Architektur:Eine Kirche wie ein Bierzelt

Lesezeit: 3 min

Die Kirche kommt nüchtern daher und gleichzeitig massiv. (Foto: Catherina Hess)

Als St. Stefan vor 50 Jahren eingeweiht wurde, fremdelten viele Gräfelfinger mit dem Betonbau. Zum Jubiläum hat die Pfarrgemeinde ihren Frieden mit dem Gotteshaus gemacht.

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Gerade hatten die Gräfelfinger ihren Härtetest in der Konfrontation mit moderner Architektur in Form ihres neuen Rathauses bestanden, da kam die nächste gestalterische Herausforderung mit dem Neubau der katholischen Pfarrkirche St. Stefan auf sie zu. Das Rathaus wurde 1967 am oberen Ende der Bahnhofstraße fertiggestellt: ein sachlicher Betonbau im Stil des Brutalismus, von vielen Gräfelfingern anfangs nur "Betonklotz" oder "Bunker" genannt.

Vier Jahre später, 1971, wurde 600 Meter entfernt im Ortszentrum an der Bahnhofstraße die neue Pfarrkirche St. Stefan fertiggestellt: ein nicht weniger massiver Bau mit einem gigantischen Giebeldach, was dem Gotteshaus vereinzelt die Bezeichnung "Oktoberfestzelt" einhandelte. Oben Bunker, unten Bierzelt - das war die neue Zeit.

Das Rathaus steht inzwischen unter Denkmalschutz, die Kirche ist längst als gewohnter Ort der Zusammenkunft der Kirchengemeinde geschätzt. Am Sonntag, 7. November, feiert St. Stefan das 50. Weihejubiläum mit einem Festgottesdienst um 10 Uhr. Ein Anlass zurückzublicken.

Die Meinungen über die im Stil des damaligen Zeitgeistes errichtete Kirche St. Stefan gehen auseinander. (Foto: Catherina Hess)

Der Baustil der modernen Kirche war gar nicht so der große Aufreger in der Gemeinde, erinnert sich Klaus Heidenreich, damals Pfarrgemeinderatsvorsitzender. Es war eher die Tatsache, dass überhaupt eine neue Kirche gebaut werden sollte und dafür das alte Gotteshaus, die Herz-Jesu-Kirche, an selber Stelle abgerissen werden musste.

Die Herz-Jesu-Kirche gehörte zu den letzten, die noch in der Nazizeit gebaut worden waren, vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, erzählt Heidenreich. Die Bausubstanz war schlecht, ein Kirchturm wurde gar nicht mehr errichtet. Zudem war die Kirche zu klein für die damals wachsende Kirchengemeinde und der Pfarrer predigte noch in eher überholter Manier von einem hoch gelegenen Altar, der nur über eine Treppe zu erreichen war.

1967 wurde die Kirche fertiggestellt. (Foto: Catherina Hess)

Erst dachte man an Sanierung und Erweiterung der Kirche, dann erschien ein Abriss wirtschaftlich sinnvoller. Es kam zu "heftigen und bewegenden" Diskussionen im Pfarrgemeinderat, erinnert sich Heidenreich. Schließlich sollte unter Federführung der Erzdiözese doch neu gebaut werden. Ordinariatsrat Carl Theodor Horn plante die moderne Kirche, die vor allem einfach und schlicht sein sollte.

Schön schlicht oder einfach hässlich? (Foto: Catherina Hess)

Die neue Pfarrkirche von Gräfelfing war nur einer von zahlreichen Kirchenneubauten in dieser "Boomzeit", wie es im Ordinariat heißt. Es entstanden etliche Gotteshäuser und Pfarrzentren in der Erzdiözese im selben sparsamen Stil, etwa die Kirche St. Elisabeth in Planegg. Heidenreich erinnert sich an Busfahrten mit dem Pfarrgemeinderat durch das Umland, um den neuen Kirchenstil, dort wo er schon verwirklicht war, zu besichtigen.

Besuchern, die sich heute der Pfarrkirche nähern, wird vermutlich nicht gerade warm ums Herz beim Anblick des Gotteshauses. Die Kirche kommt nüchtern daher und gleichzeitig massiv. Klinkermauerwerk schließt einen quadratischen Kirchenraum ein, ein wuchtiges Giebeldach mit großen Dachüberständen spannt sich darüber auf wie ein großes Zeltdach. Der "Anklang an das Himmelszelt" war beabsichtigt, meint Heidenreich.

Die großen Giebelflächen sind zu beiden Seiten verglast, sie gaben seinerzeit den Blick in den Himmel frei, heute schauen Besucher ins bunte Herbstlaub der großgewachsenen Bäume vor der Kirche. Der fast 23 Meter hohe Glockenturm ist aus Sichtbeton und steht weitgehend losgelöst vor der Kirche auf dem Vorplatz.

"Das war der Zeitgeist."

"Das war der Zeitgeist", kommentiert Georg Pollok den Kirchenstil. Der inzwischen hochbetagte Gräfelfinger Architekt leitete damals mit Heidenreich den Pfarrgemeinderat und war Bauleiter des Kirchenbaus. Die Giebelhauskonstruktion war der typische Baustil der Einfamilienhäuser, erklärt er. Insofern sei die Kirche aus dem Kontext der Zeit entstanden. Der Zeitgeist war es auch, der den Altar in die Mitte des Kirchenraums rückte und ihn zum "Volksaltar" machte, so Pollok: Die Kirchenbesucher versammelten sich auf den schlichten grünen Holzbänken sitzend um den Altar, der aus Muschelkalk gefertigt ist.

So kühl die Kirche von außen wirkt, so überraschend wohlig ist es innen. Unter den tonroten Bodenplatten ist eine Fußbodenheizung verlegt. Gar heimelig wird es, wenn es draußen dunkel wird und das Licht innen angeht, dann reflektiert die abgehängte Holzdecke warmes Licht ins Kirchenschiff.

Die Schmucklosigkeit der Kirche machte den Gräfelfingern anfangs zu schaffen, keine Heiligenfiguren gab es, nicht mal ein Kreuz hinter dem Altar war vorgesehen. Das schafften Heidenreich und Pollok aber auf eigene Faust an. Pollok hatte auch Ideen, die Giebelfenster kunstvoll farbig gestalten zu lassen. Doch dafür hatte das Ordinariat kein Geld. Heute ist er froh, damals nicht eine Auseinandersetzung über Kunst angezettelt zu haben. Inzwischen hängt ein Kreuzweg in der Kirche, der die sonst weitgehend blanken Wände ziert.

Ob schlicht und einfach oder kalt und karg - es liegt im Auge des Betrachters. Pollok sieht in der Einfachheit der Kirche die "große Stärke". Er ist überzeugt, dass sakrale Gebäude grundsätzlich in der einfachsten Form gebaut werden sollten. Damit wäre St. Stefan auch heute noch zeitgemäß und wer will, findet die Kirche auch "zeitlos schön", so wie Pollok. Die Farbe muss eine lebendige Kirchengemeinde hineintragen.

© SZ vom 02.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Architektur
:Verliebt in Beton

Das preisgekrönte Gräfelfinger Rathaus, vor 50 Jahren von vielen Zeitgenossen als wuchtiger Bunker angesehen, wurde mit zahlreichen Details geplant.

Von Annette Jäger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: