Antikensammlung:Immer wenn es Nacht wird am Vesuv

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Dieser Silen, ein Begleiter des Weingotts Bacchus, schmückt eine zweidochtige Lampe, die Oberfläche wurde in der Hitze des Vesuvausbruchs stark beschädigt. (Foto: Johannes Eber)

Im Dunkel der Antike - von wegen! Die grandiose Ausstellung "Neues Licht aus Pompeji" präsentiert originale Highlights römischer Lampen-Kultur.

Von Reinhard Brembeck

Derzeit geht in Pompeji die Sonne um 16.30 Uhr unter. Vor 2000 Jahren war damit der von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang reichende Zwölfstundentag vorbei, der je nach Jahreszeit also unterschiedlich lang war, die längste Sommerstunde dauerte 76, die kürzeste Winterstunde 46 Minuten. Wer genug Geld hatte, der machte meist schon früher Schluss, gern zur neunten Stunde, also zwischen 13.36 und 14.30 Uhr. Dann ging es zum Tafeln, Trinken und Turteln ins Triklinium. Ein Triklinium ist ein Raum mit drei Nobelpritschen, vulgo: Klinen, auf denen sich bis zu neun Feierwütige bei extremer Tuchfühlung vergnügen konnten. Die Archäologin Ruth Bielfeldt und ihr Team präsentieren jetzt gleich zwei solcher Triclinia in ihrer grandiosen Ausstellung "Neues Licht aus Pompeji", die das Wunder vollbringt, einem schon hundertfach erforschten Thema (Pompeji - wäh!) einen neuen Aspekt und zudem publikumswirksam hinzuzufügen.

Dass dem Besucher in der Antikensammlung am Königsplatz ein Licht aufgeht, dafür sorgen 180 einst kostspielige Bronzelampen in verschiedener Größe und Form. Es gibt alles vom Phallushalter über einen Leuchtschuh und eine Doppellampe mit Fledermausreflektor bis hin zur lebensgroßen Burschenfigur mit Lichttablett, dessen Oberkörper hell erleuchtet ist, während der Rest in geheimnisvolles Dunkel gehüllt bleibt. All diese Preziosen gingen bei dem legendären Vesuvausbruch vor 1943 Jahren verschütt, wurden ausgegraben, manche nie ausgestellt. Endlich haben Bielfeldt und die Ihren Licht in die Angelegenheit gebracht.

Aber die Besucherin muss mithelfen. Im Nachbau des größten der drei nebeneinander gelegenen Triclinia aus dem riesigen Haus (700 Quadratmeter!) des pompejischen Lokalpolitikers Julius Polybius tappst sie als Sklavin mit VR-Brille auf der Nase und Anzünder in der Hand herum und muss die drei Lampen entzünden, die den fensterlos dunklen, auf einen Innengarten ausgerichteten und mit dem für Pompeji typischen Rot ausgemalten Raum schummrig stimmungsvoll erleuchten. Jetzt können die Gäste kommen.

Das ist eines der Prunkstücke der Ausstellung, der Kopf eines Jünglings, vielleicht ist es Apoll. In der Schau ist auch der Rest des nackten Körpers zu sehen, nicht mehr erhalten ist das Tablett, auf dem der Bursche eine Lampe trug, so dass sein Oberkörper erleuchtet war, die Beine aber in mythisches Dunkel gehüllt waren. (Foto: Johannes Eber)

Messungen ergaben in Pompeji eine Tageshelligkeit von 100 000 Lux, in der Häusern waren es oft nur 10 Lux. Also waren Lampen selbst am Tag nötig, meistens mit Olivenöl betrieben, das schnell verfeuert wurde. Bei Julius Polybios daheim fanden die Archäologen 69 Lampen, die meisten aus Terrakotta, wenige aus Bronze. Am Anfang der Ausstellung bekommt der Besucher vier Bronzestücke in die Hand, staunt über deren großes Gewicht und das unterschiedliche Aussehen, das auf die Anteile zurückzuführen ist: viel Kupfer, wenig Zinn und je nach Bedarf billiges Blei. Zinn tönt das rötliche Kupfer golden, Blei macht matt und grau.

Die Nacht war nicht nur den Gaunern vorbehalten, auch die Denker (Cicero, Plinius, Seneca) griffen da erst zum Griffel und kratzten ihre Gedanken auf Papyrus. Wenn sie nicht gerade im Triclinium ihre Weisheiten beim Wein vorbrachten, zu dem (so steht es bei Petron) mit Honig und Mohn überzogene Haselmäuse, syrische Pflaumen und Feigendrosseln mit gepfefferten Eidotter im Teig gereicht wurden. Im luxreduzierten Flackerlicht der Öllampen muss das gleich hundertmal so gut geschmeckt haben.

Die Römer liebten es, mit Lichtspielen ihre Villen zu inszenieren. Eine Öllampe mit Phallus machte da als vergrößerter Schatten an der Wand besonderen Eindruck. (Foto: Johannes Eber)

In jeder Vitrine, an jeder Wand des stimmig schummrig beleuchteten Schau entdeckt die Zuschauerin Neues. Überall ist Eros präsent. Auch in den Glockenspielen, den Tintinnabula, die Übles bannen und oft an einem ebenfalls das Böse bannenden Fascinus hingen, einem erigierten Phallus. Wenn ein Alltag übererotisiert war, dann sicher nicht der heutige, sondern der der Römer, der mit Phalli und Fascinii vollgestopft war. So ist es recht wahrscheinlich, dass zu später Stunde ein paar Gäste des Julius Polybius, so sie sich noch von ihrer Kline erheben konnten, ein paar Straßen weiterzogen in Pompejis Puff, die Archäologen sagen nobel Lupanar. Kleine Fresken über den Zimmerzugängen zeigten Minipornos samt Stehlampe. In München aber muss man hinaus in die ungemütliche Nacht, und jeder Besucher wünscht sich wie seinerzeit die Römer eine Lampe, damit er vor rasenden Auto- und Radfahrern halbwegs sicher ist.

"Neues Licht aus Pompeji", Ausstellung in der Münchner Antikensammlung, bis zum 2. April, der überaus verständlich geschrieben und lesenswerte Katalog kostet 30 Euro.

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