Landkreis München:Ein Ort sucht seinen Lebensretter

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Sekunden bevor ein Zug einen Jungen überfahren hätte, zieht ein Mann ihn von den Gleisen. Anschließend wird der Unbekannte sogar mit Anzeigen gesucht - jetzt ist er gefunden.

Von Christina Hertel, Sauerlach

Radiosender, Zeitungen, Magazine, Boulevardblätter - vom Donaukurier bis zur Bunten - sie alle haben vergangene Woche mehr oder weniger den gleichen Aufruf gestartet: Wer ist der Lebensretter, der vermisste Held, der Mitte Mai einen Jungen am Sauerlacher Bahnhof von den Gleisen zog - nur wenige Sekunden bevor ihn ein Zug überrollt hätte?

Jetzt hat sich er gemeldet: Er heißt Matthew Mellis, ist 31 Jahre alt, ein Engländer, der wegen der Liebe nach Bayern zog, ein ehemaliger Soldat, der nun eine Ausbildung zum Steinmetz macht, ein Mann, der sagt: Die ganzen Radiobeiträge, die Aufregung um ihn seien "schon ein bisschen komisch" - denn er habe über das, was er an diesem Morgen tat, gar nicht viel nachgedacht.

Ohne Hilfe hätte es der Junge wohl nicht auf die Bahnsteigkante geschafft

Am Freitag, 17. Mai - so erzählt es Mellis - sei er gerade auf dem Weg zur Berufsschule gewesen. Gemeinsam mit seiner Frau wartet er auf die S-Bahn, als er sieht, dass ein Junge reglos auf dem Gleis gegenüber liegt. Dann schaut er sich noch um, ob jemand anderes reagiert - aber niemand bewegt sich. Alles habe sich wie in Zeitlupe angefühlt, sagt Mellis. Alles sei so schnell gegangen, keine zwei Sekunden habe es gedauert, sagt seine Frau Nicole. Rein ins Gleisbett springen, Kind rausheben, hochklettern. Der Junge ist zwölf Jahre alt, war auf dem Weg zur Schule. Er fiel, weil er sich laut der Sauerlacher Bürgermeisterin Barbara Bogner (UVB) an seinem Turnbeutel verheddert hatte. Alleine, ohne Hilfe, hätte er es von dort unten wohl nicht wieder hoch geschafft, meint Mellis: Die Bahnsteigkante habe ihm bis zum Hals gereicht und er sei größer als 1,90 Meter.

Wie schlimm das Ganze hätte ausgehen können, verstanden beide wohl erst, als sie wieder oben am Bahnsteig standen: Keine halbe Minute später sei ein Zug durch den Bahnhof gerauscht. "Der Junge zitterte, er stand richtig unter Schock", sagt Mellis. Für ihn sei das alles aber gar nicht so spektakulär gewesen: Für die britische Armee kämpfte er bei drei Einsätzen in Afghanistan. Dort sei sein Leben viel häufiger in Gefahr gewesen. Sorgen machte sich Mellis in den Minuten danach vor allem um das blutende Knie des Jungen. Nachdem er den Notarzt gerufen hatte, machte sich der Retter schnell auf den Weg zur Berufsschule.

Die Mutter des Kindes sah er nur noch aus der Ferne. Mit dem Vater sprach er kurz am Telefon. Die Sauerlacher Bürgermeisterin Bogner erfuhr von dem ganzen Vorfall, weil sie eine Mutter eines Freundes des gestürzten Jungen anrief. Gerne hätte auch sie sich bedankt - doch niemand wusste den Namen. Also druckte Bogner Aushänge, veröffentlichte einen Text auf der Homepage. Dass sich Mellis erst jetzt meldete, hat übrigens einen guten Grund: Er und seine Frau waren in den Flitterwochen in Südafrika.

© SZ vom 14.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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