SZ-Adventskalender:Heiligabend im Heim

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Andreas Hüner und Ann-Katrin Lutschewitz leiten das Kinderheim in Feldkirchen. (Foto: Sebastian Gabriel)

Ansteckungsgefahr und Corona-Regeln beeinträchtigen den Alltag in den Wohngruppen der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe massiv. Die Betreuer wollen den Jungen und Mädchen dennoch ein schönes Weihnachtsfest bescheren.

Von Anna-Maria Salmen, Feldkirchen

Das hohe Treppenhaus ist mit Tannenzweigen geschmückt, auf einem Absatz steht eine große Krippe. Oben zieren bunte Kugeln einen Christbaum. Betritt man eine der beiden Wohngruppen in der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe in Feldkirchen, setzt sich die weihnachtliche Stimmung fort: Auf einer Kommode sind kleine glitzernde Figuren neben einer Schneekugel aufgereiht - inmitten der festlichen Dekoration allerdings sticht eine rote Flasche mit Desinfektionsmittel ins Auge.

Auffällig ist auch die Ruhe an diesem Montagvormittag. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtung sind in der Schule - dass das möglich ist, ist eine enorme Erleichterung, wie Andreas Hüner berichtet. Seit Anfang des Jahres leitet er die Kinder- und Jugendhilfe der Diakonie München und Oberbayern, die bereits im Jahr 1853 gegründet wurde und damit eine der ältesten Einrichtungen ihrer Art ist. Die ersten Monate der Pandemie erlebte Hüner noch als Stellvertreter des langjährigen Leiters Achim Weiss. "Vor allem die Anfangszeit war schwierig, es gab viele Unsicherheiten."

Die Schulschließungen etwa hätten die Einrichtung vor bisher unbekannte Herausforderungen gestellt. Nicht nur die technische Ausstattung sei mehr als mangelhaft gewesen und konnte erst mithilfe von Spenden verbessert werden, auch die Betreuung der Kinder und Jugendlichen an den Vormittagen habe viel Planung erfordert. "Die Vormittagsbetreuung ist eigentlich nicht vorgesehen, weil die Kinder da normalerweise in der Schule sind", sagt Hüner.

Besonders der erste Lockdown sei hart für die Kinder und Jugendlichen gewesen: Im Frühjahr 2020 durften sie nicht einmal ihre Eltern besuchen. "Das wurde damals nicht als triftiger Grund gesehen, der ja nötig war, um das Haus zu verlassen", erzählt Hüner, der für diese Regel kein Verständnis aufbringt. "Kinder haben ein Recht auf ihre Eltern. Das ist unveräußerlich." Die Betreuer hätten versucht, dennoch den Kontakt zu den Eltern herzustellen, etwa digital per Videotelefonat. Mehrere Monate mussten die Kinder und Jugendlichen aber in den Räumlichkeiten der Einrichtung bleiben.

Einige der Kinder und Jugendlichen leben aufgrund von Bindungs- oder Entwicklungsstörungen in den heilpädagogischen Wohngruppen. Manche haben aufgrund von Konflikten in der Familie nie gelernt, Vertrauen aufzubauen, haben sprachliche Probleme oder Schwierigkeiten in der Schule. Was macht es mit solchen Kindern, wenn sie über einen so langen Zeitraum kaum nach draußen dürfen? Gerade für Kinder mit seelischen Behinderungen seien die Schließungen schwierig gewesen, berichtet Ann-Kathrin Luschewitz, stellvertretende Gesamtleiterin der Einrichtung.

"Da hatten es Einzelkinder vielleicht sogar schwieriger."

Insgesamt aber konnten die Betreuer und Pädagogen laut Hüner viel aufgefangen. "Sie können mit Spannungen umgehen, die durch einen Lockdown entstehen können, und zeigen Lösungsstrategien auf." Zudem hätten die Kinder und Jugendlichen selbst im härtesten Lockdown noch ihre Mitbewohner gehabt. "Da hatten es Einzelkinder vielleicht sogar schwieriger, die die Probleme alleine und ohne Begleitung von pädagogischen Fachkräften erlebt haben", meint Hüner.

Vieles ist im Laufe der knapp zwei Jahre andauernden Pandemie besser geworden. Es gibt Masken und Schutzausrüstung für Personal und Bewohner, seit einiger Zeit geben auch regelmäßige Tests zusätzliche Sicherheit, wie Luschewitz sagt. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen lassen sich Infektionen und Quarantänefälle nicht ganz vermeiden.

Die Kinder und Jugendlichen leben in Wohngruppen. (Foto: Sebastian Gabriel)

Die Wohngruppen der Einrichtung gelten dann als Hausstand. "Da läuft es so normal wie möglich weiter", erzählt Hüner. Mit guter Organisation könne man versuchen, infizierte und gesunde Kinder und Jugendliche auf Abstand zu halten, beispielsweise, indem man Essens- und Hausaufgabenzeiten aufteilt. Dennoch kam es immer wieder dazu, dass die Erkrankung innerhalb der Wohngruppe weitergegeben wurde. "Wir können die Kinder ja nicht zwei Wochen lang aufs Zimmer sperren", sagt Hüner.

Der Umgang mit einer Infektion sei immer auch abhängig vom Alter der Bewohner: Die Älteren verstünden die Situation besser und isolierten sich teils selbst, "aber kleine Kinder haben ein Bedürfnis nach Nähe und halten nicht immer Abstand". Einen großen Vorteil hat die Einrichtung laut Hüner aber: Kinder sind keine vulnerable Gruppe. Die Infektionen in der Feldkirchner Kinder- und Jugendhilfe sind nach Angaben des Leiters immer mild verlaufen.

Eine große Rolle spielen bei Infektionsfällen die Ängste und Bedenken der Mitarbeiter, wie Luschewitz erzählt. In Gruppen mit erkrankten Kindern kamen die Pädagogen in Schutzkleidung, in mobiler Quarantäne pendelten sie zwischen Einrichtung und Wohnort. "Für viele, die zuhause eine Familie haben, war die Organisation schwierig. Sie hatten Sorgen, möglicherweise daheim jemanden anzustecken." Die Einrichtungsleiter engagierten sich daher eigenen Worten zufolge, den Betreuern trotz allem ein sicheres Gefühl zu geben, sei es durch Schutzkleidung oder Impfangebote.

Ob die Kinder und Jugendlichen geimpft werden, sei freie Entscheidung der Sorgerechtspflichtigen, sagt Hüner. "Wir geben da keine Empfehlung, das muss jeder selbst mit dem Kinderarzt besprechen." Die Einrichtungsleiter und ihre Mitarbeiter berieten die Eltern lediglich dazu, wo sie Informationen zum Thema Impfung erhalten. "Manche Eltern sind gern bereit, ihre Kinder impfen zu lassen, andere haben Bedenken. Das ist bei uns genauso wie in der Gesamtgesellschaft."

In der aktuellen Welle dürfen die Kinder und Jugendlichen zwar weitestgehend normal Freunde und Eltern außerhalb der Einrichtung treffen. "Uns beschäftigt trotzdem, was wir jetzt in der Weihnachtszeit noch an Aktivitäten machen können", erzählt Luschewitz. Früher habe man gerade in den Ferien viel unternommen, was nun nicht mehr so einfach möglich ist, beispielsweise der Besuch einer Trampolinhalle.

Auch der Adventsbasar, an dem die Kinder in der Einrichtung Gebasteltes und Plätzchen normalerweise verkaufen, findet nicht statt. Dennoch versuche man, Alternativen zu finden und den Kindern und Jugendlichen eine schöne Weihnachtszeit zu ermöglichen. Gebastelt und gebacken wird trotzdem, die Räumlichkeiten werden festlich dekoriert, sagt Hüner. "Einige sind an Heiligabend in der Einrichtung. Das wird immer schön gefeiert und ist ein Highlight für alle." Die Kinder- und Jugendhilfe sei immerhin ein Zuhause auf Zeit. "Das wollen wir gemeinsam mit den Bewohnern auch so schön wie möglich gestalten." Weil das natürlich alles Geld kostet, würden sich Hüner und sein Team über Spenden des SZ-Adventskalenders freuen.

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