Corona-Heldinnen:"Auch wenn der Tod zum Klinikalltag gehört, geht einem das schon nahe"

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Ein Herz aus Licht wurde 2020 an das Gebäude am Stachus projiziert, um Menschen Danke zu sagen, die während der Corona-Pandemie in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder Kindertagesstätten arbeiten. (Foto: Stephan Rumpf)

Zu Beginn der Pandemie wurden sie beklatscht. Da merkten viele erst, wie wichtig Menschen in sozialen Berufen sind. Und heute? Eine Erzieherin, eine Altenpflegerin und eine Krankenschwester erzählen, ob und was sich verändert hat.

Von Martina Scherf

"Dauernd ändern sich die Corona-Regeln. Das bedeutet unendlich viel Papierkram."

Erzieherin Carlota Leoz Navarro wird bald Mutter. "Vielleicht ist die Pandemie ja vorbei, bis ich wieder mit der Arbeit anfange", sagt sie. (Foto: Robert Haas)

"Zurzeit geht es mir sehr gut", sagt Carlota Leoz Navarro, und man hört ihre Freude geradezu durchs Telefon, "denn ich bin schwanger! Im Januar werden wir heiraten, im März kommt das Baby, wir freuen uns riesig." Die 33-Jährige liebt Kinder und ihren Beruf als Erzieherin. Aber jetzt steht erst einmal die eigene Familienplanung im Vordergrund.

Bis zum Sommer durfte sie noch arbeiten, dann wurde sie wegen der Schwangerschaft freigestellt. Was sich nicht geändert hat: Es fehlt in den Kitas an Personal. Fast überall sei nur eine Erzieherin in einer Gruppe, wird sie krank, dürfen die Kinder wegen Corona nicht auf andere Gruppen aufgeteilt werden, "dann mussten wir die Gruppe schließen". Carlota Leoz Navarro war noch nie krank, seit sie vor acht Jahren nach Deutschland kam. Sie hatte in Spanien Grundschullehramt studiert.

Wirklich anstrengend sei die Bürokratie, sagt sie. "Dauernd ändern sich die Corona-Regeln, das bedeutet unendlich viel Papierkram." Man muss für jedes Kind notieren, wann es gebracht und wann es geholt wurde. Den Eltern muss man die Hygieneregeln vorlesen, ihnen Formulare mitgeben und sie mehrfach dran erinnern, dass sie sie bitte unterschrieben zurückbringen. "Manche Eltern bringen ihre Kinder trotzdem mit Fieber oder Husten, das geht natürlich nicht, die müssen wir wieder nach Hause schicken."

Was Carlota Leoz Navarro überhaupt nicht versteht: Obwohl alle Kitas dringend Personal suchen, dürfen sie nicht mehr als 50 Prozent Ausländerinnen einstellen. "Auch ich gelte nach acht Jahren Arbeit als Erzieherin in Deutschland immer noch als Ausländerin. Mein Mann ist halb Deutscher, halb Spanier, hat in Spanien Sozialpädagogik studiert und ist seit zehn Jahren hier. Er arbeitet als stellvertretender Leiter in einer Kita und hat trotzdem noch nicht die volle Anerkennung. Wir leben doch in der EU!"

Für die Anerkennung müsse man extra Kurse belegen, mit allen Papieren koste das ungefähr 800 Euro, "das muss man sich erst mal leisten können". Sie kenne viele Kolleginnen, sagt sie, die sofort anfangen würden zu arbeiten, aber sie dürfen nicht. "Aber jetzt freue ich mich erst mal auf unser Leben zu dritt. Und vielleicht ist die Pandemie ja auch vorbei, bis ich wieder anfange."

"Im Büro kann man Arbeit auf morgen verschieben. Bei uns nicht."

Pflege ist ein Beruf, den man lieben muss, "sonst schafft man das nicht", sagt Renata Moszyński de Nałęcz. (Foto: Robert Haas)

Seit bald 20 Jahren arbeitet Renata Moszyński de Nałęcz schon als Altenpflegerin im AWO-Pflegeheim am Hasenbergl im Münchner Norden. Im Frühling dieses Jahres wurde die 56-Jährige zur stellvertretenden Pflegedienstleiterin befördert, jetzt ist sie für sechs Stationen zuständig und gut 100 Bewohnerinnen und Bewohner. "Jetzt habe ich es noch mehr mit der Bürokratie zu tun", sagt sie. "Aber natürlich gehe ich immer noch auf Station. Sonst würde mir etwas fehlen." Manche Bewohner, sagt sie, wüchsen einem ans Herz. "Man darf das aber nicht zu nahe an sich ranlassen, sonst nimmt man das mit nach Hause." Zu Hause wartet ja auch noch eine Familie.

Im Oktober vergangenen Jahres, erzählt sie, gab es einen Corona-Ausbruch im Heim. "Aber wir hatten großes Glück." Nur zwei der alten Menschen seien an der Infektion gestorben. Jetzt seien fast alle geimpft, auch die meisten Kolleginnen. Sie hoffe, dass sich auch noch die paar Ungeimpften überzeugen ließen, bis im März die Impfpflicht für Pfleger komme. "Das würde diese endlosen Debatten beenden." Sie selbst fühle sich jedenfalls viel sicherer seit der dritten Spritze.

Pflege, sagt Renata Moszyński de Nałęcz, ist ein Beruf, den man lieben muss, "sonst schafft man das nicht". Die Nacht- und Wechseldienste, das spontane Einspringen, wenn eine Kollegin krank wird, der ständige Zeitmangel, obwohl man den Bewohnern doch viel mehr Zuwendung geben möchte. "Im Büro kann man manches einfach liegen lassen oder auf morgen verschieben. Bei uns nicht. Wenn wir einen Menschen nicht waschen und pflegen, liegt er wund."

Windelfrauen oder Arschputzer seien sie früher manchmal genannt worden. Das komme jetzt nicht mehr vor. Aber obwohl sie so eine große Verantwortung für das Leben anderer Menschen tragen, bekommen sie immer noch so wenig Anerkennung. Und finanziell hat sich auch nichts geändert, trotz aller politischer Sonntagsreden.

Was vor allem fehlt, ist Personal. Drei Kollegen betreuen im Schichtbetrieb 35 Bewohner. Jeden Ausfall müssen die anderen mittragen. Zehn offene Stellen hätten sie derzeit im Haus, das sind zehn Prozent. Wie in fast allen Pflegeeinrichtungen.

"Auch wenn der Tod zum Klinikalltag gehört, geht einem das schon nahe."

Noch immer ist das Corona-Virus unberechenbar, aber inzwischen "ist unsere Arbeit schon Routine", sagt Krankenschwester Celine Schmager. (Foto: Robert Haas)

Als Celine Schmager vor zwei Jahren im Universitätsklinikum rechts der Isar anfing, freute sie sich, auf die Innere Station, Schwerpunkt Infektiologie, zu kommen. Das versprach viel Abwechslung. Dann kam die Pandemie, und plötzlich war nichts mehr wie zuvor. Ihre Station wurde zur Corona-Station erklärt. Sie sahen die Bilder aus Italien und Spanien, die verzweifelten Ärzte, die Särge, und sie wussten nicht, was auf sie zukommen würde.

So schlimm kam es zum Glück nicht. Doch auch auf ihrer Station sind viele gestorben, vor allem alte Menschen. "Auch wenn der Tod zum Klinikalltag gehört, geht einem das schon nahe", sagt die Krankenpflegerin.

Und noch immer ist dieses Virus unberechenbar. Aber inzwischen, sagt die 23-Jährige, "ist unsere Arbeit schon Routine". Und eines hat sich zumindest auf ihrer Station verbessert: Seit es die Impfung gibt, müssen sie viel weniger Menschen auf die Intensivstation verlegen. Anfangs kam das jeden Tag vor, "jetzt sind es fast nur noch Ungeimpfte, die auf Intensiv kommen, bei den Geimpften nimmt die Krankheit einen viel milderen Verlauf. Wer das nicht glaubt, soll nur mal einen Tag zu uns kommen."

Weil sie auf der Corona-Station ganz unterschiedliche Patienten bekommen, Alte, Junge, Menschen mit verschiedenen Vorerkrankungen, sei die Arbeit bei allem Leid und allen Erschwernissen auch die Gelegenheit, jeden Tag etwas dazuzulernen. Das ständige Wechseln der Schutzanzüge, das Maskentragen, an all das habe sie sich gewöhnt. Und privat?

Sie sei sehr froh, dass in der Familie und im Freundeskreis alle geimpft seien. Jetzt traue sie sich auch wieder, ihre Eltern zu besuchen. Darauf hatte sie anfangs ganz verzichtet. "Ich teste mich aber trotzdem noch vor einem Besuch." Clubs oder Partys fehlen ihr nicht. "Ich war noch nie die große Party-Gängerin, vorher nicht, und seit Corona erst recht nicht", sagt die junge Frau. Sie wohnt noch immer im Wohnheim des Krankenhauses. Denn von dem Gehalt einer Krankenpflegerin kann man sich in München kaum eine Wohnung leisten. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

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