Szene-Festival:"Der Untergrund des Untergrunds"

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Die britische Presse war entzückt vom "Krautrock", den Michael Rother vor 50 Jahren mit seiner Band "Neu!" miterfand. (Foto: Rick Burger)

Der Krautrock-Pionier Michael Rother, der als Teil von "Neu!" musikalische Vorwärtsdenker wie David Bowie oder "Radiohead" inspirierte, spielt beim "Puch Open Air".

Von Martin Pfnür

Der Beat lässt sich nicht aufhalten, von nichts und niemandem. Wild entschlossen strebt er repetitiv zirkulierend im Viervierteltakt voran, ohne Ziel oder Ende, nur weiter, immer weiter. Man begegnet der Urform dieses passgenau von einer dienstbeflissenen Basslinie und quecksilbrigen Gitarrensounds vorangetriebenen Zirkulierens namens "Hallogallo" gleich zu Beginn eines Albums, das vor rund fünfzig Jahren weitestgehend unbemerkt vom deutschen Musikjournalismus das Licht der Welt erblickte.

Schlicht "Neu!" nannten der Gitarrist Michael Rother und der Schlagzeuger Klaus Dinger ihr Debüt, dem sie kurzerhand den Namen ihrer Band verpassten. Denn neu sollte eben auch dieser Sound sein, der dem Muff der damaligen deutschen Musiklandschaft zwischen kriegstraumaverdrängender Schlagerseligkeit und allzu offensichtlicher Orientierung am bluesgetränkten Rock aus England und den USA etwas Originäres entgegenzustellen suchte.

Ganz allein war das ebenso junge wie langhaarige Duo aus Düsseldorf damals mit diesem Unterfangen natürlich nicht. Schossen doch bereits seit den späten Sechzigern auch in Köln ( Can), München ( Amon Düül) oder Berlin ( Cluster) Bands und Projekte mit ähnlichen Absichten wie Spargel aus dem Beet, die bald unter dem etwas unfeinen Sammelbegriff "Krautrock" von der entzückten englischen Musikpresse ins selbe Genre-Körbchen gelegt wurden.

Der kommerzielle Erfolg blieb dabei indes erst mal zweitrangig, wichtiger waren da schon künstlerische Unabhängigkeit und die Lust am Aufbrechen musikalischer Formen. "Wir waren so etwas wie der Untergrund des Untergrunds", sagt denn auch der heute 71-jährige Michael Rother im Zoom-Gespräch über die Neu!-Anfänge. Damit passt ihre Musik, die Rother auch heute noch live als Teil seines Solo-Programms spielt, hervorragend als Hauptattraktion auf das "Puch Open Air", das seit nun 31 Jahren nicht nur die Münchner Musikkenner zu Tausenden mit einer Mischung aus Szene-Heroen und Pop-Experimenteuren nach Jetzendorf ins Dachauer Land lockt (heuer außerdem mit dabei: Gilla Band, Anika, What Are People For, Inga und Ralf Köster).

Ausflug der Szene: Im Weiler Lueg im Dachauer Land treffen sich Tausende zum idyllischen "Puch Open Air". (Foto: Niels P. Jørgensen)

Dabei fanden er und Klaus Dinger zuvor über eine Band zusammen, wie sie heute kaum berühmter sein könnte. Als Mitglieder einer frühen Prä-Elektropop-Besetzung von Kraftwerk ließen sie es live auf eine Weise krachen, dass "an guten Abenden schon mal das Dach wegflog", wie Michael Rother sich erinnert. Und doch sollte es nicht sein. Rother erzählt von endlosen "Spannungen und Hakeleien" zwischen Klaus Dinger und Kraftwerk-Mitgründer Florian Schneider sowie einem krachend gescheiterten Versuch, zusammen ein Album aufzunehmen.

Also Neu!-Start. Zu zweit und ohne nerviges Kompetenzgerangel. Gemeinsam mit Produzenten-Legende Conny Plank kratzten Rother und Dinger das Geld für vier Nächte in einem Hamburger Studio zusammen, was sie lieber in Kauf nahmen, als sich dort von irgendeinem Label-Menschen auf der Nase herumtanzen zu lassen. "Der Plan war, nach getaner Arbeit eine fertige Produktion in den Händen zu halten", sagt Michael Rother. "Wir wollten einfach zu einer Plattenfirma gehen und sagen können: Das ist unser Album. Diskussionen darüber gibt es nicht."

Und tatsächlich ging der Plan auf. Ohne jede Vorbereitung, ohne Demos oder gar Songs, dafür aber mit einer gehörigen Portion Optimismus und "nebulösen Visionen", wie Rother sagt, spielten die beiden in vier Nächten eine weitgehend instrumentale Platte ein, die vom Zauber des Augenblicks kündet und heute gemeinhin als Meisterwerk der Krautrock-Ära gilt. "Alles passierte in direkter musikalischer Reaktion auf die Beiträge des jeweils anderen", sagt Michael Rother, und erzählt von glücklichen Zufällen und Inspirationsmomenten wie jenem, in dem Conny Plank das Band während der Aufnahme seiner Gitarrenspuren zu "Hallogallo" einfach mal rückwärts laufen ließ. Simpler Trick, grandioser Effekt.

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Es war der brillante Auftakt eines Gespanns, das sich in seiner zunehmenden Ungleichheit fortan ebenso sehr gegenseitig beflügelte wie aneinander rieb. Hier der ausgeglichene Rother, den eher ein Faible für melodische bis ambiente Klänge auszeichnete. Dort der rauschaffine Exzentriker Dinger, den es zunehmend in Richtung eines raueren Sounds trieb, und der die Band auch als Vehikel zur Aufarbeitung eines Jahre andauernden Liebesschmerzes begriff, den er auf dem dritten Album "Neu! 75" als entfesselt keifender Sänger im Proto-Punk-Song "Hero" umkreiste.

David Bowie und Iggy Pop outeten sich als große Fans

Bald darauf trennten sich die Wege der beiden, wenn man mal von einer verunglückten Reunion im Jahr 1986 absieht. Rother, der zuvor schon parallel als Teil des Trios Harmonia zusammen mit Hans-Joachim Roedelius und Dieter Moebius von Cluster mit elektronischen Mitteln ins Kosmische aufbrach, startete eine erfolgreiche Solo-Karriere. Und Dinger gründete mit seinem Bruder Thomas und dem Schlagzeuger Hans Lampe (der heute wiederum für Rother trommelt) das erfrischend durchgeknallte Trio La Düsseldorf.

Der Einfluss jedoch, den sie vor allem mit Neu! auf unzählige Bands und Künstler nahmen, er wuchs und wuchs und wuchs. Waren es anfangs noch Connaisseure wie die einstigen Wahlberliner David Bowie und Iggy Pop, die sich als große Fans outeten, so brachte jedes folgende Jahrzehnt weitere Neu!-Anhänger mit sich. Von Joy Division über Sonic Youth bis hin zu den Artrock-Maestros Radiohead, um ein paar besonders prominente zu nennen. Und doch gibt es da auch einen Fan, der aus dieser Riege heraussticht. Denn wäre nicht ein gewisser Herbert Grönemeyer Ende der Neunziger derart von dieser Musik entflammt worden, dass er für ihre Wiederveröffentlichung eigens das Label Grönland Records gründete, und damit auch einen über Jahre schwelenden Streit zwischen Michael Rother und dem 2008 gestorbenen Klaus Dinger beendete - wer weiß, ob sie heute überhaupt erhältlich wäre.

Puch Open Air, Sa., 16. Juli, 15 Uhr, Lueg 1, Jetzendorf, Programm unter www.puch-openair.de

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