Corona-Krise in München:Warum Kinder und Jugendliche besonders leiden

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Münchner Einrichtungen fordern nun, dass die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen während der Corona-Krise stärker in den Fokus rücken sollen. (Foto: dpa-tmn)

Gerade junge Menschen fühlen sich durch die Corona-Krise stark eingeschränkt. Dass sie andere Bedürfnisse haben als Erwachsene, wird oft übersehen.

Von Sven Loerzer

Es ist nicht die Sehnsucht nach Sonne, Strand und Meer. Der Wunsch, den die städtische Kinderbeauftragte in diesen Tagen zu hören bekam, ist viel schlichter - und doch in diesen Zeiten wohl nur schwer zu erfüllen: Es ist der Wunsch nach etwas mehr Normalität. Die Kinder, erzählt die Münchner Jugendamtschefin Esther Maffei, hätten angerufen und darum gebeten, die Schwimmbäder endlich wieder aufzumachen. "Sie würden auch mit Mundschutz schwimmen."

Trotz der jüngsten Lockerungen leiden Kinder und Jugendliche unter der Corona-Krise und den vielen Einschränkungen noch immer sehr. "Es wäre schön, wenn schon in der Bundesliga wieder trainiert wird, dass auch unsere Kinder und Jugendlichen in Kleingruppen Fußball spielen könnten", sagt Maffei. Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD) formuliert es noch deutlicher: "Es wurde über Lockerungen für Biergärten und Bundesliga diskutiert, aber zu wenig über Lockerungen für Kinder und Jugendliche."

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Allmählich löst sich die Schockstarre, die auf die Ausbreitung des Virus und die weitgehende Stilllegung des öffentlichen Lebens folgte. Der Kreisjugendring (KJR) hielt sich lange zurück, doch das ist jetzt vorbei: "Die Schwerpunkte der Lockerungsdiskussionen der letzten Wochen machen uns wütend", sagt die Vorsitzende Judith Greil. "Geisterspiele in der Bundesliga mit wöchentlichen, aufwendigen Testungen tragen zum Gemeinwohl weniger bei als die Öffnung von Spielplätzen."

Wann die mehr als 100 Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit in München wie etwa die Freizeitstätten wenigstens mit hygienebedingten Einschränkungen wieder aufsperren können, steht, anders als bei den Gaststätten, noch nicht fest. Ronald Wirth, Fachbereichsleiter im Jugendamt, hofft, "dass wir bis Ende Mai ein Signal geben können".

Obwohl der KJR, der Träger von 50 Freizeitstätten und von mehr als 30 Fach- und Projektstellen ist, alternative Angebote entwickelt hat, um den Kontakt zu Kindern und Jugendlichen zu halten, fehlt "der direkte soziale Kontakt, der auch einen essenziellen Beitrag für die psychische Gesundheit darstellt", betont Greil. Besonders betroffen seien die ganz Jungen, im Alter unter sechs Jahren, sagt Sozialreferentin Schiwy: "Der Kontakt zu Gleichaltrigen ist sehr schwierig, sie haben in diesem Alter keine Möglichkeit zu virtuellen Kontakten, der Aufenthalt im Freien ist sehr stark eingeschränkt." Durch die Schließung von Kitas und Schulen sei das Recht auf Bildung und Entwicklung stark eingeschränkt. Gerade Kinder aber empfinden Zeitläufe völlig anders als Erwachsene, "da sind sechs Wochen eine gefühlte Ewigkeit".

Für Eltern sei es eine Riesen-Herausforderung, das Homeschooling zu begleiten. Damit Kinder aus Familien mit geringem Einkommen nicht allein schon wegen mangelnder Computerausstattung ins Hintertreffen geraten, habe die Stadt einen Zuschuss von 250 Euro für die Anschaffung der nötigen Geräte für Sieben- bis 15-Jährige eingeführt. In den ersten vier Monaten des Jahres profitierten davon 2800 Kinder bedürftiger Familien.

Es sei zu wenig über Lockerungen für Kinder gesprochen worden, kritisiert Sozialreferentin Dorothee Schiwy. (Foto: Florian Peljak)

Unter den Beschränkungen leiden auch die Jugendlichen, betont die Sozialreferentin. Ihnen fehlten Rückzugsräume außerhalb der Familie, in der sie sich ständig unter Beobachtung fühlten, zumal wenn es wegen Home-Office zu Hause noch enger zugeht. Andererseits hätten Jugendliche auch erleben müssen, dass Erwachsene einen Bogen um sie machten und sie als "potenzielle Virusschleudern" betrachteten. Manche Erwachsene, klagt Schiwy, hätten sogar Kinder, die im Freien Skateboard fuhren, denunziert und die Polizei anrücken lassen, die dann Jugendliche mit hohen Bußgeldern belegt habe.

Viele junge Menschen hätten große Zukunftsängste, hinter dem Start der Ausbildung und der weiteren Lebensplanung stünden nun dicke Fragezeichen. Gerade ohnehin schon benachteiligte Jugendliche würden es am Arbeitsmarkt angesichts der schlechten Wirtschaftslage nun noch schwerer haben, befürchtet Wirth. "Viele können zwar auch an der Krise wachsen, aber die etwa 20 Prozent, die stark belastet sind, können wenig dagegenhalten. Wir müssen sie gut unterstützen."

Zahlen, die auf einen Anstieg von Gewalt in den Familien hindeuten, liegen dem Jugendamt keine vor. Allerdings hält es Maffei für möglich, dass ein Anstieg der Fälle erst nach weiteren Lockerungen sichtbar wird, wenn die Kinder wieder Einrichtungen besuchen, wo auf Anzeichen für erlittene Gewalt geachtet wird. Auch die Anzahl der Inobhutnahmen von Kindern, deren Wohl gefährdet ist, sei im Jahresvergleich bisher nicht wesentlich gestiegen.

Jugendamt und Wohlfahrtsverbände hätten sich in den vergangenen Wochen darum bemüht, möglichst viele Angebote aufrechtzuerhalten oder in veränderter Form anzubieten. So hätten die sozialpädagogischen Lernhilfen telefonisch Kontakt zu den betreuten Kindern gehalten. Inzwischen gibt es auch wieder kleine Gruppen. Die Streetwork-Außenstellen blieben zwar geschlossen, die Sozialpädagogen hielten aber über die sozialen Medien den Kontakt und berieten, wo notwendig, auch von Angesicht zu Angesicht am offenen Fenster oder im Freien.

Der Umfang des Beratungsbedarfs und die Zahl der Einzelfälle seien wegen der Verunsicherung durch die Corona-Krise stark gestiegen, erklärt Esther Maffei. Sie betont: "Kinder und Jugendliche sind keine kleinen Erwachsenen, sie haben besondere Bedürfnisse für ihre Entwicklung." Ihre Perspektive müsse bei Beschränkungen, aber auch bei Lockerungen besser einbezogen werden.

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Das moniert auch der Kreisjugendring, der sich als Vertreter der Interessen von rund 400 000 jungen Münchnern sieht, in einem Positionspapier. Politische Diskussionen müssten öffentlich geführt werden und Kinder und Jugendliche einbeziehen. In Beratungsgremien sollten nicht nur Wissenschaftler, Ärzte und Wirtschaftsexperten sitzen, sondern auch die Jugendarbeit und die Jugendhilfe vertreten sein, so die Forderung.

Junge Menschen seien auf den öffentlichen Raum als Freiraum und Entwicklungsfeld besonders angewiesen, heißt es vom runden Tisch "Jugend braucht Raum", der ein Zusammenschluss ist von Fachkräften von der Stadt und von freien Trägern. Die Einschränkungen träfen die jungen Leute besonders gravierend, weil sie "Zeit und Raum für ihre Persönlichkeitsentwicklung" brauchten. Dazu gehöre die Gemeinschaft mit Gleichaltrigen, das Treffen von Freunden im öffentlichen Raum.

© SZ vom 19.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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