Ausstellung im Sudetendeutschen Museum:Leben am seidenen Faden

Lesezeit: 2 min

Königliche Hoheiten in barocker Gartenarchitektur - ein beliebtes Sujet der Marionettenbühnen. (Foto: Daniel Mielcarek/Sudetendeutsches Museum)

Eine Ausstellung im Sudetendeutschen Museum in München erzählt die Geschichte des Marionettenspiels in Böhmen und Mähren.

Von Christian Jooß-Bernau

Gleich links neben der Schiebetür hockt er in einem Schaukästchen auf seinem Schemel - der Zwackl. Rote Hose, graues Wams. Auf dem Kopf eine braungefilzte Zipfelmütze schlenkert er mit den Beinen und lacht auf eine Weise, die man drollig finden kann. Oder ungemein aufsässig. Der Kerl ist der Grund für den ganzen Aufriss hier. 1998 war es, da haben Anita und Hartmut Naefe ihn adoptiert. Auf einem Flohmarkt in Bad Kötzting.

"So ein Theater!" heißt die Ausstellung im Sudetendeutschen Museum, in der die Naefes ihre Sammlung böhmischer und mährischer Marionetten präsentieren. Denn irgendwas an diesem ersten kleinen Holzkopf hat die Naefes fasziniert. Von ihrem Heimatort Viechtach ist es nicht weit zur tschechischen Grenze. Und dahinter tat sich, wie man jetzt sehen kann, eine fantastische, reiche Welt auf - man musste sie nur finden wollen.

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Ist die Ausstellung ein Kinderspaß? Sicher - auch. Ganz zeitgemäß holt man die junge Generation mit einem interaktiven Quiz ab, für das die Eltern ihre Handys rausrücken müssen. Viele der Bühnen sind so installiert, dass sich Erziehungsberechtigte keinen Rückenschaden beim Heben holen. So blickt man gemeinsam auch auf Märchenszenen, staunt über Rotkäppchens bis in kleine Spitzenschürzendetails gearbeitetes Kostüm und über den elegant geschnitzten Wolf. Sieht ein vornehm und ein wenig blasiert guckendes Schneewittchen im Bett liegen, umtollt von sieben Zwergen, die in ihrer knollennasigen Schlumpfigkeit recht deutlich an einen gewissen Disney-Film von 1937 erinnern. Und kann am Ende des Rundgangs einmal selbst ausprobieren, ob man mit der filigranen Steuerung einer Marionette zurechtkommt.

Um auf den Burschen vom Anfang zurückzukommen: Seinesgleichen begegnet man hier immer wieder. Und wie im deutschen Sprachraum ist der Kašpárek oft kein liebes Würstel, sondern ein ausgewachsener Nachfahre des Hanswurst: fieser Zotenreißer für die roten Ohren der Erwachsenen. Versucht man sich zu den Anfängen zu graben, landet man in der Mitte des 17. Jahrhunderts, wo deutsche und italienische Puppenspieler das Marionettentheater nach Böhmen brachten. Kinderstücke hatten sie nicht dabei - stattdessen klassische Theaterware wie Shakespeare oder Molière.

Unverkennbar: Hier liegt Schneewittchen, umtollt von sieben Zwergen. (Foto: Daniel Mielcarek/Sudetendeutsches Museum)

Der Sammlungsschwerpunkt der Naefes liegt zwischen 1870 und 1950. Das Marionettentheater entwickelt hier eine erstaunliche Breitenwirkung, die auch mit der industriellen Produktion zu tun hat. Münzberg, Storch, Modrý & Žanda und Jeka heißen die Firmen, die ab 1900 Puppen für den Hausgebrauch produzieren, deren unterschiedlichem ästhetischem Ausdruck man natürlich in einem Schaukasten beispielhaft nahekommt.

Dass sich das Sammlerehepaar auch für das Drumherum der Puppenkunst interessiert, macht die Sache rund. So sieht man die von Verlegern produzierten Bögen, aus denen sich die Szenerien der Bühnen ausschneiden ließen. Hintereinander angeordnet ergaben sich aus Proszenium und Kulissen zusammengesetzt kleine Guckkastenbühnen mit einer thematischen Vielfalt von barocker Gartenarchitektur über Landschaften bis hin zum Segelschiff. Technische Errungenschaften wurden natürlich ins Spiel integriert. So wird die Bühne elektrifiziert. Schönstes Beispiel: ein Scheinwerferchen mit Farbfiltern zum Wechsel der Lichtstimmung.

Ausdrucksstarke Puppenkunst: der Kopf eines Königs. (Foto: Christian Jooß-Bernau)

Durchgängiges Faszinosum aber sind die Puppen selber, deren Unterteilung in Stab- und Fadenmarionetten und ihre unterschiedlichen Spielweisen einem eingangs erklärt werden. Zentrales Element des Ausdrucks ist der Kopf. Gerne, vor allem von professionellen Spielern, als Wechselkopf effizienzsteigernd auf die Puppenkörper gesetzt, ist er Zentrum des Ausdrucks. Wie vor einer japanischen Nō-Maske kann man lange vor dem Kopf des Königs stehen, der einem aus einer Vitrine entgegen guckt. Irgendetwas arbeitet in diesem Gesicht. Eingefallen die Züge unter dem weißen Vollbart. Steil ragen die Falten auf der Stirn. So blickt er durch einen hindurch mit starren Augen, in denen vielleicht schon der Wahnsinn nistet. Nicht alles ist hier Kinderspiel.

Zur Vertiefung empfiehlt sich der reich bebilderte Katalog, der begleitend erschienen ist. Auf Deutsch und Tschechisch flaniert man noch einmal durch eine Ausstellung, die von der Liebe zum Detail lebt.

So ein Theater! Marionetten aus Böhmen und Mähren aus der Sammlung Naefe, bis 13. Februar, Sudetendeutsches Museum, Hochstraße 10, Dienstag bis Sonntag, 10-18 Uhr

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