Münchner Momente:Durchwursteln ist genug

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Gute Vorsätze muss in diesen Jahr keiner fassen. Es reicht, sich 2022 zu bemühen, nicht verrückt zu werden.

Glosse von Stephan Handel

Das Gute an dem neuen Jahr ist: Es ist jetzt alles egal. Niemand muss mehr gute Vorsätze fassen. Niemand muss sich vornehmen, mehr zu joggen, weniger zu rauchen oder nicht mehr hungrig einkaufen zu gehen, weil es sonst wieder Käsetheke zum Abendessen gibt. 2022 wird uns genügend damit beschäftigen, nicht verrückt zu werden, nicht depressiv oder aus Versehen mit Nazis spazieren zu gehen. Mehr geht nicht.

Es hat ja sowieso noch nie geklappt mit den guten Vorsätzen: Da wird zu Silvester groß verkündet, dass im neuen Jahr mindestens fünf Kilo runter sollen von der Wampe - Ende Januar stellt man dann fest, dass jetzt nur mehr acht Kilo fehlen. Eine Theorie besagt zudem, dass die Fitness-Studios ihre eklatanten Gewinnmargen nur dadurch realisieren können, dass es mehr als genug Leute gibt, die zwar monatlich die Gebühr bezahlen, aber nie zum Trainieren kommen. Das ist so, als würde man dem Metzger jeden Monat 100 Euro überweisen, aber nie auch nur eine einzige Leberkässemmel konsumieren.

Im Jahr 2022 ist das alles egal. Um eine ältere Formulierung von Axel Hacke aufzugreifen: Wir sind keine guten Menschen. Wir sind keine bösen Menschen. Wir wursteln uns so durch. Wir haben genug damit zu tun, Booster und Lockdown und Masken und Kontaktbeschränkungen und Lauterbach zu verstehen, ohne dabei durchzudrehen. Es bleiben keine Zeit und keine Kraft mehr, an der Verbesserung der Menschheit respektive unserer selbst zu arbeiten. Das muss leider warten bis in virusfreie Zeiten.

Erich Kästner schrieb: "Man soll das Jahr nicht mit Programmen / beladen wie ein krankes Pferd. / Wenn man es allzu sehr beschwert, / bricht es zu guter Letzt zusammen." Das wollen wir uns für 2022 zu Herzen nehmen, es ohne Vorsätze beginnen, vor allem ohne gute, für uns weiterwursteln und einfach sehen, was geschieht.

Zusammenbrechen können wir dann immer noch.

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