Landgericht München I:"Ich bekomme immer die lustigen Fälle"

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Eigentlich wollte sie Diplomatin werden: Richterin Monika Rhein. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Monika Rhein beschäftigt sich mit Schuhbecks "Sex"-Gewürz oder dem Wort "Brudi", mit Antikörpern oder Fettabsaugegeräten. Begegnung mit der Vorsitzenden Richterin einer Handelskammer, die den richtigen Ton zu treffen scheint.

Von Susi Wimmer

Das soll interessant sein? Richterin einer Kammer für Handelssachen. Ja, puh, das klingt zugegebenermaßen so staubtrocken wie die Wüste Gobi. Aber dann kommt Monika Rhein und beginnt zu erzählen: Welche Richterin bitte hat sich denn schon beruflich mit Schuhbecks "Sex"-Gewürz beschäftigt, oder mit Influencerin Cathy Hummels? Wer richtete über Rapper Haftbefehl oder das Fußball-Kartell? Und wem sang Lou Bega höchstpersönlich seinen Mega-Hit "Mambo No. 5" im Gerichtsgebäude vor? Eben: Monika Rhein.

Eigenwerbung ziemt sich nicht, aber in diesem Fall ist es einfach zu skurril: Ohne die Süddeutsche Zeitung gäbe es keine Monika Rhein. Es war im Sommer 1958, als Herr Ries aus München eine Bekanntschaftsanzeige in der SZ aufgab, die etwas abenteuerlich klang: Mann sucht Begleiterin, die mit ihm vier Wochen durch Island wandert. Es meldete sich eine Frau aus Hamburg. Es folgten eine Hochzeit in Athen, drei Kinder, Lehrtätigkeiten des Vaters in Indien, Argentinien und Venezuela. Dort machte Monika Rhein ihr Abitur. Und fühlt sich bis heute, das sagt sie wirklich, wie im SZ-Slogan, "in München daheim, in der Welt zu Hause."

Aber zurück an den Lenbachplatz, wo die 60-Jährige etwa im April dieses Jahres zu entscheiden hatte, ob Rapper Haftbefehl für seine Tabakmarke das Wort "Brudi" verwenden darf. Ein Shisha-Shop-Betreiber hatte den Musiker deshalb verklagt, denn der hatte sich "Brudi" als Wortmarke eintragen lassen. "Wir haben unsere Kinder recherchieren lassen", witzelte Monika Rhein als Vorsitzende der vierten Kammer für Handelssachen am Landgericht München I in der Sitzung. Quasi schon ein Eisbrecher zum Sitzungsauftakt, und zu der Frage, was das Wort "Brudi" eigentlich bedeutet.

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Und damit hat Monika Rhein schon in medias res geführt: Als Vorsitzende einer Kammer für Handelssachen ist sie zuständig für Rechtsstreitigkeiten aus dem gewerblichen Rechtsschutz. Da kann es um Produktnachahmungen gehen, etwa wenn ein Schuhhersteller Treter anbietet, die den Birkenstocks zu sehr ähneln, oder eine Bierflaschenform auf den Markt kommt, die vom Aussehen her einem eingetragenen Design gleicht. Oder wenn ein Musikverlag klagt, weil Michael Jackson einst seine Tour mit dem Eingangschor von "Carmina Burana" gestartet hatte. Monika Rhein versucht immer, die Causa verständlich auf den Punkt zu bringen. "Wir erbringen Leistungen für die Menschen", sagt sie. "Ich schreibe am Ende mein Urteil nicht für den Bundesgerichtshof, sondern für die Parteien, die sollen es verstehen."

1991 war sie die einzige Richterin im Justizgebäude am Lenbachplatz

Wenn Monika Rhein erzählt, ist man sofort gefangen von ihrer Art, der Lebhaftigkeit und ihrer Empathie. "Ich hab Glück", meint sie, "ich bekomme immer die interessanten und lustigen Fälle." Jede Akte berge einen neuen Sachverhalt, "das ist, wie wenn ich ein Buch lese". Kann aber auch sein, dass eine Person wie Monika Rhein durch ihre Weltoffenheit und ihre Art, auf Menschen zuzugehen, den Fällen das Leben einhaucht.

Sie sitzt Ende August in einem Besprechungsraum des Landgerichts am Lenbachplatz im weißen Sommerkleid, das blonde Haar fällt offen auf die Schultern, sie lacht und gestikuliert und erzählt von ihren Berufswünschen als Jugendliche. Diplomatin wollte sie werden, wohl getrieben vom familiären Reisefieber. Also besuchte sie eine Dolmetscherschule für Spanisch und Englisch und absolvierte dort "mein Jodeldiplom", wie sie grinsend erzählt. Das Jura-Studium in München schloss sich an, "ich hatte auch ein sehr starkes Rechtsempfinden". Mit Ehemann und Kindern stellte sie dann fest, dass in der Justiz die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wunderbar passte. Als sie 1991 als Zivilrichterin am Landgericht begann, war sie zunächst die einzige Richterin im Justizgebäude am Lenbachplatz. Heute, sagt sie, sei die Justiz sehr weiblich geworden. "Heute brauchen wir eher einen Männerbeauftragten."

Cathy Hummels, die gerade ihre eigene Promi-Wiesn mit Schminkstation und pinken Drinks medienwirksam vermarktete, nutzte auch einen Gerichtstermin, um auf sich aufmerksam zu machen: Der "Verband Sozialer Wettbewerb" hatte die ehemalige Fußballer-Gattin verklagt, sie soll auf ihrem Instagram-Account Werbung für Firmen gemacht haben, ohne diese als solche zu kennzeichnen. Das persönliche Erscheinen von Hummels war nicht angeordnet, aber sie erschien trotzdem.

"Am coolsten ist die Richterin!"

Monika Rhein wundert sich heute noch über den Presserummel. Denn am selben Tag verhandelte eine andere Zivilkammer eine Klage von Autor und Politiker Thilo Sarrazin. "Da war kein einziger Journalist anwesend." Cathy Hummels gewann übrigens durch alle Instanzen, und für Monika Rhein hatte der Fall ein Nachspiel: Sie wurde eingeladen, auf einer Influencer-Konferenz in Köln bei einer Podiumsdiskussion über das Thema Werbung zu referieren. Und in einem Live-Post schrieb ein Teilnehmer: "Am coolsten ist die Richterin!"

Cool muss Monika Rhein auch sein, wenn sie mit dem Münchner Bach-Chor durch die Welt reist und etwa Sir Simon Rattle am Dirigentenpult steht. Seit 39 Jahren singt sie im Chor, "als Ausgleich zum kopflastigen Beruf". Bachs Matthäus-Passion oder das Weihnachtsoratorium kennt sie im Schlaf, wenn sie etwa im Dom zu Pisa steht, in Bukarest oder Israel, dann liebt sie es, "in fremde, unterschiedliche Welten einzutauchen". Und egal ob im Job oder in der Musik: "Die Wirklichkeit ist doch das Spannendste, und man ist mittendrin."

Man stelle sich einen riesigen Saal im Hotel Bayerischer Hof vor. Dazu gut 30 Personen von Kläger und Beklagten auf den einzelnen Seiten, und in der Mitte Monika Rhein. Und zwar in ihrem Element, bei einer Mediation, "in English". Es ging um ein Patent eines sehr teuren Medikaments und den Vorwurf, eine Firma habe das der anderen geklaut. Die Räume im Landgericht waren dafür viel zu klein. Und die Akten zu dick, um die Causa überhaupt noch verhandeln zu können. "Nicht justiziabel" nennt Rhein das. Fünf einzelne Verfahren, dazu eine Beweisaufnahme in den USA. Und am Ende war Monika Rhein zu dem Schluss gekommen: "Die muss man bei einer Mediation an einen Tisch setzen. Ohne Presse, nicht-öffentlich."

"Bei einem Urteil ist immer einer unzufrieden"

Monika Rhein mag Mediationen am Gericht, das sogenannte Güterichterverfahren. Sie hört zu, sagt Sätze wie "das ist ja auch wirklich schlimm" und schafft es, die Parteien zu einer außergerichtlichen Lösung zu bringen. Bei familiären Verfahren sei das zuweilen anders, sagt sie. "Manche Eheleute suchen den Konflikt." In der Wirtschaft hingegen sei man an effektiven Lösungen interessiert. "Oft geht es auch um die Anerkennung einer Lebensleistung", hat sie erfahren. Die Menschen redeten sich den Frust von der Seele, "da haben wir auch den ganzen Tag Zeit". Und am Ende seien beide Parteien zufrieden. Auch Monika Rhein empfindet das als "befriedigender", als Recht zu sprechen: "Bei einem Urteil ist immer einer unzufrieden, denn beide können ja nicht gewinnen."

Monika Rhein hat Patentstreitigkeiten über monoklonale Antikörper in der Krebsforschung auf dem Schreibtisch, oder Fettabsauggeräte, oder sie beschäftigt sich mit großen und kleinen Terzen, um zu klären, ob der neue Jingle der "heute"-Nachrichten tatsächlich eine neue Komposition ist oder die alte abgekupfert hat. Sie fliegt auch schon mal nach Köln, um im Streit um den Namen der Kneipe "Hallmackenreuther" (frei nach dem Möbelverkäufer bei Loriot) des ehemaligen BAP-Bassisten eine Einigung herbeizuführen.

Und dann war da noch die Sache mit Lou Bega. Künstler im Allgemeinen, erzählt Monika Rhein, seien ja oft sehr emotional und wirtschaftlich unbeleckt. "Da werden abends in einer Schwabinger Kneipe beim Rotwein mündliche Absprachen getroffen, oft gibt es keine Verträge - und am Ende Streit." Jedenfalls saß Lou Bega bei ihr, es ging um Urheberrechte am "Mambo No. 5", um Geld und alte Rechnungen. Da rutschte der Richterin bei der Mediation heraus, dass ihr das Lied so gefalle. Sie heiße ja auch Monika, und der Refrain beginne mit "a little bit of Monica in my life". Was soll man sagen: Lou Bega ließ sich nicht zweimal bitten, und durch die Gerichtsgänge hallte der "Mambo No. 5".

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