IT-Branche:Wie junge Firmen in München die Zukunft formen

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Michael Bartl (re.) arbeitet an einer Software, die mit Hilfe von Sensoren unterschiedliche Emotionen erkennen soll. (Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Nicht nur Microsoft und Google siedeln sich in München an. Auch neue IT-Unternehmen nutzen die Vorteile des "Isar Valley".

Von Pia Ratzesberger

Kein Kicker, kein Firlefanz und bloß keine Sitzsäcke, man sei hier doch erwachsener. Michael Bartl drückt die Türe zum nächsten Stockwerk auf. Ein heller Gang, im Raum ganz hinten flirrt die Glühbirne an der Decke auf, natürlich mit Bewegungsmelder. Sensoren warten auf dem Schreibtisch, Bartl testet hier seine Software, die Maschinen menschlich machen soll.Die Gefühle auslesen soll wie Tabellen, die dem Fahrassistenten im Auto melden könnte, dass der Typ hinter dem Steuer aufgebracht ist und der neuen Bekanntschaft auf Tinder, dass das Rendezvous einen verstimmt hat.

In der Schellingstraße 45, im Haus der Innovation von Hyve, wollen Bartl und seine Kollegen mitentwickeln, wie man in fünf oder zehn Jahren leben wird. Sie sind nicht die einzigen in München.

In der bayerischen Landeshauptstadt haben sich die großen Konzerne niedergelassen, man ziert sich mit Namen wie IBM oder Intel. Microsoft hat vor wenigen Wochen seine neue Zentrale in Schwabing eröffnet, Google hat zu Beginn des Jahres ein Entwicklungszentrum im Arnulfpark eingeweiht. Die IT-Branche wächst so stark wie kaum eine andere in der Stadt, doch es sind eben nicht nur die bekannten Unternehmen, die das sogenannte "Isar Valley" formen - in Anlehnung an das Silicon Valley in Kalifornien. Es sind auch viele junge Firmen, die von München aus die Zukunft mitbestimmen, denn nichts wird den Alltag so grundlegend verändern wie die IT.

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Michael Bartl, 41 Jahre, trägt die übliche Kluft der jungen Unternehmer, Turnschuhe, neonfarben, Jeans und Pulli, genau wie die Kollegen in den Gängen. Wenn die Leute der Hypo-Vereinsbank hier reinkämen, sagt er, dauere es nur ein paar Tage, und dann legten die Schlips und Sakko ab. Genauso die Mitarbeiter einer Versicherung, die gerade in einem anderen Stockwerk vor ihren Bildschirmen sitzen, im Haus der Innovation nämlich können sich Firmen eine Zeit lang einmieten. Um mit den 80 Leuten auf den fünf Stockwerken neue Projekte anzuschieben, um mit Entwicklern und Marktforschern zu klüngeln, mit Managern und Designern.

Dieses Haus in der Maxvorstadt ist einer von Dutzenden Orten in München, an denen Leute aus verschiedenen Branchen zusammenkommen, Ideen spinnen, irgendwann vielleicht ein neues Unternehmen gründen: In diesen Tagen findet zum Beispiel die Münchner Webwoche statt, im Werk 1 am Ostbahnhof sitzen mehr als 30 Start-Ups in einer ehemaligen Fabrik, im LMU Entrepreneurship Center in der Giselastraße arbeiten junge Firmen an ihren Businessplänen, die UnternehmerTUM fördert Gründer genau wie das Münchner Technologiezentrum.

Mit IT haben all diese neuen Firmen immer zu tun; denn welches Unternehmen plant heute schon ohne eine Webseite, ohne eine App, ohne irgendeine Software? Das gehe doch gar nicht mehr, sagt Bartl. Er deutet aufs Fenster, die beiden Türme der Frauenkirche ragen über die Dächer, schon schön der Ausblick, überhaupt sei München der bessere Standort als die Hauptstadt.

Es gebe wohl wenig Berliner Hipster, die schon so viel wissenschaftlich publiziert hätten wie die Leute hier im Haus, sagt er später noch. Er grinst, Bartl hat selbst an der WHU bei Koblenz promoviert. Die Nähe zur Wissenschaft nennt jeder, wenn man junge Unternehmer fragt, warum sie sich für München entschieden haben: Die TU, die LMU, die Fachhochschulen, so viel Nachwuchs müsse eine andere Stadt erst einmal bieten, das gebe es sonst vielleicht noch drüben in den USA, in der Bay Area.

Sein Blick sagt: irre, oder?

München hat die Universitäten, die Forschungsinstitute, die großen Konzerne, das Netz ist so eng, dass die Stadt bei den Jungen als die selbstverständliche Wahl gilt, wenn man sich für IT entscheidet. An Berlin klebt zwar nach wie vor der Ruf als Metropole der Gründer, aber vor allem, wenn es um E-Commerce geht, um Handel. Nicht unbedingt um Maschinen und um Hightech.

An der Wand, im Projektraum mit der Glühbirne, hängt ein farbiger Kreis, er soll die Emotionen des Menschen abbilden, Enttäuschung und Wut, Trauer und Aufregung. "Überlegen Sie doch mal", sagt Bartl, "was würden Sie als Maschine machen, wenn Sie die Gefühle ihrer Nutzer kennen?" Sein Blick sagt: irre, oder? Jede Gefühlsregung will Bartl kategorisieren, intelligente Armbänder messen schon den Puls, die Temperatur, solche Werte müsste die Software mit Gefühlen in Verbindung setzen.

Firmen können bereits ziemlich gut einschätzen, wem man einen Sammelband von Max Frisch vorschlagen sollte oder wem lieber die neue Platte von Bushido. Doch wenn die Unternehmen auch noch wüssten, wie sich der Kunde fühlt, dann gäbe es eigentlich kaum noch etwas, was sie nicht wüssten. Jeder solle selbst darüber entscheiden können, welche Gefühle er offenlege wolle und welche nicht, sagt Bartl, geht hinab zum nächsten Stockwerk. Erst einmal sei aber ohnehin die Frage, wer schneller bei der Entwicklung sei. Das Silicon Valley. Oder vielleicht doch das Isar Valley.

© SZ vom 05.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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