Ständig fehlen irgendwo Kitaplätze, immer mehr Schulen werden gebaut, viele junge Familien ziehen in die 29 Gemeinden und Städte rund um München - der Landkreis gilt als sehr junge Region. Und doch darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch hier gut jeder fünfte Bewohner über 65 Jahre alt ist. Tendenz steigend. Der Landkreis hat schon früh seinen Blick auf die älteren Mitbürger gerichtet. Bereits 1979, als es noch keine gesetzliche Grundlage für Seniorenpolitik gab, verständigten die Kommunalpolitiker sich hier auf einen "Kreisseniorenplan", in den Neunzigerjahren gab es einen "Altenhilfeplan" und 2011 wurden die Bedarfe, Ziele und Maßnahmen schließlich in ein "Seniorenpolitisches Gesamtkonzept" gegossen, über deren Fortschreibung der Sozialausschuss des Kreises in dieser Woche berät.
Auch im Landkreis werden die Menschen immer älter. Nach Angaben des Bayerischen Landesamts für Statistik sind 19,5 Prozent der Landkreisbevölkerung über 65 (Stand 2018), bayernweit liegt die Zahl bei 20,4 und deutschlandweit bei 21,5 Prozent. Die Lebenserwartung für Männer liegt mit 81,2 Jahren im Landkreis München deutschlandweit am höchsten. Schon jetzt gibt es hier 71 312 Senioren, bis zum Jahr 2037 wird sich die Zahl der Generation 65 Plus nach Angaben des Landratsamts voraussichtlich um 30 Prozent erhöhen, auch weil die sogenannten Babyboomer, die geburtenstarken Jahrgänge der Fünfziger- und Sechzigerjahren, sich nach und nach dem Rentenalter nähern. "Das stellt Kommunal- und Kreisverwaltung, Vereine und Einrichtungen, aber auch die gesamte Gesellschaft vor gewisse Herausforderungen", schreibt Landrat Christoph Göbel (CSU) in der Statistikbroschüre "Auf einen Blick" des Landkreises, in der diesmal die Senioren im Mittelpunkt stehen.
Der Landkreis muss und kann eigene Prioritäten im Seniorenbereich setzen und Maßnahmen an die Bedürfnisse der Menschen in ihren Heimatorten anpassen, da es vom Gesetzgeber "nur geringe bis gar keine konkreten Vorgaben", gibt, wie es aus dem Landratsamt heißt. So basiert die Fortschreibung des Konzepts zwar auch auf dem Eckpunktepapier des bayerischen Sozialministeriums, das als Leitfaden für Kreise, Städte und Gemeinden gilt. Gleichzeitig hat der Landkreis aber auch Befragungen unter den Akteuren in der Seniorenarbeit, etwa Einrichtungen, Dienste und Verbände, durchgeführt sowie Informationen bei den 29 Kommunen über die aktuelle Situation eingeholt. Auch die ältere Bevölkerung selbst wurde in die Analyse einbezogen. Jeder Siebte über 65 Jahre wurde per Brief zu den Themen Beratung und Information, Mobilität und Infrastruktur, Wohnen, gesellschaftliche Teilhabe und Unterstützung im Alltag befragt. Von 10 000 versandten Fragebogen kamen 5221 zurück. Das des Landratsamt bezeichnet diese Quote als "enorm".
Einsamkeit und Armut werden häufig mit einer Angst vor dem Älterwerden verbunden. Und auch im reichen Landkreis München gibt es eine beträchtliche Anzahl an Senioren, die von diesen Risiken betroffen sind. Den Ergebnissen der Befragung zufolge sind zwar 75,8 Prozent zufrieden mit ihren sozialen Kontakten, 19,7 beurteilen diese nur mit "teils, teils" und 4,5 Prozent mit einem klaren "Nein". Es gibt viele fitte Rentner, von denen sich beachtliche 14 000 ehrenamtlich engagieren. Von einer Mobilitätseinschränkung hingegen sprechen acht Prozent, teilweise davon betroffen sind immerhin 21 Prozent. Der häufigste Grund dafür ist die Gesundheit (85 Prozent), 23,1 Prozent fühlen sich in ihrer Mobilität eingeschränkt, da sie kein Auto besitzen, fast zehn Prozent sehen in einem Mangel an Verkehrsangeboten den Grund und 6,6 Prozent geben die "fehlende Barrierefreiheit" an. Im Wohnumfeld sind es für mehr als Hälfte der Befragten fehlende öffentliche Toiletten, warum sie sich nicht aus dem Haus trauen. Auch der Mangel an Ruhemöglichkeiten sowie zu enge und zugeparkte Gehwege werden von mehr als einem Viertel der Teilnehmer angegeben.
Finanziell geht es den meisten Senioren im Landkreis gut, 59,6 Prozent geben an, "unabhängig" zu sein. 31,1 Prozent müssen "selten auf etwas verzichten", doch jeder Zehnte sagt, er könne sich "nur das Notwendigste leisten" oder ist sogar auf finanzielle Unterstützung (2,7 Prozent) angewiesen. Das Landratsamt geht davon aus, dass die Dunkelziffer noch höher liegt, weil Scham bedürftige Menschen davon abhalte, sich Hilfe zu suchen.
Oberstes Ziel des Seniorenpolitischen Gesamtkonzepts ist es, älteren Menschen ein selbstbestimmtes und ihren Bedürfnissen angepasstes Lebens insbesondere bei Versorgungs- und Pflegebedürftigkeit zu ermöglichen. Der Blick und die Ausrichtung liegt dabei verstärkt auf dem Grundsatz "Ambulant vor stationär", und damit auf dem Auf- und Ausbau der häuslichen Unterstützungsangebote. Im Landkreis wird fast die Hälfte der Pflegebedürftigen durch Angehörige versorgt. Auch sie müssen durch Kurzzeit- und Tagespflegeeinrichtungen entlastet werden. Der Bedarf ist hier groß, ein dringender Ausbau wurde von den Befragten empfohlen und soll im neuen Konzept aufgegriffen werden.