München:Der Massenzuzug von Migranten ist ausgeblieben

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Wäsche trocknet am Zaun der Bayernkaserne, die 1500 geflüchteten Menschen ein Obdach bietet. (Foto: Robert Haas)

Platz für geflüchtete Menschen gibt es in der Stadt laut Wohnungsamt inzwischen genug. Jetzt geht es vor allem um Integration und bessere Wohnverhältnisse.

Von Dominik Hutter, München

Offiziell gibt es ihn noch: den Stadtratsausschuss für Standortangelegenheiten für Flüchtlinge. Am 20. September soll sich die unter diesem sperrigen Titel geführte Runde wieder treffen - wenn es diesmal dazu kommt. Denn im laufenden Jahr hat nur eine von bisher sieben anberaumten Sitzungen tatsächlich stattgefunden. Alle anderen wurden abgesagt.

Das Thema, das Politiker aller Ebenen umzutreiben scheint wie kein anderes, ist in der Hierarchie des Münchner Rathausgeschehens weit nach unten gerückt. Was nicht heißt, dass es nichts mehr zu tun gäbe, auf der Verwaltungsebene zumindest. Die heiße Phase, in der händeringend Unterkünfte für neue Flüchtlinge aus dem Boden gestampft werden mussten, ist allerdings vorbei. Jetzt geht es um Integration und vor allem auch um bessere Wohnverhältnisse. Raus aus den umfunktionierten Bürohäusern und rein in echte Wohnquartiere, lautet das erklärte Ziel des Sozialreferats. Einfach ist das nicht zu erreichen.

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Zumindest was die Zahlen angeht, gebe es "eigentlich keine große Veränderungen im Moment", berichtet Sozialreferentin Dorothee Schiwy. In der Behörde wird aktuell mit einer weitgehend gleichbleibenden Zahl von etwa 21 000 Flüchtlingen gerechnet, staatliche und städtische Betreuung zusammengenommen. So viele Migranten kamen in den Jahren 2012 bis 2016 nach München - um zu bleiben. Nicht berücksichtigt sind Zehntausende, die im Herbst 2015 am Hauptbahnhof angekommen sind. "Viele davon sind gar nicht in München geblieben, sondern weitergereist", berichtet Schiwy. Die Zahl 21 000 ist lediglich eine Hausnummer, die nur begrenzt Aussagen zulässt über den Bedarf an Betreuungsangeboten oder Wohnraum.

Klar ist: Von dem vor allem im Wahlkampf immer wieder als große Gefahr heraufbeschworenen Massenzuzug von Migranten ist in München nichts zu merken. Schon lange nicht mehr. Seit Frühjahr 2016, so Wohnungsamtschef Rudolf Stummvoll, habe es "keine wesentlichen Neuzugänge mehr gegeben". Allerdings meldet die Stadt auch keine freien Kapazitäten mehr an den Freistaat. Die Gruppe der Migranten ist äußerst heterogen: Es gibt Geflüchtete im Asylverfahren, anerkannte Asylbewerber, Geduldete, unbegleitete Minderjährige sowie Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften, Clearinghäusern, Notquartieren oder selbst angemieteten Wohnungen. Und noch viele Varianten mehr.

Alle diese Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse. Das macht es auch für die Behörde schwierig, zahlentechnisch den Überblick zu behalten. Im Juli 2018 wohnten nach Angaben des Sozialreferats 2621 Flüchtlinge in staatlichen Gemeinschaftsunterkünften (1150 davon anerkannt), 3934 waren in städtischer Obhut untergebracht (davon 1538 Anerkannte). Dazu kommen noch 2039, die im Wohnungslosensystem erfasst sind, sowie diverse Haushalte in geförderten oder "normalen" Wohnungen. Allein 326 Flüchtlingshaushalte haben es seit Anfang 2017 auf dem freien Wohnungsmarkt geschafft.

Das Thema Unterkünfte beschäftigt die Experten des Sozialreferats dennoch weiter. Denn viele Flüchtlinge bleiben auch nach ihrer Anerkennung in der Gemeinschaftsunterkunft. Weil es für sie im überhitzten Wohnungsmarkt München sehr schwierig ist, einen Mietvertrag zu ergattern, berichtet Schiwy. Eigentlich sollten die sogenannten Statuswechsler nach ihrer Anerkennung die Gemeinschaftsunterkunft verlassen. Aber wenn das nicht klappt, bleiben sie eben da.

Allerdings stehen viele Gemeinschaftsunterkünfte zur Disposition. Eigentlich, so Schiwy, sind die in Wohnraum umgemünzten Bürobauten ohnehin eher ein Notbehelf als eine Dauerlösung. In oftmals schlecht angebundenen Gewerbegebieten gelegen, sind sie nicht gerade ein Sinnbild für gelungene Integration. Streng genommen dürften an diesen Adressen gar keine Wohnungen existieren, erklärt Schiwy - eine bis Ende 2019 befristete Ausnahmegenehmigung hat die Unterbringung von Flüchtlingen zwischen Autohändlern und Großmärkten ermöglicht. Das will die Sozialreferentin ändern, und an vielen Stellen muss sie es auch. Denn viele der Grundstücke sind längst überplant, die Flüchtlinge müssen weichen. Prominentestes Beispiel ist die Bayernkaserne, auf der ein Wohngebiet entstehen soll. Das bereitet den Unterkunftsplanern viel Kopfzerbrechen, dort gibt es immerhin 1500 Plätze.

Massenweise leer stehende Unterkünfte gibt es in München nicht, versichert Stummvoll. Obwohl der Andrang stark nachgelassen hat. "Wir haben keine Überkapazität." Aus dem seit Jahren betriebenen Verschiebebahnhof der Unterkünfte seien aber schon etliche Adressen herausgefallen, an der Karlstraße etwa. Andere müssen demnächst geschlossen werden. Bei anderen dauert die Belegung etwas länger, so geschehen bei der wegen ihrer von Nachbarn erstrittenen Lärmschutzwand berühmt gewordenen Unterkunft an der Nailastraße. Sie war zunächst für Erwachsene gedacht, dann für Jugendliche, inzwischen sind dort unter anderem Mütter mit Kindern untergebracht. Der Bedarf verändert sich, betont das Sozialreferat.

Darauf müsse man reagieren. Nach Einschätzung Stummvolls hat es sich bewährt, nicht überhastet auf jede aktuelle Entwicklung zu reagieren und dabei mühsam Erreichtes zu schleifen. Dass in München so erfolgreich Integrationsarbeit geleistet werde, habe nicht zuletzt damit zu tun, dass nach der Jugoslawienkrise in den Neunzigerjahren nicht alle Strukturen wieder auf Null heruntergefahren wurden. Als dann 2013/14 der neuerliche Ansturm begann, habe man auf Bewährtes zurückgreifen können.

© SZ vom 30.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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