Protokolle:"Mir fehlen meine Freunde"

Lesezeit: 4 min

Die Schule wird zum Sehnsuchtsort, die Zukunft ist ungewiss: Sechs junge Münchner berichten vom Alltag in der Krise.

Protokolle von Linus Freymark

Unterricht daheim, kaum Kontakte zu Freunden: Die Corona-Beschränkungen haben den Alltag von Kindern und Jugendlichen stark verändert. Hinzu kommen die Sorgen um die eigene Zukunft in unsicheren Zeiten. Wie geht man als junger Mensch damit um? Sechs von ihnen beschreiben, wie sie die Krise erleben.

Philipp Lang befand sich auf den Färöer-Inseln, als das Virus ausbrach. Zurück in München musste er dann zwei Wochen in Quarantäne. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Philipp Lang, 16: "Ein Jahr wollte ich im Rahmen eines Schüleraustauschs auf den Färöer-Inseln verbringen, jetzt sind daraus nur neun Monate geworden. Die Entscheidung, dass mein Aufenthalt abgebrochen wird, hat im März die Organisation getroffen, über die der Austausch lief. Leider gab es keinen Plan, wie wir zurückkommen sollten, der Flugverkehr war ja eingestellt. Vier Wochen saß ich auf gepackten Koffern, bis ich Mitte April zurückfliegen konnte. In München musste ich dann erst einmal zwei Wochen in Quarantäne. Viele meiner Freunde habe ich bislang noch nicht wiedergesehen und alles hat sich total verändert. Dafür lief es mit der Schule relativ problemlos. Ich nehme am Online-Unterricht teil und habe Zeit, Stoff nachzuholen."

Lorita Gjergjaj, 8: "Ich hoffe sehr, dass ich bald wieder in die Schule kann. Ich bin eigentlich schon immer gerne hingegangen, aber jetzt vermisst man neben dem Unterricht auch noch seine Freunde und Lehrer und würde deshalb noch ein bisschen lieber hingehen. Für den Unterricht zu Hause benutze ich eine App namens ,Anton' auf dem Smartphone, darüber bekommen wir unsere Aufgaben. Das Lernen zu Hause hat ganz gut geklappt, Mathe oder Heimat- und Sachunterricht zum Beispiel sind kein Problem - Deutsch dagegen schon ein bisschen. Meine Eltern kommen nicht aus Deutschland, und meine Mutter spricht die Sprache zwar gut, aber beim Lesen oder der Grammatik kann sie mir nicht so viel helfen. Sie hat mir jetzt eine Lesepatin organisiert und sucht einen Nachhilfelehrer für mich, aber das kostet natürlich Geld."

Philipp Sedghi, 11: "Weil ich meine Großeltern zurzeit nicht besuchen kann, sind meine Eltern und ich ein paar Mal vor das Haus von Oma und Opa gegangen. Wir standen auf der Straße und sie auf dem Balkon. Dann konnte man wenigstens miteinander reden und sich sehen, aber natürlich ist das nicht dasselbe, wie wenn man gemütlich im Wohnzimmer zusammensitzt. Ich vermisse das sehr. Mit der Schule hatte ich bisher keine großen Probleme. Es war zwar eine Umstellung, plötzlich von zu Hause aus lernen zu müssen, aber bisher läuft es ganz gut. Für den Online-Unterricht kann ich das Tablet meiner Mama benutzen. Aber mir fehlen meine Freunde - und der Fußball. Seit drei Jahren spiele ich im Verein, jetzt können wir plötzlich nicht mehr trainieren und ich kann meine Teamkollegen nicht mehr sehen. Überhaupt habe ich meine Freunde wochenlang nicht gesehen. Jetzt darf man sich wieder zu zweit treffen, viel machen aber kann man nicht. Wir haben ein paar neue Sportarten ausprobiert, Frisbee oder Federball zum Beispiel. Das war zwar nicht schlecht, aber kein Ersatz für Fußball."

Christina Wagner. (Foto: privat)

Christina Wagner, 17: "Ich schreibe in diesem Jahr mein Abitur, die verschobenen Prüfungen und die damit verbundenen Unsicherheiten haben mich natürlich lange beschäftigt. Jetzt ist das zum Glück alles klar - aber normal ist es dieses Jahr deswegen noch lange nicht: kein Abiball, keine Abifahrt, kein Abistreich. Am schlimmsten ist, dass wir uns nicht voneinander verabschieden können. Jahrelang hat man sich jeden Tag gesehen - jetzt trennen sich unsere Wege, da hätte ich gerne noch mal alle gesehen. Trotz allem finde ich aber, dass es uns vergleichsweise gutgeht. Ich habe zwei Jahre in Madrid gelebt: Was mir meine Freunde von dort erzählen, ist schon eine Stufe heftiger: Manche haben sich mit ihren Familien darum gestritten, wer den Müll runterbringen darf, weil sie sonst überhaupt nicht raus durften. Dagegen sind meine Probleme natürlich eher klein. Trotzdem müssen auch wir auf einiges verzichten. Ich war zum Beispiel immer im Chor, das Singen fehlt mir sehr als Ausgleich zur Schule. Und meinen 18. Geburtstag Ende Juni werde ich wohl auch nicht feiern können."

Chiara Höhne, 15: "Manchmal habe ich mich in letzter Zeit ein bisschen einsam gefühlt - und das, obwohl wir zu Hause zu viert sind und wir uns bis auf ein paar kleinere Streitereien zwischendrin auch super verstehen. Aber mir fehlt der Kontakt zu Gleichaltrigen. Sieben Wochen habe ich keine meiner Freundinnen getroffen, jetzt fangen wir langsam wieder an, zu zweit etwas zu machen. Außerdem vermisse ich meine Großeltern. Sie wohnen in Thüringen, normalerweise fahren wir regelmäßig zu ihnen. Zurzeit geht das aber natürlich nicht. Außerdem habe ich das Problem, dass ich eventuell die Schule wechseln möchte - allerdings weiß niemand, wie das in diesem Jahr ablaufen soll. Wir wissen noch nicht, ob und wie wir Noten bekommen werden, ich habe also keine Ahnung, wie mein Zeugnis aussehen wird. Für einen Schulwechsel aber braucht man das ja. Und auch sonst mache ich mir ein bisschen Sorgen um die Zukunft: Wer weiß, wie lange uns das Virus noch so einschränken wird? Ich würde später gerne im sozialen Bereich arbeiten. Dort mit Schutzmaske und Abstand zu arbeiten, stelle ich mir extrem schwierig vor."

Immerhin sind sie zu zweit, die Schwestern der Familie Höhne. Trotzdem fühlt sich Chiara manchmal ein bisschen einsam, erzählt sie. Sieben Wochen haben die beiden keine ihrer Freundinnen treffen können. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Allegra Höhne, 11: "Wie meine Schwester, habe auch ich seit sieben Wochen niemanden getroffen. Nicht einmal meine beste Freundin, dabei wohnt sie direkt nebenan. Normalerweise sind wir jeden Tag zusammen zur Schule gegangen, jetzt haben wir manchmal über die Balkone miteinander gesprochen. Allerdings ist da eine Straße dazwischen, man musste also ziemlich laut reden. Deshalb haben wir dann auch fast jeden Tag über Facetime miteinander gequatscht, aber das ist alles kein Ersatz für ein echtes Treffen. Ich finde, es wäre gut, wenn wir bald wieder in die Schule gehen könnten. Dabei bin ich eigentlich nie so gerne zum Unterricht gegangen, aber jetzt fehlt es einem doch sehr: die Mitschüler. Oder die Lehrer, die einem bei Fragen helfen und ab und an auch mal einen Witz machen - das kommt tatsächlich vor."

© SZ vom 19.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Corona-Krise in München
:Warum Kinder und Jugendliche besonders leiden

Gerade junge Menschen fühlen sich durch die Corona-Krise stark eingeschränkt. Dass sie andere Bedürfnisse haben als Erwachsene, wird oft übersehen.

Von Sven Loerzer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: