Interessenskonflikt:Wenn Baurecht Bäume fällt

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Die alte Linde im Jugendstilpark in Haar ist gefällt worden. (Foto: Gemeinde Haar)

In Unterschleißheim und Haar beklagen Naturschützer und Anwohner, dass zu oft den Interessen von Grundstücksbesitzern und Investoren nachgegeben werde. Mit Folgen für das Ortsklima.

Von Bernhard Lohr, Unterschleißheim/Haar

Hier geht es um eine 20 Meter hohe Eiche, dort um eine nicht minder mächtige Esche. Und in einem dritten Fall um eine Linde, die nach Überzeugung von Baumschützern und Nachbarn noch viele Jahrzehnte an ihrem Ort hätte stehen können. Doch bei allen drei Bäumen haben die Behörden trotz Widerstands eingewilligt, dass sie gefällt werden dürfen. Einmal mehr diskutiert man in Unterschleißheim und in Haar, wo eine - aus Sicht von Baumschützerin Carmen Gnann vitale - Linde im Jugendstilpark umgesägt worden ist, ob zu willfährig den Interessen von Privatleuten und Investoren nachgegeben wird. Die Sensibilität wächst. Wegen der fortdauernden baulichen Verdichtung im Raum München häufen sich die Konflikte.

Die Betroffenheit ist in Unterschleißheim bei den Grünen und der ÖDP im Stadtrat sowie auch beim Bund Naturschutz groß. BN-Vorsitzende Birgit Annecke-Patsch sagt, es zeige sich wieder einmal, dass trotz einer Baumschutzverordnung die Möglichkeiten gering seien, Bäume auf Privatgrund zu erhalten. Dabei habe jede Fällung Einfluss auf das Stadtklima. Stadtrat Tino Schlagintweit (Grüne) warnt, die Stadt verliere beim Klimaschutz an Glaubwürdigkeit, wenn sie nicht konsequenter vermeidbare Fällungen verhindere.

Dabei wird um einzelne Bäume heute mit harten Bandagen gekämpft. Gutachten werden formuliert und Gerichtsurteile herangezogen. Es geht oft um Bauangelegenheiten und viel Geld. Wobei kein Fall dem anderen gleicht. Einen drastischen Fall von Baumfrevel beklagt der BN auf einem Privatgrundstück in Lohhof. Das Rathaus bestätigt, dass dort eine Esche durch sogenanntes Ringeln gezielt geschädigt worden ist. Die Rinde wurde am Stamm rundherum eingeritzt, sodass der Baum abstirbt und nicht mehr standsicher ist. Man habe schließlich eine Fällgenehmigung erteilen müssen.

Darf umgesägt werden: eine Eiche an der Föhrenstraße in Unterschleißheim. (Foto: privat/Tino Schlagintweit)

Auch eine Eiche an der Föhrenstraße darf umgesägt werden. Der Bauausschuss hat das gegen die Stimmen von Grünen und ÖDP gebilligt. Laut einem Gutachter würden Wurzeln und Krone durch den Bau des geplanten Doppelhauses geschädigt. Tino Schlagintweit drang mit der Forderung nicht durch, das Haus 1,20 Meter versetzt zu bauen. Sein Vorwurf: Die Stadt mache es dem Investor zu leicht. Dieser habe schon mit seinen bisherigen Fällungen auf dem Grundstück gezeigt, dass ihm wenig an Bäumen liege. Gedeckt ist das Vorgehen durch ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs. Dieser entschied im Oktober 2018, dass Baumschutz grundsätzlich hinter einem gegebenen Baurecht zurücktreten müsse.

Die Frage, ob große, ausgreifende Bäume noch genügend Platz haben in den verdichteten Kommunen rund um München, stellt sich vielerorts. Andreas Nemetz, Umweltreferent der Gemeinde Haar, kennt das Problem aus dem noch relativ weitläufigen Jugendstilpark, wo wegen Bauvorhaben alte Bäume geplanten Tiefgaragen oder Zufahrten für die Feuerwehr zum Opfer fallen. Im aktuellen Fall einer Linde, der unter Anwohnern und Naturfreunden große Entrüstung ausgelöst hat, geht es aber nicht einmal um einen Neubau. Carmen Gnann, eine von ihnen, spricht von einem der ältesten Bäume im Umfeld. Der Baum sei in der Krone grün, gesund und laut Bebauungsplan zu erhalten, die Fällung im Interesse des Investors.

Umweltreferent Nemetz bestreitet ein Fehlverhalten: "Aus meiner Sicht hat das absolut seine Richtigkeit." Es habe einen Fällantrag gegeben, dieser sei nach Prüfung genehmigt worden. Der Baum sei wegen seines Standorts nahe einem Gebäude am Absterben. Dass Bäume in der Münchner Schotterebene hundert Jahre oder älter werden könnten, sei ein Trugschluss. Der Boden sei unter einer dünnen Humusschicht karg und trocken. Auch konkurrierten die Bäume innerorts mit Versorgungsleistungen und anderem.

Der BN in Unterschleißheim bestätigt dies. Laut Annecke-Patsch ist es nicht leicht, in der Stadt überhaupt Orte für Ersatzpflanzungen zu finden. Darum müsse man um jeden Baum ringen und vorausschauend agieren. Beim geplanten Baugebiet in Lohhof-Süd müsse unbedingt vor Planungen eine Bestandserhebung erfolgen. Schlagintweit sieht jetzt die Quittung für kurzfristiges Denken in der Bauleitplanung in der Vergangenheit. Natur in der Stadt habe lange keine angemessene Beachtung gefunden.

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