Mitgliederentscheide zur OB-Kandidatensuche in München:Grüne küren lieber ungewöhnlich

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Wenn Politiker der gleichen Partei plötzlich zu Konkurrenten werden: Auf öffentlichen Foren in München kämpfen drei grüne Bewerber um die Spitzenkandidatur für die Oberbürgermeisterwahl 2014. Gewinnt am Ende immer nur der beste Sprücheklopfer? Und taugt das Grünen-Modell für andere Wahlen?

Tobias Dorfer und Lisa Sonnabend

Einer war von der Idee gar nicht angetan: Hep Monatzeder, seit Jahren Dritter Bürgermeister in München, und unter "normalen" Umständen sicherer Kandidat der Grünen für die nächste OB-Wahl. Feuer und Flamme war dagegen die Stadträtin Sabine Nallinger, denn die 48-Jährige - sonst ohne jede Chance - hat nun eine Möglichkeit bekommen, für sich zu werben. Die Münchner Grünen suchen einen Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl 2014 und greifen dafür zu einem ungewöhnlichen Mittel: In zwei Foren haben sich die Bewerber dem Publikum präsentiert - nun dürfen die Parteimitglieder der Stadt abstimmen, wer ihr Favorit ist. Welcher Kandidat hat die besten Chancen? Ist das Verfahren wirklich so neu? Und werden andere Parteien womöglich auch bald ähnliche Methoden bei der Kandidatenkür anwenden? Eine Bilanz.

Parteiinterne Konkurrenz: Nikolaus Hoenning, Sabine Nallinger und Hep Monatzeder (von links) wollen Kandidat für die OB-Wahl 2014 werden. (Foto: Stephan Rumpf)

Wie läuft die Kandidatensuche ab?

Die Idee hinter dem Auswahlverfahren der Grünen: Der Kandidat soll nicht im Hinterzimmer auserkoren werden. Vielmehr sollen sich die Bewerber zunächst auf zwei OB-Foren dem Publikum präsentieren. Das ist geschehen - und nun wählen die 1200 Grünen-Mitglieder in München ihren Favoriten. Das Ergebnis wird am 24. Juli verkündet. Der Sieger wird dann als Spitzenkandidat 2014 gegen Dieter Reiter (SPD) und Josef Schmid (CSU) antreten.

Wer hat die besten Chancen?

Von Anfang an chancenlos war der 40-jährige Nikolaus Hoenning. Zu unbekannt ist er, zu begrenzt sein Themengebiet. Er tritt mit dem Ziel an, ein Zeichen für mehr demokratische Strukturen zu setzen. Bei den beiden Diskussionsrunden präsentierte er sich selbstbewusst, kenntnisreich und gewandt - dennoch bleibt es dabei: Er ist zwar bekannter geworden, scheint aber weiter ohne Chance.

Die 48-jährige Sabine Nallinger tritt für einen neuen Politikstil bei den Münchner Grünen ein: Sie präsentiert Visionen und möchte, dass die Bürger bei der Umsetzung mit einbezogen werden. Bei den aktiven Grünen kommt das gut an: Eine große Mehrheit unter ihnen will, dass Nallinger für die Partei in den OB-Wahlkampf zieht. Endlich weht wieder frischer Wind in der Partei, finden viele. Bei den OB-Foren bekam sie mit Abstand den meisten Applaus. Selbst wenn sie am Ende den Wettbewerb nicht für sich entscheiden sollte: Nallinger hat gezeigt, dass sie mit ihrem Politikstil bei der Basis ankommt und sich damit eine gute Position in der Partei geschaffen hat. Wenn bei den Münchner Grünen wieder ein Posten zu vergeben ist, wird an ihr kein Weg vorbeiführen.

Doch wie werden die 1200 Grünen-Mitglieder in München entscheiden? Es ist davon auszugehen, dass Hep Monatzeder, seit 1996 Dritter Bürgermeister der Stadt, auch diesmal wieder bei ihnen punkten kann. Der 60-Jährige hat die meiste Erfahrung vorzuweisen und ist bekannt wie kaum ein anderer Politiker in der Stadt. 62 Prozent der Münchner wissen, wer er ist. Das sind deutlich mehr als bei der Konkurrenz: Dieter Reiter, OB-Kandidat der SPD, ist nur 19 Prozent der Münchner ein Begriff und Josef Schmid, OB-Kandidat der CSU, 40 Prozent. Nur Christian Ude ist bekannter als Monatzeder - und der darf nicht noch einmal antreten. Außerdem will er ja bayerischer Ministerpräsident werden.

Ist das Auswahlverfahren wirklich so neu?

Bereits andere Parteien haben in der Vergangenheit beschlossen, die Basis über Spitzenkandidaten abstimmen zu lassen - auch bei bedeutenderen Entscheidungen. Einige Beispiele: Als 1993 Björn Engholm als SPD-Chef zurücktrat, bewarben sich Gerhard Schröder, Rudolf Scharping und Heidemarie Wieczorek-Zeul um die Nachfolge. Die SPD-Mitglieder wurden gefragt - und wählten Scharping. Norbert Röttgen ließ sich 2010 per Mitgliederentscheid zum CDU-Landesvorsitzenden von Nordrhein-Westfalen wählen.

Und auch die Münchner Grünen haben bereits im Jahr 2006 ihren Spitzenkandidaten für die Kommunalwahl 2008 von den Mitgliedern wählen lassen. Damals setzte sich Hep Monatzeder gegen Lydia Dietrich und Siegfried Benker durch. Neu sind in diesem Jahr bei den Grünen die Diskussionsforen vor dem Entscheid - die bei Mitgliedern und Normalbürgern durchaus Interesse hervorrufen. Beim zweiten OB-Forum im Kolpinghaus am Stachus, so sagt die Stadtvorsitzende Katharina Schulze, habe sie etwa die Hälfte der Besucher nicht gekannt.

Fachleute haben durchaus Sympathien für diese Form der Mitbestimmung. Volker Mittendorf, Leiter des Bereichs "Direkte Demokratie" an der Universität Wuppertal, beobachtet schon lange, dass die etablierten Parteien "an Bindungswirkung verlieren". Er sagt: "Ich halte es für sinnvoll, dass sich die Parteien für mehr Mitbestimmung der Basis öffnen."

Weniger Diskussionen gab es übrigens bei der Kandidatenkür in einer anderen süddeutschen Stadt, in der sich die Grünen viel erwarten: In Stuttgart mischte bei der Kandidatensuche für die Wahl des Oberbürgermeisters auch die Landespartei mit: Eine Findungskommission kürte den Bundestagsabgeordneten und Realo Fritz Kuhn einstimmig zum Kandidaten. Die Mitglieder hatten damit offenbar kein Problem: Bei einem Kreisparteitag nickten sie die Entscheidung brav ab - Kuhn erzielte ein Traumergebnis von 98 Prozent.

Birgt so ein Auswahlverfahren auch Gefahren?

Klar ist, dass Nallinger, bislang einfache Stadträtin, ohne die Münchner OB-Foren wohl keine Chance gehabt hätte, dem Platzhirsch Monatzeder die Kandidatur streitig zu machen. Ihre Vorschläge sind unkonventionell, manchmal auch unausgegoren - wie zum Beispiel ihre Idee, dass Münchner Patenschaften für Zuzügler übernehmen sollen, damit sich diese schneller einleben und wohlfühlen. Bei den beiden Veranstaltungen bekam sie den meisten Applaus.

Gewinnt am Ende derjenige, der den Wählern am meisten verspricht? "In der Tat kann man feststellen, dass bei Mitgliederentscheiden eher die Kandidaten gewählt werden, die sich in ihrer Rhetorik an die breite Masse richten", sagt Volker Mittendorf von der Uni Wuppertal. Dennoch sieht er keine Populismusgefahr: "Populismus bedeutet für mich, dass Themen unnötig vereinfacht werden. Aber in diesem Fall wird doch deutlich, dass es zu einer tieferen Debatte kommt als ohne die OB-Foren."

Andere befürchten, das Verfahren könnte den etablierten Hep Monatzeder beschädigen - zumal der sich im Vorfeld gegen die OB-Foren ausgesprochen hatte. Doch diese Sorge hat sich als unbegründet erwiesen: Der Dritte Bürgermeister agierte souverän, festigte seinen Ruf als Realpolitiker und gab sich - vor allem beim zweiten Forum - kämpferisch.

Wie haben die anderen Parteien ihren Kandidaten bestimmt?

Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) wurde oft vorgeworfen, dass er in seinen vielen Jahren im Amt keinen Nachfolger aufgebaut hat. Schließlich legte er sich 2011 dann doch fest, wer 2014 - wenn er altersbedingt nicht noch einmal kandidieren darf - in seine Fußstapfen treten soll: Wirtschaftsreferent Dieter Reiter. Udes Kronprinz erhielt dann auch die meiste Zustimmung bei einem Treffen der Ortsvereine im Oktober 2011: 33 Ortsvereine sprachen sich für Reiter aus, nur sechs für seine Konkurrentin Brigitte Meier, der Rest enthielt sich. Meier erklärte daraufhin ihren Verzicht, der SPD-Vorstand forderte Reiter zur Kandidatur auf. Im Dezember wurde der 54-Jährige dann von sämtlichen Delegierten gewählt - und ist nun seitdem offizieller Kandidat.

Etwa zeitgleich wie die SPD bestimmte auch die CSU ihren Kandidaten: Der Vorstand kürte im November den Fraktionschef der Partei im Münchner Rathaus, Josef Schmid, zum Oberbürgermeisterkandidaten. Die Entscheidung war wenig überraschend: Schon 2008 trat Schmid gegen Ude an, andere Bewerber waren nicht in Sicht.

Noch ist allerdings keine Kandidaten-Personalie ganz offiziell; denn die Bayerische Gemeindeordnung erlaubt eine Kandidatenkür frühestens eineinhalb Jahre vor dem Termin der Kommunalwahl, die im März 2014 stattfinden soll.

Foren und Mitbestimmung - ein Modell für andere Wahlen?

Spricht man mit Katharina Schulze, die zusammen mit Sebastian Weisenburger die Münchner Grünen führt, dann ist sie voll des Lobes für die OB-Foren. "Wir wollten nicht, dass die Kandidatensuche hinter verschlossenen Türen abläuft, bis am Ende weißer Rauch aufsteigt." Deshalb sei sie "sehr zufrieden" mit dem Ergebnis. Die Beteiligung sei hoch gewesen, deshalb könne sie sich in einigen Jahren ein ähnliches Verfahren auch auf Landesebene vorstellen. "Ich bin überzeugt von unserem Modell", sagt Schulze. Für die Landtagswahl in Bayern 2013 käme es jedoch nicht mehr in Frage. "Da steht der Fahrplan bereits", sagt Schulze.

Bei der CSU möchte man sich zu dem Thema nicht äußern. Nur so viel: Prinzipiell bestehe auch bei der CSU laut Satzung die Möglichkeit, einen Kandidaten per Mitgliederbefragung zu bestimmen. Allerdings, so Parteisprecher Michael Strepp, könne diese Methode der Mitbestimmung, "nicht von oben oktruiert werden". Der Wunsch danach müsse von den betroffenen Kommunen und Beteiligten kommen.

Florian Pronold, Vorsitzender der SPD in Bayern, sagt, auch in der SPD habe man schon mit derartigen Formaten experimentiert - wie etwa 1993 auf Bundesebene. Und auch die OB-Kandidaten der SPD seien 2011 durch die Ortsvereine getingelt, um für ihre Positionen zu werben. Allerdings alleine - da die Partei fürchtete, sonst könnte ein Kandidat Schaden nehmen. Auch eine Mitgliederbefragung wurde bei der Kür - vor allem von der Partei-Linken - in der Partei diskutiert. Dazu kam es allerdings nicht - weil Reiters parteiinterne Konkurrentin Meier nach dem Votum der Ortsvereine einen Rückzieher machte.

Pronold sagt, in seiner Partei könne er sich Foren und Mitgliederbefragungen vorstellen - allerdings nur, "wenn nicht einer der Kandidaten von vornherein aussichtslos ist." Und das sei nun mal oft der Fall.

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