle - "ganz im Gegenteil".

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