Blutkrebs:Der Ostfriese in ihm

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Inzwischen ist die Registrierung durch eine Speichelprobe sehr einfach. Wie in Hohenlinden reichen dazu auch in Oberhaching Wattestäbchen. (Foto: Christian Endt)

Vor zehn Jahren erkrankte der damalige Zweite Bürgermeister von Oberhaching an Leukämie. Dank einer Stammzellenspende aus Norddeutschland wurde er wieder gesund. Seither hilft Johannes Ertl selbst Krebskranken: Am Samstag sucht er mit seiner Wählergemeinschaft zum zweiten Mal Spender.

Von Iris Hilberth, Oberhaching

Kommenden Monat feiert Johannes Ertl wieder Geburtstag. Zwar wird er erst im August 65 Jahre alt, doch seit zehn Jahren hat er allen Grund dazu, auch im Juni auf ein langes Leben anzustoßen. Denn im Jahr 2013 war der damalige Zweite Bürgermeister von Oberhaching an Leukämie erkrankt. Und am 20. Juni erhielt er eine Stammzellenspende von einem jungen Mann aus Norddeutschland, die ihn gerettet und wieder gesund gemacht hat. Seit diesem Frühsommer vor zehn Jahren ist der Oberbayer auch ein bisschen Ostfriese.

Und er ist es nicht nur vom Herzen und vom Gefühl her, weil er seinem genetischen Zwilling dankbar ist, dass der sich einst für die Spenderdatei registrieren ließ und, als es ernst wurde, auch umgehend seine Stammzellen zur Verfügung stellte. Tatsächlich hat Ertl seither die Blutgruppe des anderen und einen vollen Tetanusschutz, obwohl er selbst nie geimpft wurde. Die beiden kennen sich mittlerweile, denn zwei Jahre nach der Spende, wenn der Empfänger offiziell als genesen gilt, darf der Kontakt hergestellt werden. Gegenseitige Besuche hat es bereits gegeben.

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Man muss sich genetische Zwillinge nicht so vorstellen, dass sie sich äußerlich irgendwie gleichen. "Wir sind völlig verschieden", sagt Ertl. Der Spender aus Ostfriesland ist 41 Jahre alt, hat Dreadlocks und ist Veganer. Am kommenden Samstag, 13. Mai, wird der Hansi, wie sie ihn in Oberhaching nennen, seinen Retter wieder treffen, er hat ihn eingeladen zu einer Registrierungsaktion im Bürgersaal (11 bis 16 Uhr). Es ist das zweite Mal, dass er in seinem Heimatort zur Stammzellenspende aufruft und die Aktion gemeinsam mit der Wählergemeinschaft Oberhaching und der DKMS organisiert. "Ich möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben", sagt Ertl.

666 Leute haben sich beim ersten Mal in Oberhaching registrieren lassen, da hieß es noch Typisierungsaktion. Die Bezeichnung hat die DKMS - das Kürzel der gemeinnützigen Organisation, die potenzielle Spenderinnen und Spender registriert, steht für Deutsche Knochenmarkspenderdatei - geändert. Weil das doch sehr medizinisch klinge, sagt Ertl. Auch das Prozedere für diese Registrierung ist einfacher geworden. Einst war eine Blutabnahme notwendig, inzwischen reicht eine Speichelprobe, die mit einem Wattestäbchen genommen wird.

Hatte selbst Leukämie und hilft jetzt anderen Krebskranken: der Oberhachinger Johannes Ertl. (Foto: Claus Schunk)

Starker Schüttelfrost und rote Flecken an den Füßen waren die ersten Anzeichen im Jahr 2012, als Johannes Ertl merkte, dass er ernsthaft krank ist. Die Blutuntersuchung brachte Klarheit: Die Leukozyten waren deutlich erhöht. Blutkrebs. Bei Leukämie reifen die weißen Blutkörperchen nicht mehr, vermehren sich unkontrolliert, sind aber nicht funktionsfähig, sondern verdrängen im Verlauf der Erkrankung immer mehr die gesunden weißen sowie roten Blutzellen und die Blutplättchen. Johannes Ertl erklärt das so, wenn er gefragt wird: "Es ist wie bei der Feuerwehr. Das Auto mit den erfahrenen Feuerwehrleuten kann nicht rausfahren, weil draußen lauter Jugendliche rumstehen und alles blockieren."

Er bekam Chemotherapien, doch bald danach gab es die Erkenntnis: Eine Stammzellenspende ist die letzte Chance. "Ich dachte, mit Blutgruppe AB negativ, die ist so selten, finde ich nie jemanden", sagt Ertl. Heute weiß er, dass das mit der Blutgruppe gar nichts zu tun hat und der Empfänger sogar die Blutgruppe des Spenders übernimmt. "Es ist ein großer Zufall, dass es passt", weiß er. Für ihn gab es sogar zwei Treffer und damit zwei mögliche Spender. "Ein Sechser im Lotto", sagt er.

Es folgte eine Ganzkörperbestrahlung, 14 Tage lang jeweils eine Stunde. Dadurch wird das gesamte blutbildende System und das Immunsystem des Patienten zerstört. Nur so kann die Transplantation funktionieren und können die fremden Stammzellen des Spenders erfolgreich angenommen werden. Johannes Ertl weiß noch genau, wie er dort im Krankenhaus auf der Station lag, die er Mondstation nannte, weil alle Dinge steril in Plastik verpackt waren. Und wie dann die gespendeten Zellen per Infusion langsam in seine Venen tropften. Sein Arzt saß neben ihm, ein Italiener. Im Fernsehen lief Fußball, Confederations Cup 2013, ein Jahr vor der Weltmeisterschaft. Italien spielte gegen Japan und Italien gewann 4:3. Bei Johannes Ertl gewannen die gesunden "Leukos". Erst fünf, dann 110 und nach tausend Stunden schließlich 1500. Ein gutes Zeichen.

Mittlerweile haben bereits 13 Einwohner der Gemeinde Stammzellen gespendet

Insgesamt 13 Wochen lang war er damals im Krankenhaus, mit einer Pause, "in der ich nur Nudeln gegessen habe, weil ich 16 Kilo abgenommen hatte". Und in dieser Zeit reifte in ihm der Plan, sobald wie möglich eine Spendenaktion zusammen mit der DKMS in seiner Gemeinde zu organisieren, denn ihm war bewusst, welche Chancen diese Datei bietet. "Früher war diese Krankheit unheilbar", sagt er. Eine ehemalige Schulkameradin ist in jungen Jahren daran gestorben.

Von den Oberhachingern, die sich damals registrieren ließen, haben inzwischen 13 ihre Stammzellen gespendet. Darunter Ertls Schwiegersohn und Simon Sainer, mit dem er zusammen für die Wählergemeinschaft im Gemeinderat sitzt. Sainer stellte im vergangenen Jahr gleich zweimal seine Stammzellen zur Verfügung. Beim ersten Mal hatten sich bei seinem Empfänger nicht genügend funktionstüchtige Blutzellen gebildet. "Er brauchte noch mehr, einen Booster", sagt Sainer. Als er den Anruf erhielt, hieß es: Sofort am nächsten Tag zur Blutabnahme zum Hausarzt. Der 36-Jährige wurde nochmals komplett durchgecheckt, ob er als Spender in Frage kommt. Danach folgte die Gabe des Medikaments Granocyte, das die Produktion von Stammzellen ankurbelt. Gespritzt wird es wie Heparin, Nebenwirkungen sind leichte Schmerzen am Beckenkamm, Kopfweh, "schwache Grippesymptome", sagt Sainer.

Simon Sainer hat bereits zweimal Stammzellen gespendet. (Foto: Claus Schunk)

Die Spende selbst laufe ab wie eine Dialyse, eine Blutwäsche. An einem Arm fließt das Blut heraus, dann werden die Stammzellen herausgefiltert und das Blut läuft am anderen Arm wieder in den Körper hinein. Die erste Sitzung in Nürnberg dauerte zwei Stunden, die zweite ein halbes Jahr später dann fünf Stunden. "Ein bis zwei Tage danach hatte ich noch Kreuzschmerzen, nach drei bis vier Tagen ist alles wieder normal", sagt Sainer.

Viele Leute gingen davon aus, dass Knochenmark entnommen werde. "Aber das ist nicht so", betont er. In 90 Prozent aller Fälle laufe die Spende über das Blut. Nur bei wenigen, die das Medikament nicht vertragen, werden die Stammzellen am Beckenkamm entnommen.

Registrieren lassen können sich alle zwischen 17 und 55 Jahren. "Mund auf. Stäbchen rein. Spender sein!", wirbt die DKMS. In zehn Minuten sollte das erledigt sein, sagt Sainer. Die Altersgrenze wurde gezogen, weil ältere Stammzellen träger sind und sich nicht mehr so schnell teilen. Mitbringen sollte man am besten ein Smartphone, dann läuft alles digital über einen QR-Code. Auch Geldspenden sind willkommen, denn die Laborkosten der Registrierung liegen bei 40 Euro pro Person. 4000 Euro hat bereits die Kolping-Familie zur Verfügung gestellt. "Beim letzten Mal waren die Oberhachinger so spendenfreudig, dass mehr Geld für die DKMS zusammenkam, als wir für unsere eigene Aktion gebraucht hätten", sagt Johannes Ertl. Junge Leute sollten sich deshalb nicht von den Kosten abschrecken lassen. "Für die finanzieren wir das auf jeden Fall."

Die Registrierungsaktion der DKMS zusammen mit der Wählergemeinschaft Oberhaching (WGO) findet am Samstag, 13. Mai, von 11 bis 16 Uhr im Bürgersaal, Kybergstraße 2, in Oberhaching statt.

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