Deutsches Theater:Gericht entlastet frühere Geschäftsführer - Stadt erteilt trotzdem Hausverbot

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Ein Bild aus glücklicheren Tagen: Die ehemaligen Intendanten Carmen Bayer und Werner Steer im Jahr 2016 im Deutschen Theater. (Foto: Florian Peljak)

Die Stadt bleibt hart im Umgang mit Carmen Bayer und Werner Steer. Ihm erteilt sie sogar ein Hausverbot. Er sieht seinen Ruf vernichtet und sagt: "Man hat uns angefeindet wie Verbrecher."

Von Michael Zirnstein

Als Werner Steer vor einem halben Jahr als Geschäftsführer des Deutschen Theaters München gefeuert wurde, fühlte sich das für ihn "vernichtend" an. Aber nicht nach Endstation. Er würde sich am 1. September Schlips und Sakko anziehen, seine alte Wirkungsstätte betreten und fragen: "Was gibt es für mich zu tun?" So hörte man ihn bisweilen reden. Im Scherz, aber auch mit trotzigem Ernst. Denn das Theater sei sein Leben gewesen, seit den Achtzigern, von der Technikeraushilfe hatte er sich zum Geschäftsführer hochgearbeitet. Und in seinem Intendanten-Vertrag von 2007 steht eine sogenannte Rückfalloption an seine vorherige Position im Haus.

Das heißt, nachdem er die sechsmonatige Freistellung als Geschäftsführer abgesessen hätte, hätte er wieder als Kaufmännischer Leiter zurückkehren können. Theoretisch. Zuletzt, nach einem halben Jahr als Torwarttrainer des SC Horgau, einem halben Jahr im Papierkrieg mit der Stadt München, erschien ihm die Arbeit im traditionsreichen "Palast des Lächelns" durchaus wieder verheißungsvoll. "Ich will zurück ans Theater, ich habe noch drei Jahre bis zur Rente. Ich habe nichts verbrochen. Und ich biete meine Erfahrung an", sagt er. Doch daraus wurde nichts. Einen Tag vor dem "Rückfall" stand ein Briefbote in seiner Tür: Die Stadt erteilte ihm Betretungsverbot im Deutschen Theater. "Ich habe da drin gelebt!", sagt Steer und klingt verzweifelt.

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Wie konnte es so weit kommen? Dass Steer, der als Doppelspitze mit Carmen Bayer das traditionsreiche Musical- und Show-Theater von 2009 an erfolgreich geführt hat, so in Ungnade gefallen ist bei seinem Arbeitgeber? Die Verlängerung der Intendantenverträge im November 2019 bis 2025 spreche für eine bis dahin erfolgreiche Leitung, bestätigte das Kulturreferat. Jedes Jahr kamen zwischen 300 000 und 350 000 Besucher in bis zu 400 Musical-, Theater-Vorstellungen, Shows, Revuen und Konzerte; mehr kann keine andere städtische Bühne vorweisen. Dabei kostete das Theater mit seinen 1500 Plätzen im großen Saal und 250 im Silbersaal die Bürger im Jahr keine zwei Millionen Euro, vergleichsweise sehr wenig. Und dann kosteten auf einmal 130 000 Euro, die noch nicht einmal verloren waren, beide Geschäftsführer das Amt.

Das war passiert: Ende 2021 gingen in den Büros der Bürgermeisterinnen Katrin Habenschaden und Verena Dietl zwei nicht nachverfolgbare E-Mails ein, angeblich von Mitarbeitern des Deutschen Theaters, die sich beklagten, keine München-Zulage erhalten zu haben. Im Wahlkampf 2019 hatte Oberbürgermeister Dieter Reiter versprochen, diesen Zuschuss für das teure Leben hier sowie den Nahverkehrszuschuss auch Angestellten städtischer Tochtergesellschaften wie der Deutsches Theater GmbH zu gewähren. Der Stadtrat beschloss dies im Frühjahr 2020. Die Aufsichtsratsvorsitzende Habenschaden ging den Mails nach und fand heraus: Das Deutsche Theater hatte die Zuschüsse für 2020 und 2021 im Gesamtpaket der jährlichen Betriebsmittelzuschüsse überwiesen bekommen, aber nie ausbezahlt. Anders als etwa das vergleichbare Volkstheater. Und entgegen einer Anweisung von Reiter per Rundschreiben.

Vieles lässt sich nicht mehr nachvollziehen

Warum hatten sich Bayer und Steer der Anweisung widersetzt? "Die Lage war, auch wegen Corona und der Kurzarbeit, völlig unklar", erklärt Steer. "Wir dachten, wir machen uns vielleicht strafbar, wenn wir ausbezahlen", ein Rechtsanwalt habe sie etwa auf das "Besserstellungsverbot" ihrer tariflich ungebundenen 38 Mitarbeiter gegenüber direkt bei der Stadt Angestellten hingewiesen. Man habe mit dem zuständigen Kulturreferenten Anton Biebl abgesprochen, das Thema und das Geld zu parken, bis Corona bewältigt sei, sagt Steer. Biebl beharrt darauf, nichts von dieser Absprache zu wissen. In einer Version der von Habenschaden angeforderten, von Steer zusammen mit dem Kulturreferat erarbeiten Stellungnahme steht noch "ja,", das Vorgehen sei dem Referat bekannt gewesen. Wer das wann hineingeschrieben oder entfernt hat, lässt sich nicht mehr nachvollziehen, ebenso wenig wie die Herkunft der Aussage, man habe mit dem Geld eine drohende Insolvenz in der Corona-Krise abwenden wollen, wie es in der an die Presse versandte Stellungnahme schließlich hieß.

Wer zu wem was gesagt hat, bleibt unklar, wie vieles andere. Die Aufsichtsräte schweigen mit Verweis auf die laufenden Untersuchungen, Verfahren und Verhandlungen offiziell bis heute. Jedenfalls wies der Aufsichtsrat Steer und Bayer im November 2021 an, die Gelder rückwirkend und "rechtssicher" auszubezahlen. Daraufhin haben Bayer und Steer - ob eigenmächtig oder im Auftrag, auch da gibt es gegensätzliche Darstellungen - ein Gutachten für 30 000 Euro bei der Wirtschaftsrechtskanzlei GSK Stockmann in Auftrag gegeben. Das kam zu dem Ergebnis: Die Mitarbeiter hätten aktuell kein Anrecht "auf die (rückwirkende) Auszahlung der München-Zulage und des Fahrtkostenzuschusses".

Dem Aufsichtsrat reichte das nicht. Es wurden eigene Experten zugezogen. Und im Beisein des Kulturreferenten ließ man Unterlagen und E-Mails im Deutschen Theater beschlagnahmen, die Herausgabe der Diensthandys verweigerten Bayer und Steer. Offenbar wurden keine Versäumnisse entdeckt. Dennoch enthob der Aufsichtsrat zum 1. Februar 2022 Steer und Bayer wegen "mangelnder Vertrauensbasis" ihres Amtes. Steer spricht von einem "Volkstribunal": "Man hat uns angefeindet wie Verbrecher."

Der Aufsichtsrat schaltete die Staatsanwaltschaft ein

Tatsächlich entsteht - auch mangels Einblick - der Eindruck, die Stadt habe hier sehr, sehr hart durchgegriffen, anstatt intern die Wogen zu glätten. Dafür, so hört man aus kundigen Kreisen, hätten sich Steer und Bayer aber zu unkooperativ in der Causa gezeigt. Die Vorwürfe seien gravierend gewesen, da bleibe wenig Handlungsspielraum. Letztlich schaltete der Aufsichtsrat die Staatsanwaltschaft ein, auch um sich nicht mitschuldig zu machen. Der Vorwurf lautete: Betrug gegenüber der Landeshauptstadt und Veruntreuung von Arbeitsentgelt. Es waren "höllische" Tage für Steer.

Bereits vier Wochen nach seiner Stellungnahme kam im Juni wieder Post vom Staatanwalt: Der hatte das Ermittlungsverfahren eingestellt. In der Begründung stand etwa, man habe "keine schwarzen Kassen" entdeckt, "keine Verschleierung" festgestellt, der Stadt sei "kein Vermögensschaden" entstanden, die Angestellten hätten keinen konkreten vertraglichen Anspruch auf das Geld gehabt.

"Ein Persilschein", sagt Steer. Dennoch sehen die Menschen ihn nicht mit weißer Weste. Zuhause im Allgäu auf dem Dorf sage man noch zu ihm: "Mensch, Werner, wie konntest du das nur machen!" Auch in der Branche würde ihn mit dem ramponierten Ruf niemand mehr einstellen. Es nagt schwer an ihm. Von der Stadt hätte er sich spätestens nach der Verfahrenseinstellung eine öffentliche Entschuldigung gewünscht, zumindest eine Richtigstellung. Oder eben "eine goldene Brücke" zurück in sein Theater. Dorthin sei, so sagen Insider in der Stadt, der Weg zu, Steers Rückkehr könnte "massiv den Betriebsfrieden stören". So ist die Stadt nun in der Pflicht, eine adäquate Stelle wie im Altvertrag zu finden. Oder sie kann ihm kündigen und vor dem Arbeitsgericht über eine Abfindung nach 19 Jahren Betriebszugehörigkeit streiten. Das käme für die Stadt noch zu den Kosten für Gutachten, Rechtsbeistände und die fortlaufenden Gehälter während der Freistellung - geschätzt summa summarum mehrere hunderttausend Euro.

So weit will es Katrin Habenschaden als zuständige Bürgermeisterin nicht kommen lassen. "Derzeit finden vertrauliche Gespräche mit Werner Steer statt, die ich nicht durch öffentliche Äußerungen belasten will", teilt sie mit. "Mir ist an einer einvernehmlichen Lösung im Sinne aller Beteiligten gelegen." Mit Carmen Bayer - die sich seit Lautwerden der Vorwürfe nie öffentlich geäußert hat - sei eine solche Lösung gefunden, sagt Habenschaden. Insider sprechen von einer Anstellung der Juristin in einem städtischen Kulturzentrum.

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