Dating:Herzblatt für Chinesen

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Casting in Unterföhring: Mit kurzen Imagevideos stellen sich die Kandidatinnen ihren potenziellen Partnern vor. (Foto: privat)

Bei ihrer Partnerwahl bleiben die Asiaten oft lieber unter Landsleuten. In Unterföhring suchen die jungen Menschen auf der Bühne nach ihrem großen Glück - bei einer Casting-Show.

Von Anna-Sophia Lang

Vor einigen Tagen saß Qi auf der Bühne im Bürgerhaus Unterföhring, neben elf anderen jungen Chinesinnen. Alle geschminkt, alle in hohen Schuhen. Nervös war sie, aber hoffnungsvoll. "Find the missing piece", das stand auf dem Flyer, mit dem der Chinesische Verein München die Veranstaltung beworben hatte, "finde den fehlenden Teil". Eine Show für junge Chinesen, die einen Partner suchen.

Thomas Müller? Qi wirft ihr Haar über die rechte Schulter, legt den Kopf in den Nacken und lacht laut: "Nein, der wäre nichts für mich". Er gefällt ihr nicht, dieser fußballspielende Prototyp eines deutschen Mannes. Was ihre Eltern wohl sagen würden, wenn sie plötzlich mit ihm vor der Tür stünde? Schwer vorstellbar. Qi sitzt im Café am Platzl unweit vom Marienplatz. Es ist ungemütlich kalt, immer wieder nieselt es. Sie hat die Beine übereinander geschlagen, sie trägt schlichte Ballerinas, ein schwarzes Etuikleid, darüber einen cremefarbenen Trenchcoat.

Auf der Bühne in Unterföhring saßen die zwölf Frauen auf hohen Hockern und winkten aufgeregt ins Publikum. Jede trug ein Schild mit einer Nummer an der Taille. Mehr als 100 junge Chinesen hatten das Online-Formular ausgefüllt, mit dem sie sich als Kandidat für die Show bewerben konnten. Name, Alter, Beruf und ein Foto schickten sie ein. Acht Männer und zwölf Frauen haben es geschafft. Sie konkurrierten nun auf der Bühne um Dates miteinander. So lange, bis jeder Mann einer der Frauen zugeteilt war.

Grüne Karten für die besten Männer

Eine nach der anderen stellte sich vor, mit einem selbst gedrehten Video. Auf einer riesigen Leinwand sah man sie Ballett tanzen, beim Wochenendausflug oder im Fitnessstudio. Dann waren die Männer an der Reihe. Unter den kritischen Blicken der zwölf Frauen kamen sie einzeln auf die Bühne. Jeder stellte sein Talent zur Schau. Einer tanzte Salsa, ein anderer sang einen Ed-Sheeran-Song, ein dritter zeigte traditionelle Kampfkunst.

Die Frauen durften entscheiden: Gefiel ihnen ein Mann, hoben sie eine grüne Karte. Gab es mehr als eine Bewerberin, kamen weiße Karten zum Einsatz. Maximal drei konnten diese zeigen, je nachdem, wie groß ihr Interesse war. Waren dann immer noch mehrere Kandidatinnen im Rennen, entschied der Mann. Und hatte sich schließlich ein Paar gefunden, folgte immer die gleiche Prozedur: Die Kandidaten nahmen sich an der Hand und traten nach vorn auf die Bühne. Eine schüchterne Verbeugung, Jubel im Publikum. Auf der Leinwand im Hintergrund funkelte ein riesiges Herz.

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Vier Stunden dauerte die Show an diesem Samstag, 400 Menschen saßen im Saal. Hin und wieder stand ein Zuschauer auf und bat, sich auch vorstellen zu dürfen. Singles hatten am Eingang einen Stempel auf das Handgelenk bekommen, für die Party danach. Nicht nur die, die auf der Bühne saßen, waren auf der Suche.

"Ich hatte Glück", sagt Qi. Gleich mit dem ersten Kandidaten hat es geklappt. Sie fand ihn gut, hob die grüne Karte, unter vier Frauen entschied er sich für sie. Beim ersten Treffen gingen sie essen. Auch er hat Mathematik studiert, sogar einen Doktortitel hat er - ein guter Fang. "Es war schön", sagt Qi und lächelt. Ein wenig zurückhaltend wirkt das, so ganz sicher ist sie sich offenbar noch nicht, was aus der Sache wird. Demnächst machen die beiden einen Ausflug, sie gehen wandern in den Bergen.

Qi ist 31 Jahre alt, sie hat an der Technischen Universität Finanzmathematik studiert, dafür ist sie aus Shanghai nach Deutschland gezogen. In China läge sie damit schon hinter dem Plan zurück. "Mit 18 studiert man, mit 25 hat man einen Freund, mit 27 am besten schon ein Kind", sagt Lu, die Qi gegenüber sitzt. "30 ist eigentlich zu spät zum Heiraten." Die 35-Jährige gehört zum Vorstand des Chinesischen Vereins, sie hat die Show mitgeplant. Der Verein organisiert viele Veranstaltungen, Essen, Ausflüge, Infoabende. Auch Deutsche seien willkommen, sagt Lu. "Wir wollen eine Brücke sein." Sie ist in Luoyang aufgewachsen, in der Provinz Henan. Auch sie ist für ihr Informatikstudium nach Deutschland gekommen. Lu hat seit zehn Jahren einen deutschen Freund. Damit ist sie eine Ausnahme.

"Deutsche leben in der Gegenwart, Chinesen denken an die Zukunft." Die einen genießen das Leben, die anderen planen. So beschreibt Lu ihren Eindruck. Bestimmte Aufgaben für bestimmte Lebensabschnitte. "Denkst du nicht zu viel?", fragt ihr Freund sie manchmal.

"Die Familienbande in China sind sehr eng. Man macht sich nicht so unabhängig voneinander", sagt Lu. Dass die Eltern deutscher Freunde Wohnungen für sie kaufen und dann Miete dafür verlangen, kommt ihr komisch vor. Chinesische Eltern würden so etwas nie tun. Die Familie steht über allem. Chinesen lebten mehr für die Gemeinschaft, sagt Bing, die auch zum Chinesischen Verein gehört. "Sie sind nicht so individuell wie die Deutschen." Dass jemand heraussticht, ist nicht gern gesehen. In der Schule wird Uniform getragen, getönte Haare, Schminke und Nagellack sind verboten.

Es ist schwer einen Mann zu finden

Bing, 27, ist in der Provinz Jiangsu aufgewachsen. Auch sie hat in Deutschland studiert, an der Uni Marburg. Bing sitzt neben Qi im Café am Platzl, die Fingernägel sind rot lackiert, sie trägt pinkfarbenen Lippenstift, die langen Haare offen. Marburg sei so klein gewesen, sagt sie, es habe wenige Studenten gegeben, noch weniger Chinesen, und von denen seien auch noch die meisten Frauen gewesen. "Es ist schon schwer, dort einen Mann zu finden."

Gerade einmal 402 Studenten aus China zählt die Statistik der Marburger Universität für das Sommersemester, 280 Frauen, 122 Männer. So kam Bing auf die Idee mit der Dating-Show. "Find the missing piece", damit sich junge Chinesen finden. In Marburg fand die erste statt, im vergangenen Jahr war Premiere in München. Die meisten Teilnehmer kamen aus der direkten Umgebung. In diesem Jahr sind sie vom Bodensee, aus Kassel und Thüringen angereist. Die Nachfrage war gewaltig.

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Als hätten junge Chinesen in ganz Deutschland nur auf eine solche Veranstaltung gewartet. Vor allem Frauen wie Qi, gebildet, selbstbewusst. Und zielstrebig. "Die Chancen, jemanden zu finden, erhöhen sich mit so einer Show einfach. Für mich ist vorher sicher, dass die Kandidaten ein gutes Profil haben." So wählen die Organisatoren sie auch aus: Die Profile der Teilnehmer sollen zueinander passen, damit sich wahrscheinlich auch Paare finden. Qi hat viele deutsche Kollegen, die Single sind. "Ich will aber jemanden aus China heiraten," sagt sie. Ihre Eltern hoffen darauf. Was sie wollen, ist Qi wichtig.

Bevor Bing damals ins Flugzeug Richtung Deutschland stieg, sagten ihre Eltern: "Du heiratest keinen Deutschen." So kam es dann auch. Ihren Mann hat sie an der Uni in Marburg kennengelernt, auf einer chinesischen Studentenparty. Eineinhalb Jahre waren sie ein Paar, dann heirateten sie. Bei Lu ist das anders: Wenn ihre Eltern zu Besuch sind und den deutschen Freund treffen, verständigen sie sich mit Händen und Füßen. Irgendwie funktioniert es. Qi hat mit ihren Eltern noch nie darüber gesprochen, dass ein deutscher Mann eine Möglichkeit sein könnte. Bisher gab es dazu keinen Anlass. Und wenn doch? "Es könnte schon schwer werden", sagt sie und schlingt die Hände um ihre Knie. Aber genau deshalb hat sie sich ja auf die Bühne gesetzt im Bürgerhaus von Unterföhring.

© SZ vom 06.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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