Neuer Protest der "Letzten Generation":Ohne Klebstoff, aber ungehorsam

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Protest mit Musik: Die Blasmusik-Band "Beat Protest" auf einer rollenden Fahrradbühne am Gärtnerplatz. (Foto: Robert Haas)

Die Klimaaktivisten radeln in einem Pulk zum Münchner Gärtnerplatz und beginnen dort mit einer unangemeldeten Versammlung - ohne sich festzukleben. Das kommt bei vielen gut an.

Von Nicole Graner

Auf der großen Bühne an der Feldherrnhalle ertönen zum St.-Patricks-Day am Samstagmittag die ersten Fiddle-Klänge. Auf einer rollenden Fahrradbühne in der Residenzstraße dagegen stimmt die Blasmusik-Band "Beat Protest" das Partisanenlied "Bella Ciao" an. Die kleine Bühne der "Letzten Generation" setzt sich in Bewegung, an die 90 Klimaschützer radeln mit. Es geht vom Odeonsplatz zum Gärtnerplatz.

Die "Letzte Generation" will eine neue Aufmerksamkeit. Eine Form des "dosierten Ungehorsams", wie sie sagen. Die Klimaaktivisten möchten sich nicht mehr auf die Straßen kleben, sondern die Menschen für ihre Forderung nach Klimaschutz auf andere Weise mitnehmen. Niederschwelliger. "So trauen sich sicher mehr Menschen, zu uns zu kommen und mitzumachen", hofft Ernst Hörmann von der Letzten Generation. Beim Kleben sei die Hemmschwelle einfach zu groß gewesen.

Der 74-Jährige, der von Anfang bei den Klebe-Blockaden dabei war, spricht nun von Weiterentwicklung. "Jetzt kennt man uns, jetzt treffen wir uns als ,Critical Mass' auf der Straße." Zum ersten Mal probieren die Klimaschützer ihre neue Form des Protests mit einer "ungehorsamen Versammlung" auf der Straße in München aus.

Klimaaktivist Ernst Hörmann hofft, dass sich ohne Kleben mehr Menschen trauen, bei der "Letzten Generation" mitzumachen. (Foto: Robert Haas)

Angemeldet haben die Klimaaktivisten den Zug nicht. Brauchten sie auch nicht, sagt Albert Augustin, 50, von der "Letzten Generation". Denn bei einer "Critical Mass", also einer unangekündigten Rad-Demo mit mindestens 16 Teilnehmern, sind diese laut Straßenverkehrsordnung erlaubt. Auch wenn die Polizei es nicht toll gefunden habe, wie er sagt. Sechs Polizei-Motorradfahrer begleiteten den Zug. Zum Schutz. Schließlich radelten auch Kinder auf der Straße mit oder Eltern mit Fahrradanhängern.

Auch Maiken Winter, ÖDP-Kreisrätin und seit 17 Jahren aktive Klimaschützerin, ist dabei. Sie ist froh, dass der Klebeprotest vorbei und niemand dabei "umgekommen" ist. Aber auch darüber, dass die "Letzte Generation" die Dringlichkeit des Klimaschutzes den Menschen so bewusst gemacht habe.

Dass die Aktivisten nicht mehr kleben, findet auch Passantin Ute Rosner-Grages gut. Die 75-Jährige unterstützt zwar ein "tätiges Engagement", aber die Frage sei ihrer Meinung doch, wie man mehr Leute für sein Ziel gewinnen könne. Mit der neuen Strategie könnte das eher gelingen. Das sieht auch eine junge Frau so, die mit ihren Freundinnen unterwegs ist. Sie macht am Bürgersteig von dem lustigen Fahrradgefährt mit der Plakataufschrift "Hand aufs Herz - Zeit für Gerechtigkeit" ein Foto. "Das ist deutlich besser als kleben", sagt sie.

Dass es die "Letzte Generation" ist, die da klingelnd protestiert, ist nicht jedem am Straßenrand gleich klar. Nicht jeder kennt das Logo der Klimaaktivisten auf dem Transparent: ein schwarzes Herz, rot eingekreist. Viele fragen, wer da die Straße entlang radelt. "Zum Glück kleben die nicht mehr", sagt ein Mann spontan, als er erfährt, wer diese Gruppe ist. "Radeln ist okay!".

Die Klimaschützer singen mit. Auch mal laut, je länger der Zug geht und vor allem je näher man an den Gärtnerplatz kommt, dem Ziel des Radlerpulks. Die Zufahrten sind von der Polizei gesperrt, Sicherheitskräfte stehen überall. 130 Menschen sind es dann laut Polizei auf dem Gärtnerplatz, wobei Protestierende auf dem Gehweg Teil einer angemeldeten Demonstration sind.

Nicht nur Mitglieder der "Letzten Generation" sind beim Radlprotest zu sehen. (Foto: Robert Haas)
Ein paar Runden mit dem Rad um den Gärtnerplatz - dann beginnt die "ungehorsame Versammlung" auf der Straße. (Foto: Robert Haas)

Die ankommenden Radler drehen mehrere Runden um den Gärtnerplatz. Und dann, mitten auf der Straße, beginnt die "ungehorsame Versammlung", die unter dem Motto "Weg von fossil, hin zu gerecht" steht. Mit Musik, Slogans, Reden. Von Ernst Hörmann zum Beispiel. Der für seine acht Enkel eine Welt erhalten will, die lebenswert ist. Der die Politik auffordert, Haltung zu zeigen, sich beim Klimaschutz nicht wegzuducken. Manche Passanten bleiben stehen, manche klatschen zur Musik mit. Ein 22-jähriger Student kann das nicht verstehen. "Ich finde die Angst, die die schüren, übertrieben." Er möchte seinen Lebensstandard nicht einschränken.

Andere Klimaschützer wie "Parents for Future" unterstützen die "ungehorsame Versammlung" der "Letzten Generation". Wie auch einige Ärzte und Ärztinnen. Klimaschutz sei auch Gesundheitsschutz, durch den Klimawandel gebe es viel mehr Viruserkrankungen, sagt Zahnärztin Sibylle Butz, 59.

Moritz Selinger ist mit seinem sechsjährigen Sohn Lino beim Rad-Corso mitgefahren. Im Kleinen etwas tun, damit fange es an, glaubt er. Zum Beispiel einfach nur damit, Vorbild zu sein. Für seinen Sohn. Ein Auto hat er erst gar nicht. "Es ist gut, wenn jetzt alle bei solchen Veranstaltungen der Klimaaktivisten mitmachen können." Kinder. Familien. Ältere Menschen.

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