Bundestagsabgeordnete aus München:Premiere im blauen Sessel

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Wie es den neuen Bundestagsabgeordneten aus München, Jamila Schäfer und Sebastian Roloff, in ihrer ersten Woche in Berlin erging.

Von Heiner Effern und Anna Hoben

Das Foto stammt von Roloffs erstem Besuch des Plenarsaals. (Foto: Sebastian Roloff)

Er hat es sich so sehr gewünscht, und nun passiert es tatsächlich: Sebastian Roloff darf sich mit 38 Jahren noch einmal fühlen wie am allerersten Schultag. Diese einzigartige Mischung aus Euphorie und Aufregung erleben, die man eigentlich nur einmal im Leben zu spüren bekommt. "Wo ist mein Platz, wer sitzt neben mir, wie sind meine neuen Kameradinnen und Kameraden?" So fühlt es sich für den gerade gewählten Bundestagsabgeordneten aus dem Münchner Süden an, als er sich an diesem Dienstag zum ersten Mal in einen der blauen Sessel im Plenarsaal des Bundestags setzt. Kurz zuvor hatte er sogar noch diese nervöse Verlorenheit gespürt, wenn die Tür zum Klassenzimmer nicht auftauchen will. Um acht Uhr hat Roloff beim Frühstück der parlamentarischen Linken der SPD erste Bundestagsluft schnuppern wollen, und da hat er "direkt den richtigen Eingang nicht gefunden".

Die erste Woche als Abgeordneter in Berlin, so beschreibt er es am Telefon, sei etwas ganz Besonderes. Dass Roloff für die SPD in den Bundestag einziehen würde, bedeutete für ihn allerdings keine Überraschung. Mit Platz fünf auf der bayerischen Landesliste hatte ihm seine Partei einen Freifahrtschein ausgestellt. Mit seinem Ergebnis als Direktkandidat ist er dann am Sonntag nicht besonders glücklich, er hat mehr erhofft als 19,7 Prozent und Platz drei. Ein kleiner Trost nur, dass Jamila Schäfer von den Grünen in seinem Wahlkreis der CSU das einzige Direktmandat entriss und nun mit ihm im Bundestag anfängt. Die SZ wird die beiden bei ihren ersten Schritten im Bundestag begleiten und im "Bericht aus Berlin" regelmäßig schildern, wie sie mit frischem Blick das Zentrum der Demokratie erleben.

Jamila Schäfer beim Besuch eines TV-Studio. (Foto: Jamila Schäfer)

Am Montag spürt Roloff noch diese Mischung aus Ermattung, Freude und Enttäuschung nach einem langen Wahlkampf. Mittags fährt er mit der Bahn nach Berlin, ein neues Leben beginnen. Er ahnt da schon, die drei kommenden Tage könnten turbulent werden. Es kommt so, und nicht nur für ihn. Eine halbe Stunde hat Jamila Schäfer Zeit, am Freitagmittag über ihre Woche zu sprechen, auf dem Weg zu ihrem nächsten Termin. Zwischendurch legt sie einmal kurz auf, sie braucht ihr Handy, um etwas zu bezahlen. Als sie das Studio des Mittagsmagazins erreicht hat, muss sie Schluss machen. Kurz darauf kann man ihr im Fernsehen dabei zusehen, wie sie die Sondierungsgespräche einordnet.

Noch in der Nacht von Sonntag auf Montag musste Schäfer umschalten, von Euphorie auf den Modus sachliche Auseinandersetzung. Schneller als vermutlich alle anderen Anfänger, bis kurz vor zwei dauerte die Sitzung des Bundesvorstands, dem sie als stellvertretende Vorsitzende bereits seit 2018 angehört. Nun sitzt die 28-Jährige mit an Verhandlungstischen und hat täglich Pressetermine. "Extrem viel Arbeit", sagt sie, aber auch: "schöne Arbeit, die viel Spaß macht". Weil sie das Gefühl habe, "da ist gerade wirklich viel drin, da bewegt sich was, es lohnt sich". Die Tage fangen früh an und enden spät. Gerade die informellen Gesprächsrunden in der Anfangszeit seien aber wichtig, um gut anzukommen. Zeit zum Reflektieren: äußerst knapp.

Jamila Schäfer führt auf Instagram durch ihre erste Berliner Woche, hier beim Besuch in der Stadt. (Foto: Jamila Schäfer)

Montag: Sitzung des Bundesvorstands, Wahlergebnisse in den Landesverbänden besprechen. Fragen klären zum weiteren Zeitplan der Sondierungen und der Kontaktaufnahme mit den anderen Parteien. Schließlich ein informelles Treffen mit den neuen Abgeordneten der grünen Fraktion. Dienstag: Telefonkonferenzen, Interviews. Und dann, endlich: zum ersten Mal als neue Abgeordnete in den Bundestag. Schäfer bekommt ein Starterpaket, mit Hausausweis und Netzkarte der Deutschen Bahn, diese entspricht der Bahncard 100. Dazu Infomaterial: Wo ist welche Abteilung in der Verwaltung? Dann die erste Fraktionssitzung mit den alten und den neuen Abgeordneten; abends findet ein Empfang der Fraktion statt.

Auch ihr SPD-Kollege erhält am Dienstagmorgen seinen ersten Zugangsausweis. Auch er trifft die alten und neuen Kollegen seiner Fraktion, zu seiner Freude im Plenarsaal. Das erste Mal unten rein, wo sonst niemand hinkommt und der Blick auf das wichtigste Redepult der deutschen Demokratie ein anderer ist als oben von der Zuschauertribüne. "Erstaunlich gut" sei der Blick, auch von den hinteren Rängen, sagt Roloff. Endlich in den "heiligen Hallen", so fühlt es sich für ihn an. Er stellt sich kurz vor, wie weitere 103 neue Abgeordnete der Sozialdemokraten. Danach trifft er sich mit der bayerischen Landesgruppe, erhält erste praktische Tipps, und danach absolviert er gleich ein Personalgespräch. Er sieht einen Mitarbeiter für sein Berliner Abgeordneten-Büro, in das er irgendwann mal einziehen wird. Das kann Wochen dauern, mindestens, muss er lernen.

Auch Schäfer führt ein wichtiges Personalgespräch, am Tag darauf, aber ein Abschlussgespräch. Mit einem Mitarbeiter, der sie in München im Wahlkampf unterstützt hat und der nun sein Studium fortsetzen wird. "Das war ein sehr emotionales Gespräch." An diesem Tag bekommt sie auch ihren Laptop und ihre Drucker-Chipkarte, samt Einführung zur IT-Sicherheit. Das habe sich ein bisschen angefühlt wie im ersten Semester an der Uni. Zum Uni-Gefühl gehört auch, die Cafeteria im Bundestag zu testen. Veganes Curry mit Reis, "war lecker". Abends trifft sie sich mit ihren jungen Fraktionskollegen unter 30 in einer Kneipe - bei den Grünen sind das gut 20 Abgeordnete. Das Ziel: eine vertrauensvolle Atmosphäre herstellen. "Räume schaffen, in denen man sich im harten Politikbetrieb gegenseitig beraten und ehrliches Feedback geben kann."

Am Donnerstag ist sie beim ersten Treffen mit der erweiterten Sondierungsrunde dabei, der sie angehört. Austausch über das erste informelle Gespräch von FDP und Grünen, dann Vorbereitung des nächsten Gesprächs. In der konstituierenden Fraktionssitzung im Plenarsaal des Bundestags unterschreibt Schäfer später offiziell, dass sie nun Teil der grünen Fraktion ist. Für die junge Abgeordnete "ein ganz toller Moment, an einem besonderen Ort". Nachmittags stößt sie in der Bundesgeschäftsstelle mit Annalena Baerbock, Robert Habeck und den anderen aus dem Vorstand auf den Wahlkampf an. Einer von wenigen entspannten Momenten in dieser ersten Woche nach der Wahl, "ohne dass wir gehetzt etwas entscheiden mussten". Mit Ria Schröder von der FDP ist sie anschließend zum "Spitzengespräch" beim Spiegel eingeladen, abends lässt sie sich bei einem Empfang der taz blicken, um sich mit Engagierten aus der Zivilgesellschaft über deren Erwartungen an die Politik zu unterhalten. Auch Aktivisten von Fridays for Future sind dabei. Der Freitag ist voll mit Interviews und Gremien-Sitzungen, am Samstag steht der Länderrat an. "Und dann bin ich platt." Immerhin hat Schäfer keinen Umzug zu bewerkstelligen; sie hat ja schon in Berlin gewohnt.

Das Selfie mit der Kuppel des Bundestags zeigt Sebastian Roloff. (Foto: Sebastian Roloff)

Sebastian Roloff dagegen sucht noch eine Wohnung, hat aber schon für den 1. November eine in Aussicht. Bis dahin behilft er sich mit dem Zimmer in einer Pension, wenn er in die Hauptstadt reist. Spätestens am Donnerstag ist die Einschulungsstimmung verflogen, eher schon am Mittwoch, als er von einem Termin zum anderen hetzt. Zwischenzeitlich erleidet er erste Entbehrungen, mittags lässt sich trotz engagierter Jagd nicht einmal eine Semmel auftreiben, was nicht am bairischen Begriff liegt, sondern an der Zeit. Sein Büro ist sein Laptop, mal arbeitet er in der Cafeteria, mal in der Pension. Wo er in seinem neuen politischen Leben gelandet ist, erlebt Roloff unter anderem bei der Einführungsveranstaltung für SPD-Abgeordnete. Dort sitzen nicht ganz unbekannte neue Kameraden neben ihm: der frühere SPD-Vize Ralf Stegner und Michael Müller, gerade noch Regierender Bürgermeister von Berlin.

© SZ vom 02.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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