Straßennamen:Haar ehrt Opfer des NS-Mordprogramms

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Edith Hecht (hier mit ihrer Mutter Betty) wurde in Haar ermordet. Nach ihr heißt künftig eine Straße im Jugendstilpark. (Foto: Privat)

Eine Straße auf dem einstigen Klinik-Areal in Haar soll an Edith Hecht erinnern, die 1944 als 13-Jährige dort getötet wurde. Die nach einem belasteten Arzt benannte Von-Braunmühl-Straße heißt künftig nach dem von den Nazis vertriebenen Neurologen Max Isserlin.

Von Bernhard Lohr, Haar

Die Von-Braunmühl-Straße in Haar wird umbenannt. Das hat der Gemeinderat einstimmig beschlossen. Er folgte einem Antrag des Bezirks Oberbayern. Neuere Forschungen schreiben Anton Edler von Braunmühl, der von 1945 bis 1957 die größte psychiatrische Einrichtung Bayerns in Eglfing-Haar leitete, eine Verantwortung für die Ermordung von Patienten während der NS-Zeit zu. Die Straße heißt künftig nach dem Neurologen Max Isserlin. Stellvertretend für Tausende, die dem sogenannten Euthanasie-Programm zum Opfer fielen, wird zudem eine Straße nach Edith Hecht benannt. An dieser soll eine Kindertagesstätte errichtet werden.

Anton Edler von Braunmühl (1901-1957) galt lange als Koryphäe seiner Zunft, weil er mit seiner Insulin- und seiner Elektrokrampftherapie neue Wege beschritt. Er arbeitete in führender Position schon während der NS-Zeit in Eglfing-Haar, von wo im Zuge des "Euthanasie"-Programms 2000 Menschen in Tötungsanstalten gebracht wurden und wo Hunderte in Hungerhäusern und unter Beigabe von Medikamenten starben. Dennoch galt Braunmühl lange als unbescholten. Die Straße in Haar wurde erst 1976 nach ihm benannt.

Die Von-Braunmühl-Straße, an der gerade eine Dependance der Heckscher-Klinik entsteht, wird nach dem Neurologen Max Isserling benannt. (Foto: Claus Schunk)

Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) lobte am Dienstag die neue Offenheit auf Seiten des Bezirks und des Klinikums, "Verantwortung zu übernehmen für die Taten, die in den Jahren 1933 bis 1945 geschehen sind". Dazu trugen Erkenntnisse bei, die Historiker zutage förderten. Eine Angehörigengruppe am NS-Dokumentationszentrum forschte dem Schicksal von Psychiatrie-Patienten in der NS-Zeit nach. Dabei rückte Braunmühl ins Bild, der viele Patienten als letzter behandelnder Arzt betreute, bei denen in Dokumenten "Vernachlässigung" und "Verhungern" als Todesursache aufgeführt ist. Das Gedenkbuch für die Münchner Opfer der nationalsozialistischen "Euthanasie"-Programms zählt Braunmühl zu den Ärzten, die Morde verschleierten und für Morde an Kindern und Erwachsenen verantwortlich zeichneten.

Aus Sicht des Bezirks taugt der Mediziner, der nach dem Krieg als Klinikchef Karriere machte, deshalb nicht als Vorbild. Der Anstoß, die Straße umzubenennen, ging von dem durch den Bezirk eingesetzten "Arbeitskreis Erinnerungskultur" unter Leitung des amtierenden Ärztlichen Direktors Peter Brieger aus. Müller sagte, man habe mit der Klinikleitung sehr gute Diskussionen geführt. Dabei richtete man ein besonderes Augenmerk darauf, einen unbescholtenen Mediziner als neuen Namensgeber zu finden. Max Isserlin (1879-1941) stand in enger Beziehung zu August Heckscher, dem Gründer der Heckscher-Klinik. Er überzeugte diesen, seine Klinik in München durch ein neuropsychiatrisches Kinder- und Jugendhaus zu erweitern. 1933 wurde Isserlin wegen seiner jüdischen Abstammung aus dem Staatsdienst entlassen. Er floh nach England. Die Heckscher-Klinik eröffnet im Frühjahr in Haar eine Einrichtung für schwerstbehinderte Kinder und Jugendliche. Diese wird dann an der Max-Isserlin-Straße im Areal des heutigen Isar-Amper-Klinikums liegen.

Ein weiteres Zeichen für Geschichtsbewusstsein setzt die Gemeinde nur ein paar Straßenzüge weiter. Ein Teil des früheren Klinikareals durchläuft einen gravierenden Wandel und wird nach dem Verkauf an Investoren zum Wohngebiet. Der Gemeinderat beschloss nun, eine Straße im südwestlichen Bereich des Jugendstilparks nach Edith Hecht zu benennen. Ein Kollege von Braunmühls, der Leiter der Kinderfachabteilung Gustav Eidam, verabreichte dem Mädchen gezielt Beruhigungsmittel, was zu einer Lungenentzündung führte. Edith Hecht starb mit 13 Jahren am 23. Dezember 1944.

Nicht ganz unumstritten war, ob die Edith-Hecht-Straße die passende Adresse für eine Kindertagesstätte ist. Bürgermeisterin Müller räumte ein, dass sie bei diesem Gedanken gezögert habe. Es sei für sie "ein langer Weg" gewesen zu dieser Entscheidung. Man wolle ja niemanden mit der Vergangenheit belasten. Aber: Sie sei jetzt überzeugt, dass ein offensiver Umgang mit dem Thema richtig sei. Bewusst solle in der Kindertagesstätte inklusiv mit Kindern gearbeitet werden. Der Gemeinderat trug die Namensgebungen einstimmig mit, wobei die CSU betonte, sie hätte lieber eine andere Straße nach Edith Hecht benannt.

Außerdem wird es im Jugendstilpark, wie schon früher beschlossen, einen Max-Mannheimer-Ring geben, benannt nach dem Holocaust-Überlebenden und Zeitzeugen Max Mannheimer, der bis zu seinem Tod 2016 in Haar lebte. Eine weitere Straße wird nach dem verstorbenen Altbürgermeister Willy Träutlein benannt. Die Namen Alte Gärtnerei, Am Handwerkerhof, Casinostraße und Apfelwiese erinnern an frühere Klinikzeiten.

© SZ vom 29.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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