Aufmerksame Drogeriemarkt-Shopperinnen kennen ihre Produkte schon seit fünf Jahren. Aus der umwerfenden Fülle der Shampoos, Conditioners und Stylingsprays stechen sie optisch heraus: schmale Flaschen mit farbkräftigem Blumendesign und einem runden Logo, auf dem mit handgeschrieben wirkenden schwarzen Versalien auf weißem Grund der Markenname steht: Langhaarmädchen. Wer etwas genauer hinsieht, erkennt oberhalb des Kreises die zwei kleinen Konsonanten von Deutschlands umsatzstärkster Drogeriemarktkette: dm. Hinter der Marke stecken zwei Frauen mit dunkelblonden, tatsächlich langen Haaren.
Es sind Ramona, genannt Mona, Mayr und Julia Schindelmann. Die eine ist 33, die andere 34 Jahre alt und seit Kurzem Mutter. Aus ihrer Mädchenzeit sind die beiden schon eine Weile raus. Aber Mädchen kann auch ein Synonym sein für einen bestimmten Frauentyp, den man meist im Verbund mit anderen antrifft: forever jung wirkend, emotional und sich immer wieder wortreich gegenseitig bestärkend.
Mayr und Schindelmann sind Friseurmeisterinnen und Stylistinnen, die einen exklusiven Deal mit dm eingegangen sind und so zu Unternehmerinnen wurden. Nun können sie sich zusätzlich als Autorinnen bezeichnen. In diesen Tagen erscheint ihr Buch (Malia Verlag), in dem sie erzählen, wie es zu all dem kam.
Noch bevor ihr Werk offiziell im Buchhandel zu haben ist, haben die beiden an einem Montagnachmittag zu einer sogenannten Launch-Party in den Münchner Langhaarmädchen-Salon geladen. Das Geschäft liegt in bester Schwabinger Altbaugegend, wo die Mietpreise so schwindelig machen wie drei Aperol Sprizz hintereinander. Große Fensterfronten, mattgrüne Sessel, Blumendeko und Traumfänger. Man tritt augenblicklich in eine eigene Welt. Die Gäste stehen dicht an dicht, es gibt Drinks, in denen Beerenfrüchte perlen. Zwischen all den Menschen schweben freundliche Mitarbeiterinnen, die aufmerksam den Mantel abnehmen, Getränke und ein Ansteckschild mit dem Vornamen anbieten. Sie tragen bodenlange Baumwollkleider mit weiten Röcken im Ethnomuster. So zieht man sich im Süden Europas für die Strandbar an, auf Mallorca etwa, wo Schindelmann inzwischen mit Mann und kleiner Tochter wohnt. Oder an den Hippie-Stränden im Norden Australiens, wo Mayr eine Auszeit vom Friseuralltag nahm. 2014 fuhr sie mit einem Bus durch das Land, als Schindelmann sie besuchte, entstand dort die Idee der Produktmarke Langhaarmädchen.
Die beiden, die an jenem Montag vor Spiegeln Platz genommen haben, zupfen an ihren Maxi-Outfits und immer wieder an ihren Haaren. Unentwegtes Lachen, viele Worte, Ankündigung von Tränen, die dann in den Augenwinkeln sitzen, aber doch nicht fließen. Sie seien nervös, sagen sie. Das wirkt ehrlich, nachvollziehbar - und weiblich. Was alles passiert ist, könne sie kaum fassen, sagt Schindelmann. "Wir Himbel-Bimbel vom Land." Sie stammt aus einem Ort in der Nähe von Würzburg. Kennengelernt haben sich die beiden als Kolleginnen bei einem Friseur in München.
Neben den Neu-Autorinnen sitzt phänotypisch passend Laura Malina Seiler, langes Haar, langer Umhang. Sie hat die beiden auf ihrem Weg begleitet. Die 36-Jährige ist Bloggerin, Coach und Autorin von Bestsellern wie "Zurück zu mir" oder "Schön, dass es dich gibt". In dem Vorwort des Buchs preist sie die Freundschaft zu Mayr und Schindelmann, deren Energie und Liebe, Spiritualität und Durchhaltevermögen. Zauberwörter von Vertretern der Generation Start-up, die nicht den Tech-Dax vor Augen haben, sondern eine Vorstellung, wie der Arbeitsalltag als eigener Boss aussehen kann. Im Laufe des Nachmittags lädt Seiler zu einer "Mut-Meditation". Mut, dieses Wort fällt wieder und wieder. "Mut ist das neue Schön", so heißt auch das Buch, nach einer Idee von Mayr.
Motivation für das Unternehmertum der beiden Frauen waren die Erfahrungen aus ihren früheren Jobs. Von manchen Arbeitsgebern fühlten sie sich ausgenutzt und zu wenig gesehen, schreiben sie. Der Selbstachtung geschadet hat wohl auch der geringe Lohn im Friseurhandwerk. Die Lust an Haaren und Frisuren aber ist ihnen geblieben. Auf der Schönheitsmesse Glow, für die dm sie 2017 als Stylistinnen buchte, begann die Zusammenarbeit mit dem Konzern. Ein Jahr später standen die ersten Produkte in den Regalen. 30 verschiedene sind es mittlerweile, in Deutschland und in der Schweiz produziert. Eng in Absprache mit den beiden Frauen, teilweise getestet in deren-Salon, erklärt eine Sprecherin aus der dm-Zentrale in Karlsruhe. Umsatzzahlen nennt sie keine. Sagt nur so viel: Die Marke entwickle sich sehr positiv.
"Du kannst an dir zweifeln und trotzdem unheimlich stark sein"
In Mayr und Schindelmanns Buch und im Salon stößt man auf jede Menge Motivationsbooster-Sätze. Beim Haarewaschen können die Kundinnen an der Deckendeko etwa lesen: "Du kannst an dir zweifeln und trotzdem unheimlich stark sein". So flirrt an jenem Montagnachmittag in Schwabing viel Macherinnen-Energie durch die Luft. Die Geschichte der Langhaarmädchen liest sich wie ein Märchen, das aber nicht mit einer Prinzenhochzeit endet. Vor der Tür des Salons steht ein auffällig großes, weißgrundiertes, im typischen Blumendesign dekoriertes Gefährt. Die Frauen haben den ehemaligen Schulbus aus den USA zum "Stylingbus" umgebaut. Sich und andere schön machen, von außen wie von innen, das lieben sie.