Debattenkultur:Der kleine Populist in uns

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Respektvolle Diskussionsrunde: Andreas Bayerle, Dietmar Holzapfel, Birgit Boeser und Christine Himmelberg (von links) auf der Bühne im Kultur- und Kongresszentrum. (Foto: Claus Schunk)

Bei einer Podiumsdiskussion in Taufkirchen versuchen die Teilnehmer den Grund für den wachsenden Hass in der Gesellschaft zu ergründen - und schlagen durchaus selbstkritische Töne an.

Von Hannah Wilholt, Taufkirchen

"Da ist irgendetwas nicht mehr so ganz im Lot", stellt Birgit Boeser fest. Die Leiterin der Europäischen Akademie Bayern fungierte am Mittwoch in Taufkirchen als Moderatorin für eine Podiumsdiskussion mit dem Thema "No Hate", was übersetzt "Kein Hass" bedeutet. Über den Verfall der Debattenkultur und den immer präsenter werdenden Hass tauschen sich im Kultur- und Kongresszentrum die am Ort wohnende SPD-Landtagskandidatin Christine Himmelberg und Taufkirchens Sozialreferent Andreas Bayerle mit Dietmar Holzapfel aus, dem Besitzer der Deutschen Eiche, eines Treffpunkts der Münchner Schwulenszene.

Die Diskussion ist Teil der gemeindeweiten Aktionsreihe, die von einem Kunstwerk inspiriert wurde, das einen sieben Meter langen und ein Meter hohen Schriftzug bildet. Die stählernen auf dem Kopf stehenden Buchstaben, die den Spruch "No Hate" formen, wurden von 71 Künstlerinnen und Künstlern aus Österreich und Deutschland gestaltet und ziehen nun durch die Lande. Bis zum 2. Juli ist das Kunstwerk noch an verschiedenen Orten in Taufkirchen zu sehen, verschiedene Projekte sollen helfen, die großen Worte in Taten umzusetzen.

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Am Mittwoch bleibt es aber erstmal bei Worten und dem Versuch, den Hass zu verstehen und Lösungen zu finden. In der Gesellschaft scheint es riesige Differenzen zu geben. Während zum einen immer neue tolerante Räume geschaffen werden, wächst laut Birgit Boeser zum anderen "gleichzeitig dazu eine Kultur der Intoleranz", in der immer wieder der Satz falle: "Man wird ja wohl noch..." Christine Himmelberg, die sich selbst als Teil der queeren Szene versteht und gender-inklusive Sprache verwendet, meint, dass Leute sich beschnitten fühlen, wenn sie Wörter nicht mehr sagen "dürfen", dabei aber gar nicht erkennen, dass das Weglassen dieser Wörter "Leute mitnimmt, die vorher am Rand standen".

Dietmar Holzapfel ist Besitzer der Deutschen Eiche, die ein Treffpunkt der Münchner Schwulenszene ist. (Foto: Claus Schunk)

Dietmar Holzapfel hingegen findet Sprachdebatten eher nervig und denkt an die in jüngster Zeit so oft beschriebenen "normalen Leute", die dabei nicht mehr mitkommen - hierfür wird er später von einem Politikwissenschaft-Studenten aus dem Publikum gerügt und schwenkt auf das Wort "durchschnittlich" um.

Auch bei der Diskussion um den Ausschluss der CSU vom Christopher-Street-Day, aufgrund der Anfeindungen aus der Partei gegenüber den Teilnehmenden der Drag-Lesung in einer Münchner Bibliothek, sind sich Himmelberg und Holzapfel uneinig. Der Restaurantbesitzer sagt: "Ich kann nicht gegen Ausgrenzung kämpfen und dann selber ausgrenzen." Die SPD-Landtagskandidatin dagegen findet, dass die CSU sich nach ihren Aussagen nicht wundern muss, von der "größten Party" der Szene ausgeladen zu werden.

Während diese Debatten in der Öffentlichkeit vor Hass nur so triefen, geht die Podiumsdiskussion in Taufkirchen mit Respekt und Empathie über die Bühne. Um diese Werte in der Streitkultur wieder zu etablieren, soll man das Missionieren zurückstellen und Begegnungen schaffen, sagt Andreas Bayerle. "Wenn man sich kennt und wenn man sich trifft", sagt er, falle der Hass weg. Der Sozialreferent erklärt, dass in Taufkirchen die Asylpolitik ein großes Hass-Potenzial biete. Nach eigenen Angaben versuchen er und sein Team im Rathaus, mit den Menschen in Kontakt zu treten und die Sorgen und Ängste, die oft Auslöser des Hasses sind, zu verstehen. Diese hätten sich oft schon lange angestaut, denn: "Hass ist nichts Spontanes."

Gleichzeitig sollte auf beiden Seiten die Offenheit herrschen, dass der eigene Standpunkt falsch sein könnte und jeder einen eigenen kleinen Populisten in sich hat, der reflektiert werden muss, sagt Himmelberg. Eine Grenze zieht Himmelberg jedoch zu Menschen, die Verschwörungsmythen anhängen: "Wenn wir nicht über dieselben Fakten reden, dann haben wir nicht verschiedene Meinungen, sondern Realitäten."

Auch die AfD schließen alle auf dem Podium als konstruktiven Gesprächspartner aus. Himmelberg schätzt sich nach eigenen Worten glücklich, dass sie noch nie mit Abgeordneten der rechten Partei zusammenarbeiten musste, plädiert aber für Vorsicht beim Einbinden der AfD. Sie sei eben als eine Protestpartei nicht an Problemlösungen interessiert und "jede Bühne, die man ihnen bietet, legitimiert diese Partei".

Andreas Bayerle ist Sozialreferent im Taufkirchner Rathaus. (Foto: Claus Schunk)

Eine andere Strategie wirft die Moderatorin in den Raum: "Ihnen Fragen stellen zu Themen, von denen sie keine Ahnung haben. Das sind ja ziemlich viele." Zwischen den Abgeordneten und den Wählerinnen und Wählern der AfD wollen die drei auf dem Podium unterscheiden. Mit letzteren müsse man "den Dialog wiederfinden", sagt Sozialreferent Bayerle.

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