Rudolf Riethmaier wird auf seine fortgeschrittenen Tage noch zum Aktivisten. 69 Jahre alt ist er, gelernter Berufskraftfahrer, 30 Jahre war er bei der Müllabfuhr tätig. Er tritt am Samstagvormittag ans Mikrofon und sagt, den Namen seiner Vermieterin, "Dawonia", könne man bald ergänzen durch ein "nimmer lang". Dawonia, das soll klingen wie "Da wohn i a". Riethmaier hat nun große Sorge, dass er sich seine Wohnung bald nicht mehr leisten kann. Deshalb ist er wie etwa 50 bis 70 weitere Teilnehmer zur Demonstration gekommen, die seine Mietergemeinschaft "Berliner Viertel" zusammen mit der Bürgerinitiative "Ausspekuliert" organisiert hat. "Wir können uns nur gemeinsam wehren", sagt Riethmaier ins Mikrofon.
Die Dawonia hieß einmal GBW, sie war eine staatliche Wohnungsgesellschaft. Bis der Freistaat 2013 beschloss, die 30 000 bezahlbaren Wohnungen, davon 9000 in München, zu verkaufen. Seit der Privatisierung ist das Unternehmen regelmäßig in den Schlagzeilen; viele Mieterinnen und Mieter leben mit der Angst vor Verdrängung. Jüngster Fall: eine Anlage mit etwa 170 Wohnungen in der Nähe des Nordfriedhofs in Schwabing. Im vergangenen Jahr fielen die Wohnungen aus der Sozialbindung, die Dawonia erhöhte die Mieten um 15 Prozent. Vor Kurzem erhielten einige Mieter dann wieder einen Brief: eine Modernisierungsankündigung. Die Mieten sollen danach nochmals steigen - je nach Wohnungsgröße um bis zu 200 Euro.
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"Ausspekuliert" spricht von einem "Deckmantel der Nachhaltigkeit", unter dem das Unternehmen agiere. Die Heizkosten würden nach den Umbauten um gerade mal etwa 15 Euro sinken. Jahrzehntelang sei an der Instandhaltung der Mitte der 1980er-Jahre erbauten Wohnanlage gespart worden. Einige Mietparteien kämpften seit Jahren mit Schimmel; die Dawonia werde nicht aktiv. "Statt mit einer Modernisierung die Mieten nach oben zu treiben, sollte die Dawonia in die Instandhaltung des Wohnblockes investieren", heißt es in einem Statement von "Ausspekuliert".
6,57 Euro pro Quadratmeter
Die Dawonia widerspricht vehement. "Die von uns geplanten Modernisierungsmaßnahmen dienen dazu, Beiträge zum Klimaschutz zu leisten, den Mieterinnen und Mietern zeitgemäßen Wohnraum zur Verfügung zu stellen und nicht zuletzt den Wohnraum in seiner Substanz für die Zukunft zu erhalten", heißt es in einer Stellungnahme auf Anfrage. Es gehe "in keinem Fall um Verdrängung". Der Vorwurf, die Dawonia habe die Instandhaltung vernachlässigt, sei "nicht haltbar". Insgesamt habe das Unternehmen "rund 500 000 Euro über die gesamte Wohnanlage verteilt" investiert - in welchem Zeitraum, geht aus dem Statement nicht hervor. Der häufigste Grund für Schimmel sei, dass Mieter mangelhaft lüfteten. Alle Mietanpassungen entsprächen den gesetzlichen Regelungen, bei Bedarf prüfe man wirtschaftliche und soziale Härtefälle. Überdies liege die aktuelle Durchschnittsmiete im "Berliner Viertel" bei 6,57 Euro pro Quadratmeter.
Auch Bewohner anderer Dawonia-Häuser sind zum Protest gekommen. Nur ein paar Hundert Meter weiter steht eine Wohnanlage, die vor ein paar Jahren bekannt wurde, weil sich die Kaltmieten nach einer Modernisierungsankündigung teils fast verdreifachen sollten. Der Mieterverein bezeichnete solche Fälle damals als "rigorose Entmietung auf legalem Weg". Heute ist so etwas rechtlich nicht mehr möglich. Beim Protest am Samstag stellt Volker Rastätter vom Mieterverein politische Forderungen auf: Um die Lage wirklich zu ändern, brauche es "neue Gesetze und einen Mietenstopp".
Rudolf Riethmaier will weiter aktiv sein, protestieren, seinen Unmut zeigen. Vielleicht werde er sich bald an der Straße festkleben, sagt der Rentner. "Das ist jetzt modern."