Messe der Bürgerinitiativen:"Dieser Stolz auf das prosperierende München ist fatal"

Lesezeit: 3 min

In Perlach rief die Interimsbebauung der als Sport- und Erholungsfläche genutzten Böglwiese mit einem Schulausweichquartier Proteste hervor. (Foto: Stephan Rumpf)

Um die Grenzen des Wachstums und den Schutz von Grünflächen geht es bei einem Treffen von 30 Bürgerinitiativen. Nicht nur deren Vorsitzender kritisiert die Stadtpolitik, die seit Jahren auch von den Grünen mit geprägt wird, sondern einer ihrer Parteifreunde aus dem Landtag.

Von Bernd Kastner

Der Bürgersaal verwandelt sich in einen Showroom zivilgesellschaftlichen Engagements, überall Transparente, Plakate, Infoblätter. "Grün statt grau", "Rettet das Stadtklima", "Hitze tötet. Der Gesundheitsminister rät, suchen Sie den Schatten großer Bäume auf". Es dauert nicht lange, dann wird es laut. So viele reden und diskutieren, engagiert, verärgert. In Forstenried treffen sich Münchner Bürgerinitiativen (BI) zwecks besserer Vernetzung, Aktive von rund 30 Initiativen aus der ganzen Stadt sind da.

An einem der Tische lehnt ein Schild mit einem bayerischen Superman. Das gemalte Maskottchen der BI Altstadt-Tal trägt Gamsbart und Loferl, wie man sie von Wiesnbesuchern kennt: "I bin da Willie, da Burger Willie." Es wird vier Stunden lang Politik von unten präsentiert.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

"Grünflächen versus Bauen" lautet der Titel der vierten BI-Messe. Damit ist einer der Dauerkonflikte in München skizziert: Was ist wichtiger, Wiesen, Äcker und Bäume oder neue Wohnhäuser? Auf dem von Gisela Krupski und Reiner Lang für den Bund Münchner Bürgerinitiativen (BMBI) organisierten Treffen sind sich die meisten einig: Keine weitere Versiegelung! Rettet Grünflächen und Frischluftschneisen! Viele ökologisch Engagierte stehen dabei in Opposition zur Stadtpolitik.

Jürgen Müller sitzt hinter dem Tisch der Bürgervereinigung Aubing-Neuaubing und legt dar, wie er sich die Zukunft Münchens vorstellt. Der Manager im Ruhestand engagiert sich als Vorsitzender des BMBI und kritisiert, dass die Stadtpolitik keine Grenze definiere, wie weit München noch wachsen solle. Für sich und den BMBI hat er eine Antwort: "Die Grenzen haben wir schon erreicht." Nicht länger dürfe die Stadt Grün- und Ackerland zubauen, wie derzeit in Freiham oder, so die Pläne, bald in Feldmoching und Daglfing.

Die Stadt solle nicht noch mehr Firmen mit vielen Arbeitsplätzen anlocken

Aus Klimaschutzgründen und auch, um die Hitzeinsel München nachts zu kühlen, dürften Frischluftschneisen nicht mehr beschnitten werden. Und was ist mit der Wohnungsnot, die mit neuen Quartieren gelindert werden soll? Damit, meint Müller, dämpfe die Stadt nicht den Preisanstieg, sondern fördere sogar weiteren Zuzug. Man könne nie so viel bauen, um alle unterzubringen, die nach München wollen, sagt Müller. "Wir müssen uns was anderes überlegen."

Die Stadt solle ihre "aktive Werbung" einstellen, um nicht noch mehr Firmen mit vielen, oft gut bezahlten Arbeitsplätzen anzulocken. Es reichten schon jene, die ohnehin kommen, verbieten könne man es ja nicht. Zugleich müsse der Freistaat jene Regionen attraktiver machen, wo die Menschen wegziehen und es genügend Wohnraum gebe, vor allem im Norden und Osten Bayerns. Sie litten unter der Sogwirkung der so sehr geförderten Ballungsräume. Die Staatsregierung müsse die Unterschiede im Land ausgleichen, um so die Sogwirkung Münchens zu reduzieren.

SZ PlusKlimawandel
:Ein Plan gegen die Hitze der Stadt

Im Sommer heizt sich die Münchner Altstadt immer stärker auf. Doch wie lässt sich das ändern? Ein neues Gutachten zeigt, an welchen Orten grüne Inseln oder Wasserspiele die Luft kühlen könnten - vom Sendlinger Tor bis zum Max-Joseph-Platz.

Von Sebastian Krass

Wie groß diese ist, zeigen Zahlen, die Dirk Höpner, Stadtrat der München-Liste, zur Messe mitbringt, er habe sie amtlichen Quellen entnommen: Von 2009 bis heute sei die Zahl der Einwohner um gut 16 Prozent gestiegen (um etwa 224 000 Personen), die der Arbeitsplätze um 36 Prozent (fast 250 000 plus), die der Studierenden um fast 64 Prozent (plus 58 000); die Zahl der Wohnungen habe hingegen lediglich um knapp elf Prozent zugenommen (gut 81 000).

Im Vergleich zu einem Stopp des Münchner Sogs wäre eine andere Forderung des BMBI-Vorsitzenden Müller fast schon einfach umzusetzen: Um Grünflächen zu schonen, solle die Stadt Flächen sinnvoller nutzen: Zum Beispiel keine eingeschossigen Supermärkte samt riesiger Parkplätze mehr zulassen. Wo unten ein großer Laden ist, könnten darüber weitere Etagen entstehen. Und dass sich Autos unter aufgeständerten Häusern abstellen lassen, beweise die Stadt mit ihren Stelzenhäusern. Parkplätze sollten entsiegelt werden, damit Regenwasser versickern könne. Insgesamt wünscht sich Müller einen Mentalitätswandel im Rathaus: "Dieser Stolz auf das prosperierende München - dieser Stolz ist fatal."

Der Mann, der als Erster auf die Bühne darf, ist ein Verbündeter der Pro-Grün-Initiativen. Was nahe liegt, schließlich sitzt Christian Hierneis für die Grünen im Landtag. Bedenkt man aber, dass Hierneis' Partei seit Jahrzehnten fast durchgehend im Rathaus mitregiert, ist seine Kritik an den Münchner Zuständen, wenn auch unausgesprochen, auch Kritik an den Stadtrats-Grünen. Er wünscht sich zum Beispiel einen Ausbau des öffentlichen Verkehrs, ohne dass Hunderte Bäume gefällt werden, wie es für neue Tram- und U-Bahn-Linien geschehe.

Fast 100 000 Bäume seien von 2011 bis 2022 gefällt worden

Die Baumbilanz des gesamten Stadtgebiets, einschließlich privater Flächen, sei deutlich negativ: Fast 100 000 Bäume seien von 2011 bis 2022 gefällt worden. Die 76 000 neu gepflanzten eingerechnet, bleibe unterm Strich ein Minus von mehr als 22 000. Dies kontrastiert er mit dem Vorhaben der Stadt, für mehr als 50 Millionen Euro in den nächsten Jahren 3500 Bäume im öffentlichen Raum zu pflanzen, für bis zu 25 000 Euro pro Baum. Es wäre "fast sinnvoller", sagt Hierneis süffisant, die alten Bäume stehen zu lassen.

Sylvia Hladky, früher Leiterin des Verkehrszentrums des Deutschen Museums, vertritt ehrenamtlich die Zivilgesellschaft im städtischen Klimarat. Sie erklärt, wie das Gremium arbeite, wie aufwendig es sei, in kurzer Zeit umfangreiche Stadtrats-Vorlagen durchzuarbeiten und eine Stellungnahme zu verfassen. Die Meinung des Klimarats, sagt Hladky, bekämen die Stadträte dann als eine von vielen Stellungnahmen, sie gingen in all den Papieren unter. Gering sei der Einfluss des Klimarats, sagt sie, eigentlich habe man "gar keinen", weshalb die Arbeit "zum Teil frustrierend" sei. Allein, sie habe die Hoffnung auf wachsende Wirksamkeit noch nicht aufgegeben, immerhin sei man "manchmal der Stachel im Fleisch".

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusStadtbevölkerung
:München wächst weiter und wird jünger

Bis 2040 könnten fast zwei Millionen Menschen in der Stadt leben. Der aktuelle Demografiebericht erklärt, woher die meisten neuen Einwohner kommen, in welche Viertel es sie zieht - und wo künftig besonders viele junge Leute leben.

Von Heiner Effern, Joachim Mölter und Sead Mujić

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: