Ganz am Ende hat Philipp Lahm dann doch noch einen großen Auftritt. Er geht zwei Schritte vor zum Bühnenrand, verharrt kerzengerade, beugt dann den Oberkörper durchgestreckt nach unten und lächelt. Bescheiden und souverän zugleich. So als hätte der Spieler des FC Bayern nicht nur hart auf dem Fußballplatz trainiert, sondern auch eine langjährige Ausbildung an der Münchner Otto-Falckenberg-Schule für Schauspiel absolviert. Es ist sein Moment, doch es ist so, als würde die Mannschaft von Philipp Lahm 0:5 hinten liegen und er durch einen Treffer das erste Tor für sein Team erzielen. Ein beeindruckender Spielzug zwar, der jedoch nichts daran ändert, dass die Partie völlig verkorkst verlaufen und hoch verloren ist. So wie der Dienstagabend im Volkstheater München.
Der 28-jährige Kapitän der Nationalmannschaft hat am Wochenende mit dem FC Bayern die Tabellenführung verloren, nun präsentiert er sein Buch Der feine Unterschied: Wie man heute Spitzenfußballer wird, das wegen einiger kritischer Äußerungen nach Erscheinen Ende August für viel Wirbel gesorgt hatte.
Die Devise von Lahm also: Buch statt immer nur Ball. Der Verteidiger möchte nun nicht mehr nur im Stadion, sondern auch auf der Bühne glänzen. Wie jedes seiner Spiele in der Allianz-Arena ist die Lesung ausverkauft. Natürlich tragen auch im Theatersaal zahlreiche Zuschauer roten Schal, haben ein Bayern-Trikot dabei. Nur gegrölt wird nicht. Schon gar nicht vor Lachen.
Denn Philipp Lahm hat mit Willy Astor einen Partner zur Seite bekommen, der zwar Kabarettist ist und die Vereinshymne "Stern des Südens" geschrieben hat, aber - um es vorsichtig zu formulieren - dem Abend nicht gerade guttut. Denn Astor drängt sich auf, sein Redeanteil beträgt während der 80-minütigen Veranstaltung zumindest gefühlt 80 Prozent. Lahm, wegen dem sich wohl alle eine Eintrittskarte gekauft haben, kommt zu kurz.
Das einzige humoristische Stilmittel, das Kabarettist Astor an diesem Abend einsetzt, ist der Kalauer. Als Lahm erzählt, dass er als Kind Bäcker werden wollte, fragt ihn Astor, ob er damals wusste, dass "die Semmeln vorher Teig-waren". Als es um eine Verletzung des Verteidigers geht, sagt er: "Da muss man in die Rehha-gel." Haha.
Als er eine Passage vorliest, in der das luxuriöse Mannschaftshotel während der Weltmeisterschaft 2006 beschrieben wird, dichtet er eine Passage dazu. Es habe dort alles gegeben, heißt es in dem Buch, Fitnessgeräte, Tennisplätze, Tischtennisplatten, ein beeindruckendes Buffet - und, so Astor: "Oliver Bierhoff hatte seine Pornosammlung dabei."
Lahm trinkt, während Astor redet, ein Glas Wasser nach dem anderen, dreht auf seinem Drehstuhl hin und her, antwortet hin und wieder höflich und lächelt freundlich. Er trägt ein weißes Hemd und darüber eine schwarze Strickweste, die derzeit in Mode sind.
Philipp Lahm, Nils Petersen und Sportdirektor Christian Nerlinger eröffnen den neuen Fanshop des FC-Bayern am Stachus - und legen einen fast perfekten Auftritt hin. Nur einmal geht der Vorhang auf, und ein kurzer Blick auf die Menschen hinter den PR-Profis ist möglich.
Nur wenige, kurze Passagen aus dem Buch werden vorgelesen - allerdings auch nicht von dem Fußballer, sondern wieder von Astor. Wie der junge Lahm das erste Mal mit der Nationalmannschaft trainierte und überrascht war, wie locker es unter der Regie von Rudi Völler zuging, oder wie er Angst bekam, als eines Tages plötzlich ein fremder Mann vor seiner Wohnungstür stand und ihm eine Liebeserklärung machte. Alle Passagen sind inzwischen längst bekannt aus Funk und Fernsehen.
Gelegentlich gelingt es Lahm auch, Astor für einen Moment zum Schweigen zu bringen, um etwas zu erzählen. Dass er einen Snookertisch daheim in seiner Wohnung hat. Dass er aus Selbstschutz nicht alle Zeitungsartikel mehr liest, die über ihn geschrieben werden. Dass die rasante Verbreitung der Handys mit Fotokamera bei ihm auf nicht allzu große Begeisterung trifft. Doch über ein wenig sagendes Interview mit einem Fußballer, wie es täglich im Fernsehen zu sehen ist, geht das Geplänkel auf der Bühne nicht hinaus.
Eigentlich war Christoph Süß für den Abend vorgesehen, der als Moderator der frischen und frechen BR-Sendung quer überzeugt. Warum nun plötzlich Astor auf der Bühne steht, wird nicht bekanntgegeben. Und noch mehr bleibt an diesem Abend im Dunkeln: Der erste Termin der Lesung war eigentlich für Ende September angesetzt. Die Karten waren schon alle verkauft, doch dann wurde die Veranstaltung kurfristig einen Tag zuvor abgesagt. Offizielle Begründung: "Wegen des kurzen Abstands zwischen der Bundesligapartie gegen Bayer Leverkusen und dem Champions-League-Spiel gegen Manchester City." Die Ansetzung der Partien stand jedoch natürlich schon lange vorher fest. Wurde Lahm gedrängt, die Lesung zu verschieben? Es war jedenfalls die Zeit, als die Diskussion um das Buch noch hitzig war.
Lahm ist natürlich nicht der erste Fußballer, der auf die Idee kommt, ein Buch zu schreiben. Uwe Seeler, Oliver Kahn oder Stefan Effenberg haben es ihm vorgemacht. Im Gegensatz zu manchen dieser Spieler, die eher peinliche Autobiographien herausgebracht haben, ist Lahm ein recht gutes Buch gelungen, das durchaus neue Erkenntnisse über den Profifußball bringt. Noch immer hält es sich in den Bestenlisten. Nur: An diesem Abend kam das einfach zu kurz.
Am Ende der Veranstaltung verabschiedet Astor den Spieler: "Alles Gute dir, Philipp, du bist ein sehr netter Mensch!" Als Erkenntnis für den Abend ist dies dann doch ein wenig dürftig, denn das haben die Zuschauer auch davor schon gewusst.
